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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Sobald ich Deine Antwort habe, sage ich Dir mehr. Heut bitte ich nur um Wahrheit. Du weißt, ich bin kein Knabe mehr, dem man verhüllt, was ihn angeht. Zürne nicht, daß ich mich auf diese Zeilen beschränke, und beruhige bald

Deinen Siegmund.“

Er überlas den in fliegender Eile niedergeschriebenen Brief langsam, Wort für Wort, gab dem Couvert die gewohnte Pariser Adresse und versiegelte dasselbe. Dann warf er den Mantel um und trug den Brief auf die Post, damit er vom Frühzug befördert würde. Als er ihn in den Briefkasten gleiten ließ, schlug es eben zwei Uhr Morgens.

Die Nacht war kühl und bewölkt; über den dunklen Massen der Häuser, die alle gleich stumm und lichtlos dastanden, hob sich die Citadelle kaum in schwachen Umrissen vom Himmel ab. Mit dem Gefühl großer Müdigkeit kehrte Siegmund in sein Zimmer zurück.




28.

Der Anfang des April war in diesem Jahre besonders mild und schön. Alle Welt war unterwegs, die vorzeitig warmen und jedenfalls kurz zugemessener Tage zu genießen

Das schöne Wetter gab Oberst Friesack den Gedanken ein, seinen Bekanntenkreis zu einem Ausfluge nach dem unfern gelegenen weitberühmten Gebirgssee anzuregen. Dieser Vorschlag hätte raschen Anklang gefunden. Sechs offene, größtenteils mit Damen besetzte Wagen rollten an einem ganz im Sonnenschein gebadeten Morgen durch die freie Thalöffnung dem Ziel entgegen Eine Cavalcade von Officieren umgab die Wagen oder folgte ihnen.

Unter ihnen war Einer, dem diese Landpartie sehr erwünscht kam: Siegmund. Er sehnte sich nach einer Begegnung mit den Damen Seeon, welche er seit dem Geburtstagsabend nur flüchtig wiedergesehen, ohne doch zu der Annahme berechtigt zu sein, daß man ihn absichtlich fern gehalten hätte. Als nun aber Tag um Tag verging, ohne daß er zu Seeons citirt wurde, sagte er sich doch, daß so lange Pausen seines Verkehrs mit den Damen sonst nicht vorgekommen, und verfiel um so mehr der eigentümlichen Nervosität, welches vergebliches Warten erzeugt, als auch noch kein Lebenszeichen von seiner Mutter eingetroffen war. Mit besonderer Schärfe empfand er wieder die Hemmung directen Verkehrs mit ihr; der letzte ihrer Briefe war aus Ancona datirt, während er nach Paris hatte adressiren müssen; Gott mochte wissen, wie lange es dauern konnte, bis Antwort in seine Hände kam.

Heute sollte sich wenigstens ergeben, ob die neuliche Kälte der Gräfin Seeon gegen ihn mehr war als momentane üble Laune. Sie fuhr mit ihrer Schwägerin und dem Ehepaar Friesack in ihrem Landauer, welchem der von Margarita und zwei jungen Freundinnen besetzte Jagdwagen des Generals vorausrollte. Siegmund benutzte die erste Gelegenheit, zur Begrüßung der Generalin heranzureiten, und fand sich mit derselben Freundlichkeit empfangen, die ihn Monate lang beglückt hatte. Sie stellte ihn ihrer Schwägerin sogar in auszeichnender Weise vor, und er ward sich in diesem Moment lebhaft bewußt, wie hoch ihm die Gunst dieser Frau galt. Nicht als Mutter des Mädchens, das er liebte; – es war ein ganz persönlicher, starker, sympathischer Zug, der ihn mit ihrem Wesen und Sein verband, ihr Urtheil über ihn zu einem Werth erhob, der ihm unschätzbar schien. Während er im Gespräch mit den Insassen des Wagens längere Zeit neben dessen Schlage ritt, erhob sich seine Stimmung unter dem Strahl von Wohlwollen, der aus den festblickenden blauen Augen der Gräfin auf ihn fiel; keine Spur von Schwere blieb zurück.

Es giebt glückliche Stunden, wo es nicht einmal eines besonderen Einflusses bedarf, um plötzlich alle Nebel zu verscheuchen, Jugend und Sonnenglanz unaufhaltsam vordringen zu lassen. Die Heiterkeit des klarblauen Morgens, das Flimmern der Luft, der reizvolle Weg, welcher nun durch waldige engbegrenzte Auen führte, zwischen deren knospenden Laubgänger verstohlene Quellchen zu Tage rieselten – hundert Spuren des Frühlings spiegelten sich in frohen Augen, angeregten Worten und Geberden. Volles Jugendgefühl überkam Siegmund; er fühlte sich elastisch, wie springend im Geiste, abgelöst von allen Zweifeln und Fragen. Margarita’s blauer Schleier wehte vor ihm her; zuweilen wandte sie den Kopf nach dem Wagen der Mutter zurück, und dann sah er einen Moment ihr entzückendes Gesicht. Als das Ufer des von riesigen Felswänden umthürmten Sees erreicht war und die ganze Gesellschaft von Wagen und Rossen niederstieg, da gab es ein allgemeines Begrüßen; während der Oberst und sein Sohn als Leiter der Partie dafür sorgten, ein Schiff auszuwählen, mischte sich die Gesellschaft, und jetzt näherte Siegmund sich Margarita. Als er sie ansprach, empfand er sofort eine leise Veränderung in ihrem Wesen, etwas Befangenes, Unfreies, doch fühlte er deutlich, daß darin kein Abwenden lag. Es schien nur, als sei ein neuer Zug in ihr Gesicht getreten, ein sinnender, träumerischer Zug, der besonders merklich ward, wenn die Lider ihren warmen Blick verhüllten.

