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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Du wirst sehen, daß ich Recht habe. Ich täusche mich gewiß nicht. Die Erinnerung betreffs der Zimmer bezieht sich darauf. Papa hat immer so charmante Ideen. O, ich freue mich so, ich freue mich so — auf Papa!“

Und wieder klatschte sie bei dem etwas nachträglich erst hinzugefügten Schlußworte in die Hände und drehte sich dabei wie ein Kreisel um sich selbst.

Hilda schüttelte den Kopf über die Bemerkung Meinhard’s, daß sich die Sache vielleicht wirklich so verhalte.

„Es ist wohl nur eine Ideenverbindung,“ meinte sie, „weil wir vorher über Edwin von Tonner sprachen, als wir die Photographien durchsahen, um die des jungen Herrn in das Zimmer seiner Schwester zu stellen. Wir haben aber keinen ganz passenden Rahmen gefunden und dann, dann — wer weiß? — Man hat mit den Brüdern nicht immer seine Freude.“

Sie nickte still vor sich hin und machte sich mechanisch daran, die zerstreuten Photographien zusammenzuschieben, um sie darnach in das Album einzuschließen. Ein eigenthümliches Geräusch ließ sie den Kopf wenden.

„Was hüpfest Du denn wie ein junger Ziegenbock, Mimi?“

„Aber Tantchen, welch ein Vergleich!“ rief die Kleine, bei aller Entrüstung lachend. Ihr hatte die Frage gegolten; denn vor einem der Pfeilerspiegel sprang sie mit gleichen Füßen, daß ihr fessellos über den Rücken wallendes Haar wie ein dunkler Schleier flatterte. „Das Band will nicht unter die Haare. Ich kann ja so die Cravatte nicht knüpfen.“

Und indem sie das Band nach rückwärts schwang, fuhr sie in der Anwendung ihres drolligen Mittels fort, das sich wie im Spiel ansah. So hüpfend und lachend, blieb an Stelle der verschwundenen Dame nur das harmlose, lebensfreudige Kind, für das die von Hilda neuerdings aufgeworfene Frage, was wohl der Brief enthalten möge, nur ein geringes Interesse bot.

„Wenn Ihnen soviel daran liegt,“ rieth Meinhard scherzend, „müssen wir wohl eine Somnambule fragen.“

„Woher eine nehmen?“

Der Seitenblick Meinhard’s nach der Kleinen entging Hilda ebenso, wie der bedeutsame Nachdruck, mit dem er seine Antwort gab:

„Ich glaube, wir haben sie schon; nur der Magnetiseur ist für den Augenblick noch nicht zur Stelle.“

„Darf ich vielleicht meine Erfahrungen und vielfach erprobten Kräfte zur Verfügung stellen? Ich würde es mir zur besonderen Ehre anrechnen, wenn mir die Herrschaften dazu Gelegenheit geben wollten. Mesmer, St. Germain, Doctor Balsamo. Un, deux, trois — sie schläft.“

Es war ein ganz sonderbarer Antrag und eine sonderbare Stimme, die ihn stellte, wie es schien aus der Tiefe eines Ziehbrunnens herauf. Sie kam aber offenbar nur aus der Brust eines kleinen dicken Mannes in abgetragenem schwarzem Röckchen, das zweifellos für eine weit schlankere Taille angefertigt worden war. Das graue, breite Gesicht mit seinen verschlemmten Zügen war in hohem Bogen von einer langen Strähne Haares überklebt, das sich an den Schläfen zu grotesken Locken einbog, während sich die fuchsigen Spitzen im Nacken mit dem echten Eigensinn einer alten Perrücke auswärts ringelten. Das Pathos, mit dem er gesprochen, die Haltung der erhobenen Hände, die ausgespreizten Finger gaben der Erscheinung des Mannes in dem abendlichen Zwielichte etwas unheimlich Groteskes. Er war so plötzlich aufgetaucht, und keiner der Drei hatte gesehen, woher er gekommen.

Die muntere Springerin stand starr, wie gebannt, und Hilda’s Fingern entfielen die kleinen Karten. Schneller ward Meinhard seiner Ueberraschung Herr.

„Darf ich Sie fragen, wie Sie hereingekommen sind?“ sprach er den Fremden scharf an, wiewohl ihm dessen Stellung nahe der offenen Gartenthür als Antwort genügen konnte.

„Der große Philadelphia fuhr gleichzeitig zu vier Stadtthoren hinaus. Man erscheint, und man ist da. Allez vite! Voilà!“

Das war von dem lebendigsten Geberdenspiel begleitet, gleich darauf aber hatte der kleine Mann seinen abgeschabten Claquehut unter dem Arme hervorgenommen, ließ ihn mit einem Knall springen, drückte ihn mit theatralischer Bewegung an die Brust und schnappte in einer tiefen Verbeugung zusammen.

„Hochansehnliche Anwesende,“ begann er dann mit dem demüthigsten Lispeln, „ich komme blos, meine ergebenste Einladung zu machen, da ich demnächst mir erlauben werde, eine große Vorstellung zu geben, und es mir zur größeren Ehre gereichen würde, wenn der hohe Adel der Umgebung mir seine unschätzbare Gönnerschaft zu Theil werden lassen wollte.“

Die Damen hatten noch immer ihre Stimme nicht gefunden. Meinhard ergriff für sie das Wort. Er fragte trocken:

„Sie sind wohl Schauspieler?“

Der Gefragte richtete sich achselzuckend auf.

