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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


„Sie haben hoffentlich nichts dagegen, Cousine, daß ich den Wagen vorausschickte. Sie waren ja darauf gefaßt, zu Fuß nach Pelchow zurückzugehen. Wie weit rechnen Sie bis dahin?“

„Auf directem Wege gehen wir vielleicht dreiviertel Stunden,“ war ihre Antwort.

„So? Ich denke, wir wählen diesen directen Weg, also vermuthlich den dort.“

Er zeigte auf den Fahrweg, auf den sich der Rest des aufgewirbelten Staubes niederließ.

„Darf ich um Ihren Arm bitten? Aber ich sehe, daß Ihre unglücklichen Pilze noch immer da herumliegen. Ich habe nicht die Absicht gehabt, Sie um die Frucht Ihrer idyllischen Bemühungen behufs Vervollständigung der Pelchower Speisekammer zu bringen.“

Er trug Glacéhandschuhe von apfelgrüner Farbe zu seinem lichtgrauen Herbstanzuge; diese apfelgrünen Finger langten vorsichtig hinab, und nur die äußersten Spitzen faßten die verstreuten Pilze und legten sie zu einem Häufchen zusammen.

„So,“ sagte der Vetter, während er sich aufrichtete und den Klemmer wieder auf die Nase setzte, der ihm beim Bücken entfallen war. „Und nun haben Sie die Güte, mir Ihr Taschentuch zu überreichen, damit ich diese Kinder des Waldes einwindeln kann!“

Anne-Marie von Lebzow stand abgewandten Gesichtes und blickte steif zu dem Wege hinüber; als er etwas zur Seite trat und mit einiger Verwunderung ihr Profil in’s Auge faßte, bemerkte er, daß ihr braunes Auge feucht war, und daß es bitter um ihren Mund zuckte.

„Um’s Himmels willen, Cousine, was ist Ihnen?“ fragte er. „Tragen Sie in Ihren jungen Jahren schon Leid um die Unvollkommenheiten unserer irdischen Laufbahn, oder besitzen Sie sentimentale Anlagen?“

Die junge Dame hatte die Herrschaft über ihre Empfindlichkeit gewonnen, welche von dieser saloppen Art, mit der man hier bei der ersten Begegnung sie zu behandeln beliebte, tief gereizt war. So neu war ihr diese Art, daß sie aus dem Schwanken, ob sie ihr Taschentuch hingeben sollte oder nicht, erst herauskam, als er dasselbe bereits erfaßt hatte und auf dem Boden ausbreitete. Bald war es gefüllt; Curt von Boddin knüpfte die Zipfel zusammen und nahm das Bündel auf.

„So,“ sagte er, „und um Sie ganz zufrieden zu stellen, Cousine, werde ich eigenhändig das Ding hier bis Pelchow tragen, obwohl ich nicht die mindeste Anlage zu ländlichem Schäferdienste habe. Wenn ich also bitten darf: gehen wir!“

Er hielt ihr seinen Arm hin, mußte es indessen erleben, daß sie ihn ausschlug. Der Weg bis zur Landstraße hinüber sei zu schmal, meinte sie kurz und schritt voraus; nur flüchtig musterte der Nachfolgende die anmuthige Figur und das dicke strohblonde Haargeflecht, das unter dem italienischen Hut hervorquoll.

„Jetzt, Cousine,“ nahm er das Gespräch wieder auf, nachdem er mit kurzem Sprunge den Fahrweg erreicht hatte, „jetzt möchte ich Sie bitten, mir allerlei von Pelchower Zuständen zu erzählen. Ich werde zwar Zeit genug haben, sie in Person zu studiren – vielleicht ahnen oder wissen Sie gar, meine Beste, daß ich mit der Vollmacht betraut bin, in dieser verlotterten Wirthschaft Ordnung herzustellen.“

„Ah!“ machte Anne-Marie unwillkürlich. Wie hatte sie auch nur einen Augenblick in Zweifel sein können, was dieser Besuch zu bedeuten habe! Vorhin erst hatte sie zur Radmacherin von der künftigen Verwaltung durch einen Teterower Boddin gesprochen.

„Hoffentlich können Sie mir nützen, indem Sie mir auf dieses verrückte Original von Onkel einwirken helfen, damit er ruhig geschehen läßt, was nicht zu ändern ist und was er mit seiner Zerfahrenheit und Verschwendung selber verschuldet hat. – Aber haben Sie eigentlich keinen Sonnenschirm mit, Cousine? Wie kann eine Dame am lichten Tage dreiviertel Stunde Weges hin und zurück ohne Schirm gehen! Sie sollten auch Ihre Hände mehr schonen.“

Er hielt einen Augenblick inne, als erwartete er eine Antwort. Allein Anne-Marie schwieg.

(Fortsetzung folgt.)




