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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Körper, doch ließ der schlaue und bei all seiner Schwerfälligkeit doch gewandte Mann ihre Ueberraschung nicht zu Worte kommen.

„Sie erkennen die Photographie nicht? Sollte es eine falsche Karte sein?“ fragte er wie verwundert und setzte dann rasch entschlossen hinzu: „Fort also! Allez, changez, passez! — Ach, ja natürlich, es war ein stärkerer Magnet da. Sie selbst haben sie angezogen. Es ist aber nicht schön, daß das gnädige Fräulein sie im Aermel verstecken, um mich in Verlegenheit zu bringen.“

Mit zwei Fingern holte er scheinbar das Blatt an ihrem Handgelenke hervor. Geschickt verbarg er ihre beim Anblick der Photographie sich steigernde Verwirrung vor Meinhard, dessen Aufmerksamkeit er abzulenken wußte.

„Mein Herr, Sie werden sich überzeugt haben, daß Ihre Uhr noch vorhanden ist.“

Er sagte es höflich, aber mit einer gewissen impertinenten Ironie.

Mimi drehte noch immer ihr Kärtchen zwischen den Fingern.

„Aber das ist doch wunderbar!“ äußerte sie.

„Ich leiste noch Wunderbareres, mein Fräulein,“ brüstete sich der Künstler. „Ich begnüge mich nicht mit dem Escamotiren; ich bin Magnetiseur; ich errathe Gedanken; ich citire Geister; ich bringe die Abwesenden zum Sprechen. Wenn mir eine kleine Probe gestattet ist — —“

„Wir werden das ja bei Ihrer Vorstellung sehen,“ wollte Meinhard vorbeugen, aber Mimi erhob bittend die kleinen Hände.

„Ach, nur ein klein wenig!“

“Es bedarf gar keiner Vorbereitungen — bitte! Ich habe zum Beispiel einen Bekannten in Amerika, wollen wir den anrufen? — Hollah, Bill! How do You do? Immer aufrecht? Wie geht es Deiner Frau?“ Er ließ die beiden letzten Sätze in die trichterförmig vor den Mund gelegten Hände fallen und neigte, wie um besser zu hören, den Kopf zur Seite, wodurch aber das Gesicht sich so weit abwendete, daß es sich jeder Beobachtung seines kleinen Publicums entzog. Aus großer Tiefe schien eine gänzlich veränderte Stimme zu antworten:

„Was weiß ich — ich, bin nicht mehr in Amerika.“

Bei dem ersten Tone schrak Hilda von Neuem zusammen; doch bekämpfte sie die heftige Unruhe. Das Zwiegespräch nahm mittlerweile seinen Fortgang.

„Ist’s möglich, Bill? Also nicht mehr jenseits des großen Teiches? Wo denn sonst?“

„Das hörst Du doch; hier.“

„Du meinst doch nicht hier im Hause?“

„Natürlich, im Keller.“

„So komm doch herauf!“

„Daß ich ein Narr wäre; man hält mich ja versteckt.“

„Aber Andere werden Dich finden, so gut wie ich Dich fand.“

„Du wirst schweigen und mich nicht verrathen.“

„Das hängt von Umständen ab.“

„Komm wieder, wenn ich ausgeschlafen habe! Ich bin müde. Gute Nacht!“

„Gute Nacht! — — Die Reise scheint ihn angestrengt zu haben. Aber ich darf nichts weiter mittheilen. Sie hörten, meine Herrschaften, er verlangt Discretion. Wir wollen ihn in Ruhe lassen, den armen Jungen — bis zu meiner Vorstellung.“

Auf den letzten Worten, mit denen er sich zurück an die Gesellschaft wandte, lag wieder ein eigenthümlicher Nachdruck, und Hilda’s fragender Blick begegnete einer noch durchdringenderen Frage in seinen Augen, die sich aber blitzschnell wieder abwendeten. Es war eine Art Abschiedsverbeugung, die er inscenirte, während ihm Mimi lebhaft Beifall klatschte.

„Wir kommen jedenfalls — nicht wahr, Tantchen?“ versprach sie dem sich langsam der Thür Nähernden, der murmelnd die Versicherung gab, er werde selbst die Ehre haben, das Programm zu überreichen, sobald der Tag erst festgestellt sei, und unter einer nochmaligen tiefen Verbeugung verschwand, als Hilda sich aufrichtete und ihm stockend und hastig die Weisung gab, im Flure zu verweilen, bis er von ihr Nachricht hätte.

„Soll ich Dir vielleicht Dein Geldtäschchen bringen?“ fragte Mimi, welche die Absicht der Tante zu errathen meinte.

Eine Handbewegung lehnte ab.

„Was ist Ihnen, Hilda?“ nahm Meinhard, schärfer beobachtend, das Wort.

