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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Wohlthätigkeitsanstalten bildeten, wie dies schon ihre Benennung andeutet, verdankten sie ihren Ursprung in England und in den Niederlanden weltlichen, rein kaufmännischen Einflüssen. Wie in der Ostsee einst die Hansastädte die Träger und Vermittler des Handels waren, so beherrschten das westeuropäische Handelsgebiet im Mittelalter die Italiener, das einzige Volk, welches damals den Welthandel betrieb. Schon im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts ließen sich italienische Kaufleute in den englischen und niederländischen Städten nieder und wurden dort von den Behörden begünstigt, weil sie den Handel in’s Land brachten. Ihre angesehensten Firmen waren die Caorcini, Caturcini, Cavarcini, Bardi und Amanti, welche von der einheimischen Bevölkerung im Allgemeinen Longobarden oder Lombarden genannt wurden. Neben dem Handel betrieben sie in ausgedehnter Weise auch das Pfandleihgeschäft und hielten zu diesem Zwecke in den größeren Städten „Contore“, in welchen Pfänder zu geringen Preisen gegen unmäßige Zinsen als Versatz angenommen wurden; denn durch ihren regen Verkehr mit den orientalischen Völkern hatten sie sich von der Bedeutung des Geldes und von dem Zinsennehmen Begriffe gebildet, die von der damaligen christlichen Anschauung durchaus abwichen. Das päpstliche Verbot des Zinsennehmens wußten sie übrigens in schlauer Weise zu umgehen, indem sie sich die Provision im Voraus als Geschenk bezahlen ließen, aber gleich den Juden wurden auch die Langobarden, sobald sie den Wucher zu arg trieben, aus dem Lande gejagt, um nach kurzer Zeit auf Grund neuer Privilegien in dasselbe zurückzukehren. Seit dem vierzehnten Jahrhundert mußten sie für ihre „Contore“, welche man „Lombarde“ nannte, eine Steuer an die Obrigkeit entrichten, bis im Jahre 1611 der Magistrat der Stadt Amsterdam beschloß, das Pfandleihprivilegium den Italienern zu entziehen und die Leitung des Geschäftes selbst zu übernehmen. Drei Jahre hierauf wurde auch tatsächlich ein städtisches Leihhaus in Amsterdam eröffnet, welchem Beispiele bald andere niederländische Städte folgten.

Den ersten Anlauf zur Begründung eines Leihhauses in Deutschland nahm die Stadt Nürnberg, die schon im Jahre 1498 vom Kaiser Maximilian dem Ersten eine urkundliche Erlaubniß zur Anlegung einer öffentlichen Pfandleihanstalt erhielt. Der gemeinnützige Plan wurde von den Nürnbergern jedoch erst im Jahre 1618 verwirklicht, während inzwischen der Augsburger Magistrat bereits im Jahre 1591 das Pfandleihprivilegium den Juden entzog und 30,000 Gulden zum Anlagecapital eines Leihhauses bewilligte. Im Jahre 1607 wurde in der genannten Stadt die erste deutsche Leihhausordnung bekannt gegeben.

Da brachen die fortwährenden Kriegswirren herein, in welchen der Wohlstand des deutschen Volkes für lange Zeiten zu Grunde ging, und die Stürme des Dreißigjährigen Krieges vernichteten auch die ersten Leihhäuser Deutschlands. Wir begegnen ihnen in unserer Culturgeschichte wiederum erst um die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, in welchem neben communalen auch private Pfandleihanstalten unter staatlicher Aufsicht begründet wurden.

Die Errichtung der heute bestehenden deutschen Leihhäuser. fällt dagegen erst in den Anfang unseres Jahrhunderts und ist zum großen Theil dem bahnbrechenden Vorgehen der preußischen Regierung zu verdanken. In jener Zeit gelangte auch die in England in’s Leben gerufenen Sparkassen zur allgemeinen Verbreitung, und von nun an reichten sich die beiden Wohlfahrtsanstalten zum gemeinsamen Wirken die Hand. Schon im Jahre 1840 bestanden in vierzig preußischen Städten Leihhäuser, welche ihre Capitalien von den communalen Sparcasse bezogen, vor allen andern deutschen Staaten zeichnete sich aber auf diesem Gebiete Sachsen aus, in welchem bereits in dem dritten Decennium dieses Jahrhunderts Dresden, Leipzig und Chemnitz mustergültige öffentliche Leihhäuser aufzuweisen hatten.

Die Entwickelung des Pfandleihwesens überhaupt ist indessen in Deutschland keineswegs als abgeschlossen zu betrachten. Noch vor wenigen Jahren mußten gegen die wuchernden privaten Pfandleihanstalten neue Gesetze und Verordnungen erlassen werden, und auch auf diesem Gebiete treten sich die beiden unversöhnlichen volkswirtschaftlichen Principien der Freiheit und des Schutzes feindlich entgegen.