Die erste elektrische Weltausstellung.

Paris, das Herz der französischen Nation, in dem noch vor einem Jahrzehnte der rasende Fanatismus bethörter Massen verwüstend und zerstörend hauste, bietet uns heutigen Tages ein lächelndes Bild des Friedens und der Ruhe dar. Verrauscht sind scheinbar die Stürme des Haders und der Zwietracht, und nur noch ein Wahrzeichen jener traurigen Tage schaut wehmüthig auf uns hernieder – die geschwärzten, zerfallenen und geborstenen Trümmer weltlicher Herrlichkeit des einst allmächtigen Herrscherhauses der „Napoleoniden“, die Tuilerien. Unweit aber von dieser historisch denkwürdigen Stätte, bei deren Anblick man sich des Gefühls des Mitleides nicht erwehren kann, dort in den luftigen, von seinen weiten Eisenrippen überzogenen, aus schimmerndem Krystallglas erbauten Hallen des Palais de l’Industrie der Champs-Elysées entfaltet sich heute ein anderes Bild des friedlichen Wettkampfes der Völker. Dort strahlt in funkelndem Lichte die „Internationale elektrische Ausstellung“, auf deren Resultate man seit fast Jahresfrist in allen technischen, industriellen und Verwaltungs-Kreisen auf’s Höchste gespannt war. Nach dem Vorbilde der deutschen Initiative zur Arrangirung von „Fach-Weltausstellungen“ schlug der französische Minister Cochery zu Anfang dieses Jahres dem französischen Senate die Idee einer „Elektrischen Weltausstellung“ zu Paris vor. Dieser Gedanke fand nicht nur bei der französischen Nation, sondern auch bei allen hervorragenden Culturvölkern sofort volle Anerkennung und ungetheilten Beifall. Die vorbereitenden Schritte wurden schleunigst gethan, und schon am 19. August konnten die Pforten des Ausstellungspalastes während der Tagesstunden und vom 26. August an auch des Abends dem Publicum geöffnet werden.

Wie unaufhaltsam schreitet heute die Menschheit vorwärts! Kaum ein Jahrhundert ist es her, daß die „Kraftmaschine“ der Neuzeit geboren wurde, erst ein halbes Jahrhundert ist verrauscht, seit die erste „Locomotive“ ihren unvergleichlichen Siegeszug begann, und schon zeigt sich heute am Horizonte der entfesselten Naturgewalten ein junges, vielverheißendes Gestirn, das seine Strahlen bereits in hundert Richtungen befruchtend entsendet: die Elektricität.

Alle jene verdienstvollen Männer: Thales von Milet, Otto von Guericke, Franklin, Volta, Arago, Ampère, Galvani, Weber, Faraday, Oersted, Ohm, Jacobi und Steinheil, denen hier im Palast der Elektricitäts-Ausstellung von Lorbeeren umwobene Gedenktafeln und Büsten errichtet sind, sie legen klares Zeugniß davon ab, daß sämmtliche Nationen ihre besten Kräfte eingesetzt haben für die Entwickelung und Förderung der elektrischen Technik.

Die Kraft, welche in dem Gewande des atmosphärischen Blitzes Tod und Verderben unter die Menschheit schleudert und früher als Ausdruck göttlichen Zornes gefürchtet war, ist heute, in tausendfachen Apparaten gefangen, eine neue Helferin des Menschen, sein willig folgender, dienstbarer Geist geworden, und schon droht dieser junge funkelnde Rival ein gefährlicher Concurrent der brausenden irdischen Dampfkraft zu werden. Das seltene fesselnde Bild, welches sich uns im Ausstellungspalaste darbietet, alle die Tausende der hier vorgeführten sinnreichen Apparate, Mechanismen und Erfindungen besiegeln den Beginn des modernen „elektrischen Zeitalters“.

Es ist erstaunlich, sogar oft überwältigend, hier das Functioniren des kleinen knisternden, unscheinbaren elektrischen Funkens in allen seinen mannigfachen praktischen Anwendungen studiren und kennen zu lernen. Da ist, außer der Telegraphie und Telephonie, die Photophonie oder Verwandelung des Lichtstrahls vermittelst Elektricität in Tonschwingungen. Dort am Eingange des Palastes in der Richtung nach dem Obelisk von Luxor des Place de la Concorde fährt eben der „elektrische Waggon“ von Siemens mit fünfzig Personen ruhig und geräuschlos mit großer Schnelligkeit ab, während zur selben Zeit hoch oben in den Lüften der fischähnliche, 4 Meter lange „elektrische Ballon“ von Tissandier lustig herumkreist, und unten im klaren, von aromatischem Blüthendufte und anmuthigen Cascaden umgebenen Bassin, im Centrum der Ausstellung, die „elektrische Gondel“ des Herrn Trouvé allabendlich mit großer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_712.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2022)