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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


noch einmal allgemeine Begeisterung hervor, und dann folgten die Abschiedsgrüße, die zunächst dem gastlichen Meißen, dann den Genossen der Festtage galten, von denen viele schon hier sich losrissen, um in die Heimath zurückzukehren.

Hunderte blieben jedoch in Dresden, um noch den letzten Festtag abzuwarten, der einen Ausflug in die sächsische Schweiz brachte. Das Wetter war am Morgen zwar wenig einladend, aber trotzdem mußten zwei lange Extrazüge in Anspruch genommen werden, um die Schaar der Kunstgenossen aufzunehmen. Die gleiche warmherzige Gastlichkeit, die Dresden und Meißen dem Jubiläum deutscher Künstler entgegengebracht, fanden diese auch in den Elbstädtchen der sächsischen Schweiz. Ehrenpforten von grünen Reisern, singende Dorfjugend, böhmische Spielleute, Händler, die den bunten Kram von allerlei Andenken feilboten, empfingen die Festfahrer, die in den waldigen, von starren Sandsteinnadeln eng umschlossenen Amselgrund zogen und hier im Schatten einer primitiven Waldkneipe „Zur rothen Amsel“ genannt, einen erfrischenden Imbiß einnahmen (vergleiche Abbildung Seite 769!) Hier überraschte man eine Bande lagernder Zigeuner, braunes Volk mit wirren Haaren, in Lumpen gehüllt, das seine Habe von einigen mit Schindmähren bespannten Wagen abgeladen hatte und nun in brodelndem Kessel Essen kochte, kleine Kesselflickerarbeit trieb, Hühner, Enten und alles greifbare Gut zu stehlen suchte. Auf die vornehme Pracht der früheren Tage folgte hier das wildeste, naturwüchsigste Leben. Waldemar Friedrich hat auch diese Scene in seiner feinsinnigen Weise im Bilde (vergleiche Abbildung S. 768!) verewigt, wofür ihm die Leser gewiß dankbar sein werden.

Man glaubte sich in die Berge bei Granada, in die russischen Steppen versetzt, wenn die braunen dürftig bekleideten Weiber listig und verschlagen sich dem Fremden näherten, durch Tanz, Wahrsagen oder ärgere Künste etwas zu erhaschen suchten. Mit äußerster Treue und Wahrhaftigkeit ward hier die Wirklichkeit nachgeahmt. Da plötzlich schrilles Pfeifen und kreischendes Fiedeln, das aus der Tiefe des Grundes hervordrang! Es waren Freunde, eine andere Bande des heimathslosen Volkes, die mit ihrem Troß daherzog. Nun gab es ein Begrüßen, ein Springen und Umschlingen, das gewiß sehr ernst gemeint war, aber doch sehr komisch wirkte. Diese bunten lebhaft bewegten Bilder aus dem Zigeunerleben konnten nicht verdunkelt werden durch das Erscheinen eines Berggeistes, der die Künstler durch lange Versrede in seinem Revier bewillkommnete.

Dann zog man zur Bastei hinauf, und wieder war das Wetter dem Augenblick günstig; selbst die Sonne blickte hervor, um die überraschende Aussicht auf die phantastischen Felsgebilde, auf den mächtigen Klotz der Festung Königstein, auf den Elbstrom und das weite anmuthige Land freundlich zu beleuchten. Es ward nun getafelt – zum letzten Mal in fröhlicher Gemeinschaft. Erst als es dunkelte, schifften wir uns zur Rückfahrt ein. Und wieder flammten Feuergrüße zu beiden Seiten des Stromes. Das Jubelfest der deutschen Kunstgenossen schloß auf dem Linke’schen Bade, heiter, fröhlich, wie es begonnen. Dresden und seine Kunstgemeinde haben den Gästen und Genossen aus der Ferne gezeigt, daß hier die Kunst nicht nur eine treue, sondern auch eine verständnißvolle Pflege findet. Karl Stieler hat mit den ersten Worten, die er der heiteren Stadt zurief, Recht: „Als Gäste sind wir gekommen – wir scheiden als Freunde.“




Mutter und Sohn.
Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


34.

Der inkrustirte Schrank im Königinzimmer des Schlosses Riedegg stand offen und war zum Theil seines Inhaltes an Schriften und Pergamenten entleert. Ottilie saß mit ihrem Manne vor demselben runden Tische, vor welchem sie gestanden, als sie vor langen Jahren vergebens die Erlaubniß zu ertrotzen suchte, ihren Vater ohne Zeugen wiedersehen zu dürfen. Viel war seitdem erlebt, erfahren und vergessen worden; die beiden Gestalten, um welche es sich damals gehandelt, standen aber so leibhaftig vor ihrem Geiste, als ruhten sie nicht im Schooße der Erde. Graf Seeon blätterte noch in den auf dem Tische umhergestreuten Schriften. Ottilie lehnte unbeschäftigt im hohen Sessel, ihre Augen auf eine geöffnete Brieftasche gerichtet, in der ein paar Briefe von Frauenhand und ein seidenfeines Löckchen obenauf lagen.