So viel aber steht fest, daß man die wohltätige Wirkung der öffentlichen, unter staatlicher oder communaler Aufsicht stehenden Leihhäuser heutzutage allgemein anerkannt hat und nicht gesonnen ist, ihre Existenz und Organisation zu bekämpfen.





Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Schluß.)


35.


Siegmund, auf den die Gedanken so Vieler gerichtet waren, hatte inzwischen schwere Tage verlebt. Wenn der Mensch sich dazu verurteilt sieht mit dem zu brechen, was sein Leben ausmachte, so gilt es ein anderes Ufer zu gewinnen und dort mit dem Rest seiner Habe Hütten zu bauen. Bis dies erreicht ist, gilt es aber den Kampf mit der Brandung. Noch ward der Unselige auf und nieder geschleudert; das feste Land lag ihm noch fern. Alles, was ihm theuer gewesen, war ihm entrissen; Alles, was ihn berührte, reizte eine Wunde.

Er konnte sich nicht entschließen, die Moosburg zu verlassen, und doch trat ihm hier auf Schritt und Tritt die unvergeßliche Vergangenheit schmerzlich entgegen. Ihn quälte das Drängen seines Freundes Max, dessen ersten Brief er mit der strengen Bitte beantwortet, ihn sich selbst zu überlassen, weil er ihn bereits von dem Pariser Vorgang unterrichtet glaubte. Voll Scham und Scheu dachte er an Ottilie Seeon, gegen welche, trotz seines Protestes, vielleicht jetzt eben in seinem Namen vorgegangen wurde, und ach! an – Margarita.

Der einzige Mensch, dessen Nähe ihm wohl that, war Lois. Der stille Blick des jungen Priesters beruhigte momentan seine nagenden Qualen. Die sanfte, schonende Ruhe, mit welcher der Caplan seinen Pflichten nachkam, war Siegmund tröstlich, und dennoch hatte er sich bisher nicht entschließen mögen, ihm mitzutheilen, was er von Fügen erfahren; er fürchtete, Lois damit eine Waffe zu geben wider die Entschlüsse, an denen er festhielt.

Dann kamen die Briefe. Zuerst ein geschäftlich gehaltenes Exposé des Unternommenen und Erreichten, von Copien der Documente begleitet, welches der Anwalt seiner Mutter. ihm zusandte. Dann Ottiliens herzliche Zeilen.

Hatte Siegmund gemeint, schon alles Weh der Erde erschöpft zu haben, so traf ihn nun ein neuer Schmerz mit furchtbarer Gewalt: welches beneidenswerthe Loos wäre jetzt sein und seiner Mutter Theil gewesen, wenn Diese nicht zur Frevlerin geworden – und was sie auf so unreinem Wege vergeblich angestrebt, das hatte die heilige Hand des Schicksals durch einfachen Fingerzeig schnell erreicht; Alles war da: ein stolzer Name, Glück und Ehre, aber es war eine grausame Fügung, daß es für Den, welchen es zumeist hatte beglücke könne, unerreichbar war – ewig unerreichbar!

Siegmund schloß sich in seinem Zimmer ein; es war ihm nicht möglich, auch nur Lois zu sehen; jetzt erst ward ihm bewußt, daß dieser nur deshalb seinem schärfsten Schmerz den Stachel geschwächt, weil er wie ein lebendiger Gedanke einstiger Versöhnung neben ihm gegangen. In der herben Stimmung dieser Stunden wollte er sich weniger als je daran erinnern lassen, daß Vergeben und Milde möglich sei.

So gingen einige Tage hin. Siegmund saß eines Nachmittags auf der Terrasse, wohin der warme Maitag ihn gelockt, und versuchte seine Gedanken an ein Buch zu fesseln. Um ihn herrschte tiefste Stille. Der Knecht und sein Weib waren drunten auf der Wiese; nicht das leiseste Lüftchen bewegte sich. Da vernahm der junge Mann hinter sich ein schwaches Rauschen. Er wendete mechanisch den Kopf und sprang mit einem unwillkürlichen Ausrufe der Ueberraschung von seinem Sitze auf. Gräfin Seeon und Margarita standen vor ihm.

„Briefe führten uns nicht zusammen,“ sagte Ottilie mit ihrer klaren Stimme. „Darum kommen wir selbst.“

„Sie Sie hier – bei mir!“ stammelte Siegmund außer sich. „Gräfin! – – Sie hätte das nicht gethan, wenn Sie wüßten –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_786.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)