„Der rasirten Maske nach zu schließen? Vorbei, vorbei!“ sagte er mit tragischer Declamation, die alsbald in Ruhmredigkeit umschlug. „Wer hadert mit des Schicksals Mächten? Einst kannte man meinen Namen; ich war gefeiert und gesucht, von der Memel bis zum Rhein und von der Adria bis zur Nordsee. Das Glück war mir günstig, und die Leitung eines ansehnlichen Kunstinstituts lag in meinen Händen. Aber wie ich mich hinaufgeschwungen auf die Sonnenhöhe, ging es jenseits wieder hinab. Meine Ziele waren zu ideal; das undankbare Publicum wollte sich nicht erziehen lassen. Ich war für meine Zeit zu früh geboren. Was nützt das Klagen? Ich zahlte meinen Zoll dem Menschenschicksal. Die mich unterstützen sollten, haben mich beraubt und verlassen; die Intrigue hat sich gegen mich gewandt — aber sie kriegt mich nicht unter — die Musen standen an meiner Wiege, und meine Gaben sind vielseitig. Ich bin Künstler — Künstler im Allgemeinen. Ich spiele Soloscenen — ich beherrsche mehrere Instrumente: die Holzharmonika, die Mundharmonika, die Maultrommel; ich entlocke der Tischplatte sogar musikalische Klänge; ich gebe einem Blatte Papier sechszig verschiedene Formen und ahme auf’s Täuschendste Thierstimmen nach; mein besonderes Fach aber ist die natürliche Magie. Ich habe Bosco, Döbler — mit dem war ich in Hamburg zusammen — Mohnhaupt — den kenne ich von Riga — und Kratky Baschik, dem ich ein Gastspiel in Constantinopel durch meine Connexionen vermittelte, ihre intimsten Geheimnisse abgelauscht. Damals war es noch meine Privatpassion — aber du lieber Himmel! Die Kunst geht nach Brod. Sie erlauben mir, daß ich eine Probe meiner Geschicklichkeit gebe?“

Und ohne die Erlaubniß erst abzuwarten, hatte er sich schon der Photographien auf dem Tischchen bemächtigt.

„Wir haben jetzt keine Zeit,“ wendete Hilda ein und bemühte sich die Ablehnung so wenig unfreundlich wie möglich erscheinen zu lassen. Mimi aber bat Tantchen, doch noch ein wenig zu warten:

„Ich sehe dergleichen für mein Leben gern.“

Ein Blick, eine Kopfneigung des Taschenspielers dankte der Fürsprecherin. Er mischte bereits die Blätter wie ein gewöhnliches Spiel Karten.

„Prestigiateur, gnädiges Fräulein, nichts als Prestigiateur, kein Hexenmeister,“ plauderte er dabei. „Schnelligkeit ist ja die Hauptsache beim Metier. Darf ich Sie bitten, sich eine der Karten zu merken? Aber den schönsten jungen Herrn, damit mir die Sache nicht zu schwer wird! — Und Sie, mein gnädiges Fräulein — ebenfalls eine — ja? Mein Herr — ich will Sie nicht zwingen. Eins, zwei, drei — wupp!“

Er schlug den Fächer zusammen, blies auf das Paket, schnippte darauf, legte es auf das Tischchen zurück, netzte die Finger an den Lippen und streckte, wie wenn er ein unangenehmes Gefühl auf dem Rücken beseitigen wolle, die Arme so weit aus, daß ein paar zerknitterte Manschetten zum Vorschein kamen.

„Un, deux, trois! Allez, changez, passez!“ rief er, mit den Händen durch die Luft fahrend. „Haben Sie sie fliegen gesehen? Nicht? Doch! Hier, in Ihren Rock sind sie hereingeflattert, mein Herr. Sie erlauben. Ah, sehen Sie, hier in der Westentasche! Mein schönes Fräulein, ist es diese Karte? Ah, ich sehe, es ist die rechte. — Aber, mein Herr, Sie müssen mir schon noch einmal erlauben. Richtig, hier! Gnädiges Fräulein – haben Sie diese im Gedächtniß?“

Es war eine ganz merkwürdige Betonung, mit der er diese letzte Frage stellte. Auch sein Antlitz hatte — ungesehen von Meinhard, der hinter ihm stand, und Mimi, die erröthend noch immer auf die in ihre Hände gelegte Photographie starrte — einen ganz veränderten Ausdruck angenommen. Blinzelnd hing sein von den niederhängenden Lidern verkleinertes Auge an Hilda’s Antlitz und zuckte triumphirend, als es die plötzliche Verwandlung in ihren Zügen wahrnahm.

Vorerst nur gleichgültig, hatte ihr Blick der Aufforderung Folge geleistet, fast widerwillig; jetzt hing er erschrocken an der ihr zugekehrten Seite des Kärtchens. Eine Bewegung ging durch ihren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)