Seite:Die Gartenlaube (1881) 793.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 48.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Ein Friedensstörer.
Erzählung von Victor Blüthgen.
(Fortsetzung.)


6.

Der folgende Tag war ein Sonntag.

Curt war frühzeitig von Demmin aufgebrochen. Vor ihm lagen verschiedene Einkäufe, in Kisten verpackt oder umwickelt und verschnürt; dazu sein Reisekoffer. Er selbst hatte sich der Morgenkühle halber in ein gewürfeltes Plaid gehüllt und eine Reisedecke um die Füße geschlagen.

Inzwischen war die Sonne höher gestiegen; der gefallene Nebel glitzerte als Thau auf den dürren Blättern am Boden, der welkenden Grasnarbe, dem Gespinnst zwischen den Stoppeln – ein echter Herbstmorgen! Hoch oben kreisten zwei Bussarde, die Curt mit den Augen verfolgte. Er hatte die angenehmsten Empfindungen, etwa wie Einer, der mehrere Jahre auf Reisen im Auslande zugebracht und nur noch zwei Stunden von der Heimath entfernt ist. Zuweilen fielen ihm auch merkwürdige Gedanken ein, in diesem Augenblick zum Beispiel der: was wohl Cousine Lebzow heute für Toilette gemacht haben möchte? Es war ja Sonntag, und ein junges Mädchen ist in jedem anderen Kleide eine Andere, auch in jeder anderen Umgebung eine Andere. Die Einen sind nur hübsch im Salon, in Prunk, in künstlicher Beleuchtung, Andere im Freien, im Hauskleide, am hellen Tage. Wieder Andere sind immer hübsch; sie erhalten nur in jeder Lage und jeder veränderten Attrape einen neuen Reiz.

Bisher hatte er sich freilich nicht für diese Thatsache interessirt; sie fiel ihm nur eben als eine gelegentlich gemachte Beobachtung ein. Große Toilette vertrug Cousine Lebzow wohl eigentlich nicht; vielleicht bei Lampenlicht, das ihre Farben milderte. Leonore von Pannewitz sah gewiß in Sammet und Schleppe am besten aus. Hedwig war wieder zarter gegliedert als Anne-Marie, aber viel unbedeutender, bei aller Lebhaftigkeit und selbst einem leisen pikanten Reiz; sie brauchte duftige Kleidung, Spitzen, feingekrausten Besatz. Für Anne-Marie waren einfache Wirkungen das Beste – nichts Majestätisches, nichts Allzulebendiges, große Farbenflächen, Weiß mit Schwanbesatz zum Beispiel, Blau, aber ganz hell oder ganz dunkel, auch Prüne –

Die Glocken läuteten vor Curt; er sah empor und zog die Uhr; sie zeigte auf Neun.

„Ist das Langsdorf, Jochen?“

„Jawohl, Herr; sie läuten zur Kirche.“

„So fahren wir über Langsdorf.“

Wie, wenn er in die Kirche ginge und nachher gleich dem Pastor einen Besuch machte? Vielleicht waren auch die Pelchower in der Kirche, das heißt der Baron und Anne-Marie von Lebzow. Jochen bog vom Wege ab, und sie näherten sich rasch dem Orte.

„Geht mein Onkel oft zur Kirche?“

„O ja, Herr; wenn das Wetter gut war, sind wir immer hingefahren. Dann bleiben sie wohl noch eine Stunde bei Pastors.“

Aber – der Tausend! Sie hatten ja keinen Wagen, und zu Fuß sind es immerhin anderthalb Stunden bis Langsdorf.

„Giebt es keinen Herrschaftswagen in Pelchow als diesen?“

„Nein, Herr. Die Art ist dem alten Herrn Baron am liebsten; denn er läßt sich gern durchschütteln. Wenn er viel gegessen hat, dann legt er sich lang auf eine Matratze, die mit Häcksel ausgestopft ist, und dann muß ich auf den schlechtesten Wegen fahren. Das hat er gern.“

„Ich weiß schon; Herr von Pannewitz hat ihm neulich die Matratze aufgeschnitten.“

„Ja wohl, Herr!“

Hm! Da war es freilich nicht anzunehmen, daß man heute die Kirche aufgesucht hatte. Der Wagen hier mußte übrigens dem Baron verbleiben und die Pferde dazu. Curt wollte sich einen hübschen Einspänner anschaffen. Es wäre grausam gewesen, dem Onkel das gewohnte Fuhrwerk vor der Nase wegzunehmen. Und im Grunde war es doch ein Marterkarren. Auch sein Reitpferd sollte dem alten Herrn verbleiben. Sie fuhren durch neugierige Kirchgänger.

„Das ist er. Das ist der neue Pelchower.“

An der Kirchmauer stand ein Leiterwagen; hinten, durch den Schutz gehalten, vier ausgestopfte Säcke, zu zweien auf und neben einander placirt, und darüber eine Pferdedecke gebreitet.

„Herr, das ist Pelchower Fuhrwerk,“ sagte Jochen, „unsere Herrschaft ist in der Kirche.“

Curt hatte eine Empfindung, als durchzittere ihn die Meldung seines Kutschers wie eine Depesche einen Draht.

„Und sie bleiben gewöhnlich nach dem Gottesdienste bei Pastors?“

„Ja, Herr!“

„So halten wir an. Ich werde in die Kirche und nach dem Gottesdienst zu Pastors gehen, und wir werden dann erst weiter fahren.“

Jochen hielt an; Curt sprang vom Wagen und betrat den Kirchhof. Welke Kastanienblätter wehten um ihn von halb kahlen Bäumen zur Erde nieder. Er kannte diese kleinen Kirchen der Gegend; sie waren so ziemlich alle nach derselben Schablone gebaut. So suchte er sich den Eingang zur Empore und stieg hinauf. Die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_793.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2021)