Das Schiff war bald mit Ruderern bemannt und zur Abfahrt bereit, ein geräumiges, von hohem Baldachin zum Schutz gegen die Sonne überdachtes Fahrzeug, das die ganze Gesellschaft bequem aufnahm.

Die Fahrt dauerte lange. Es war feierlich still auf dem smaragdgrün schillernden See; nur ein einziges Boot begegnete den fröhlich Fahrenden; es glitt seeabwärts, nur von wenigen Personen besetzt; so dicht fuhr es vorüber, daß sich vom Schiffe aus die Züge der darin Sitzenden deutlich unterscheiden ließen.

„Wenn nun da drüben Einer wäre, und bei uns Eine, die eigentlich zusammengehörten,“ phantasirte eine junge Frau, „und Die führen hier so an einander vorbei, nachdem ihr Schicksal sie getrennt – wie müßte Denen jetzt zu Muthe sein?“

Die leichthin gesprochenen Worte trafen Siegmund mitten in das Herz hinein und löschten all seine Freude plötzlich aus. Er wendete unwillkürlich den Kopf und sah Margarita an, die schräg vor ihm saß; viel hätte er darum gegeben, jetzt ihren Augen zu begegnen; ihr Gesicht neigte sich aber dem Wasser zu, in dem ihre Hand spielte.



(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüthen.


In der „Garderobe“ der fahrenden Künstler. (Mit Abbildung, S. 689.) Sie wandelt und begräbt alles, die unerbittliche Cultur. Ja sie richtet selbst charakteristische Menschentypen, die sich Jahrhunderte lang im Kampfe um’s Dasein erhielten, unbarmherzig zu Grunde. Wir hatten schon oft die Gelegenheit, unsern Lesern originelle Repräsentanten gewisser Erwerbszweige in Bild und Wort vorzuführen die früher wie Sand am Meere unter den Völkern der Erde verbreitet waren, heute aber nur in entlegenen, von der Cultur noch nicht aufgesuchten Erdwinkeln ihr kümmerliches Dasein fristen und gewissermaßen als Ruinen einer längst verschollenen Zeit in das Jahrhundert des Dampfes und der Elektricität hineinragen. Solche auf den Aussterbe–Etat gesetzte Menschentypen sind die Meister der ehrbaren Zünfte der Kesselflicker, Rastelbinder und Herrgottsschnitzer, die wir jüngsthin in Wort und Bild zur Anschauung brachten, und auch Goldmann’s „alter Gelehrter“ (vergl. Nr. 38) gehört gewissermaßen zu dieser Kategorie.

Heute kommen wir wieder mit einem solchen Stück Herrlichkeit aus der guten alten Zeit, da wir den Lesen in die Garderobe einer fahrenden Künstlertruppe, hinter die Coulissen eines vom luftigen Himmelszelt überdachten Volkstheaters führen. Die Zeit ist noch nicht so weit entlegen, in welcher die Märkte und Plätze unserer Städte und Städtchen zu jeder Messe und zu jeden Jahrmarkte oder Ablaßfeste durch die Buden der Kasperletheater, der Magier, Zauberer, Seiltänzer und anderer Komödianten ihre eigenartige Ausstattung erhielten.

Jetzt freilich werden diese Schaubuden immer seltener; denn das Volk von heute ist anspruchsvoller geworden in der Wahl seiner Genüsse und findet bei zunehmender Bildung an besserem Theater Gefallen, die Polizei aber sitzt dem vagabondirenden Künstler hart auf dem Nacken. Nun, wir brauchen uns wahrlich darob nicht zu grämen. Ein Blick hinter die Coulissen dieser Bretterwelt genügt vollständig, um uns zu belehren, welchen Jammer dieser elende Flitterkram nothdürftig dem Auge der Außenwelt verbirgt. – Meister Knaus hat es verstanden, ein Bild des bunten Lebens fahrender Künstler vor unseren Augen zu entrollen und neben den matten Lichtseiten die tiefen Schatten desselben zu markiren. Wir lachen beim ersten Anblicke des Bildes, lachen über den zerstreuten Flitterkram und den alten Bajazzo, der die Pflichten einer Kinderfrau erfüllt, aber schon nach kurzer Betrachtung der Scenerie weicht der Humor dem Ernst, und die tiefe sittliche Verkommenheit drängt sich auf, welche an solchen Stätten der „Kunst“ ihre beste Pflanzstätte findet.

Ludwig Knaus ist aber bekanntlich nicht allein in der Genremalerei ein vollendeter Meister: er zeichnet sich auch im Portraitfache in hervorragender Weise aus. Wir hoffen bald Gelegenheit zu finden, unsere Leser mit den genialen Schöpfungen des Meisters auch nach der letztgenannte Richtung hin bekannt zu machen.





Kleiner Briefkasten.


Präsident H. Wozu ein „Fechtclub“ mit „Paradeschläger, Fechtparadestulp und Couleursmütze“! Eines ziemt sich nicht für Alle. Sie sind junge Kaufleute – da werden Sie am Besten thun, zur Kräftigung ihrer Gesundheit einem der bewährten Turnvereine ihrer Stadt beizutreten.

B. u. Z. in M. Durch die Benda’sche Verlagshandlung in Lausanne.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_692.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)