„O nichts — nichts — wohl nur eine Sinnestäuschung.“

„Ein gewöhnliches Kunststück der Bauchrednerei.“

„Sie zerstören Einem, doch immer alle Illusionen, Onkel,“ schmollte Mimi. „Sagen Sie mir, wie mochte er nur wissen, daß ich mir gerade die Photographie Onkel Edwin’s gedacht hatte?“

Unterdeß hatte Hilda das Gemach verlassen. Sobald sie das anstoßende Schlafzimmer betreten und die Thür hinter sich geschlossen hatte, zog sie die Klingelschnur und sandte das Mädchen mit dem Auftrage weg, ihr den Taschenspieler hierher zu bescheiden.

Was hatte diese Mahnung, die von einem ihr völlig Unbekannten ausging, zu bedeuten? Sie hatte sich gewiß nicht getäuscht, als sie in dem ihr zuerst vorgehaltenen Bildnisse die Züge des im Hause wie todt Betrachteten erkannte. Unter jenen Photographien befand sich diejenige ihres zweiten Bruders nicht; sie konnte auch nicht darunter gerathen sein; denn alle seine Bilder waren ja vernichtet oder weggeschlossen worden; es durfte keines dem Bruder Franz unter die Augen kommen, seit dieser den Unwürdigen aus der Familie, sogar aus seinem Gedächtnisse ausgeschieden. Woher kam nur das Bild?

(Fortsetzung folgt.)




Zum hundertjährigen Geburtstage Friedrich Fröbel’s.
Eine Skizze von Wichard Lange.

Man wird ihn feiern, diesen Geburtstag, am 21. April dieses Jahres, und hoffentlich in einer Weise, die des Mannes würdig ist und unserer Nation zur Ehre gereicht; denn selten ist einem deutschen Manne eine so wohlverdiente Berühmtheit zu Theil geworden, wie sie Friedrich Fröbel genießt. So weit die „Gartenlaube“ dringt — das heißt so weit die menschliche Civilisation auf diesem Erdenrund reicht — kennt man den Namen: Friedrich Fröbel, wenn man auch selbst im Vaterlande noch viel zu wenig unterrichtet ist über seine eigentliche Bedeutung. Darum kann und will sich gerade dieses Organ der Pflicht nicht entziehen, zur richtigen Würdigung des vielgenannten Mannes seinen Beitrag zu liefern.

Das Leben Fröbel’s zerfällt in zwei scharf getrennte Hälften: in der einen Hälfte ist er ein Suchender, Irrender und Ringender, eine Art Ritter vom heiligen Graal; die zweite beginnt, als er gefunden, was er gesucht hat, und nun die Hebel ansetzt zur Verwirklichung seiner Lebensidee, die ihm so wichtig erscheint, daß er sie als einen förmlichen Wendepunkt in der Zeitentwickelung betrachten zu müssen glaubt. Erst ist er der irrende, tappende, schwankende, dann der klar schauende, selbstbewußte, thatkräftige, an sich und seine Mission felsenfest glaubende Mann, den nichts irre machen kann in seinem Streben und der trotz aller Hindernisse und Enttäuschungen siegesgewiß in die Zukunft blickt.

1. Der suchende Fröbel.
„Das Kind ist des Mannes Vater.“ Lewis.

Eine geregelte Schulbildung hat Fröbel nicht genossen; er gehört also zu der nicht geringen Zahl von sogenannten Autodidakten, denen die Welt so vieles verdankt. Dafür aber hat ihn das Leben selbst in eine harte Schule genommen, und da er als genial angelegter Mensch schon früh in sich hineinschaute, da er alle empfangenen Eindrücke sorgfältig fest hielt und verarbeitete, da er, wie alle groß angelegten Naturen, ein Herz voll Liebe in der Brust trug, das andere Menschenkinder bewahren wollte vor dem, was er selber gelitten, und alles zu spenden begehrte, was er an geistigen Schätzen errungen, so hat ihn das Leben selbst zuerst zum Erzieher und dann zum Erzieher der Erzieher gemacht.

Mit einigem Grauen erinnerte er sich seiner frühen Jugendzeit; denn es wurde ihm nicht geboten, was Kinder nach Lessing mehr bedürfen als Christenthum, vielleicht auch mehr als äußere Pflege und Sorgfalt — die Mutterliebe fehlte nämlich. Und daraus hat er gelernt, daß diese das A und O aller Erziehung ist, sodaß jede pädagogische Reform, welche diese entwickelnde und belebende, ja himmlische Macht nicht aufnimmt in ihr Calcül, wie etwa die von Johann Gottlieb Fichte vorgeschlagene, als menschenverderblich betrachtet werden muß. Die Ursache aber dieser trübseligen Erfahrung,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_004.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)