„Nie hat mich etwas so beunruhigt wie diese Angelegenheit,“ sagte sie und erhob die klaren Augen. „Ich gäbe viel darum, den Schlüssel zu ihrer Lösung zu finden.“

„Findet er sich,“ entgegnete der Graf, „so dürftest Du allerdings viel zu geben haben. Wie ich Dich kenne, Ottilie, ist es unnöthig, Dich vor Uebereilungen zu warnen, Vorsicht ist jedoch geboten. Dein Großvater war ein gewaltthätiger Mann, des Actes einer Unterschlagung halte ich ihn aber nicht für fähig.“

„Weil Du selbst nie solcher That fähig wärest,“ sagte Ottilie mit einer Herzlichkeit, die ihr gut stand. „Ich bin so sicher nicht über das, was geschehen. Erinnere Dich der Fragen, welche ich in Deinem Beisein an Großpapa gerichtet, und seiner Antwort darauf! Er bezeichnete die Frau, mit welcher mein Vater sein letztes Lebensjahr zugebracht, als eine ihm zuvor schon bekannte Abenteurerin zweifelhaftester Abkunft, eine Protestantin, die seinen Beistand nur abgewiesen, damit sie nicht behindert würde, das Kind in ihrem Ketzerglauben zu erziehen, eine Frau, die übrigens in relativem Wohlstande zurückgeblieben sei. Was wir selbst über Siegmund’s Mutter erfuhren, widerspricht solcher verächtlichen Schilderung. Der allgemein geachtete Capellmeister, welcher sie seit vielen Jahren kennt, bezeichnet sie als eine vornehme Persönlichkeit – und ferner; keine Abenteurerin erzieht einen Sohn wie diesen jungen Riedegg. Auch ich traue Keinem unseres Geschlechtes hinterlistiges Verbrechen zu, doch halte ich für möglich, daß Großpapa eine geheime Ehe wie diese als nicht gültig betrachtete und sich deshalb für berechtigt hielt, aus eigener Machtvollkommenheit zu vernichten, was an darauf bezüglichen Documenten in seine Gewalt gerieth. Wäre das aber geschehen, Hans, welche schreiende Ungerechtlgkeit hätten die Wehrlosen so viele Jahre hindurch erlitten! Ich finde keine Ruhe, bis diese Sache aufgeklärt ist, und danke Dir, daß Du mir gestattest, in meinem Sinne zu handeln.“

Während die Gatten beschäftigt waren, die Schriften an ihren Platz zurückzulegen, meldete ein Diener die Anfahrt des Herrn Anwalt Brenner, der seine Aufwartung zu machen wünschte. Graf Seeon befahl, den Gast herein zu führen.

Wenige Minuten später stand der juristische Vertreter Genoveva’s dem gräflich Seeon’schen Ehepaare gegenüber – ein Mann von discreter Haltung, aber geistfrischen Zügen.

„Gestatten Sie,“ sagte er nach einer kurzen gegenseitigen Vorstellung, „daß ich vor Allem einen schwerwiegenden Irrthum berichtige, der nach allem Vorhergegangenen wohl Entschuldigung verdient. Meine Clientin hatte jeden Grund anzunehmen, daß die Zeugnisse der Trauung und Taufe, von denen sie bestimmt wußte, daß Graf Meinhard sie bei seiner Abreise von der Moosburg mit sich genommen, zur Zeit seines baldigen Todes hier auf Schloß Riedegg zurückgeblieben sein müßten. Dem war nicht so. Ich befinde mich heute in der glücklichen Lage, diese Documente vorlegen und den Herrschaften zur eigenen Prüfung übergeben zu können.“

Er entnahm seinem Portefeuille zwei gestempelte Bogen und reichte dieselben dem Grafen.

„Nur eine kurze Darlegung,“ fuhr er fort, „bitte ich mir zu erlauben. Unter den nachgelassenen Schriften des Grafen Meinhard fand sich die Adresse des Bürgermeisters von B., eines Ihnen kaum bekannten Landstädtchens, welche mir nicht aufgefallen sein würde, wären derselben nicht einige Chiffern beigefügt gewesen. Da nichts unberücksichtigt bleiben darf, wo man mit Unaufgeklärtem zu thun hat, schrieb ich diesem Herrn, um zu erfahren, in welcher Beziehung er zu Graf Meinhard gestanden und wann er diesen zuletzt gesprochen. Die Antwort, daß Beide Universitätsgenossen gewesen und der Bürgermeister mit dem Grafen im Juni 1844, also kurz vor dessen Ende, zusammengetroffen, erschien wichtig genug, mich zu veranlassen, auf der Reise hierher dort vorzusprechen. Die Fährte erwies sich als werthvoll. Der Graf hat, ehe er damals nach Riedegg kam, der Obhut dieses alten Studienfreundes ein versiegeltes Päckchen anvertraut,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_770.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2022)