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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

offenbar und sieht uns nicht. Da, da! Ach, und die Aurora ist auch dabei.“

„Aurora? Wer ist denn das?“

„Weißt Du denn das nicht? Die – – O Papa, Papa!“

Sie hatte sich nicht vergeblich auf die Fußspitzen erhoben und ihr schlankes Figürchen, das ohnedem Hilda um ein weniges überragte, so lang gestreckt als möglich. Jetzt lag sie ihrem Vater an der Brust und stieß ihm von rückwärts mit dem Strauß, der für die „neue Mama“ bestimmt war, den Hut über die Augen.

Darnach kam freilich auch diese an die Reihe, und der Strauß an seine Bestimmung. Was aber der Kleinen diesmal an Zärtlichkeit, trotz aller guten Vorsätze, doch gebrechen wollte, ersetzte die junge Frau durch ihr Entgegenkommen. Sie zog Mimi liebreich an ihr Herz, und es war sogar etwas wie Rührung in ihren schönen regelmäßigen Zügen, als sie einen langen Kuß auf die Stirn des Wesens drückte, dem sie Mutter zu sein versprochen.

„So ist es recht. Ihr müßt Freundinnen werden!“ meinte Mimi’s Vater, der wohlgefällig die Gruppe betrachtete, indem er sich den Jägerhut über dem gebräunten energischen Gesichte wieder zurecht schob.

„Das sind wir schon. Wir wollen aber mehr werden – Schwestern! Nicht wahr?“ sagte die junge Frau, sich abermals zu Mimi herab neigend, und hatte sich mit dem einzigen Worte in deren Herzen mehr Platz erobert, als das verwöhnte Kind für möglich gehalten. Nur von einer andern Mutter wollte es nichts wissen – eine Schwester aber –

„Gut, gut,“ meinte Herr von Reinach mit etwas rauhem Humor. „Der erste Trieb ist vorbei – jetzt aber vertagt Eure Herzensergießungen! Du kennst ja Hilda noch gar nicht, liebe Albertine. Erlaube! Ah, das ist brav, daß Du auch mitgekommen bist, Bruno! Das ist erst die rechte Heimath, wenn sie uns aus den alten Gesichtern grüßt. Bin doch froh, daß ich wieder daheim bin. Albertinchen, Statthaltereirath Meinhard, Respectsperson, Oberster des Amtsbezirks, Minister des Innern in spe und mein treuer Jugendfreund.“

„Ach welche Rücksichtslosigkeit! Kein Anstand, keine Achtung!“ unterbrach hier eine Stimme die Reihe der Vorstellungen. Die dicke Dame, welche sich so beklagte, schoß vernichtende Blicke um sich, während sie die kleine Gruppe, an welche sie herantrat, zur Rache aufzurufen willens schien.

Der junge schlanke Elegant, auf dessen Arm sie sich schwerfällig stützte, erklärte lachend:

„Mama beging die Unvorsichtigkeit sich einigen Kofferträgern in den Weg zu stellen, und wäre in der That beinahe über den Haufen gerannt worden.“

„Ueber den Haufen – über den Haufen,“ wiederholte sie mit tadelndem Gemurmel das anstößige Wort. Ihr durch den Eifer stark geröthetes Antlitz verklärte sich aber plötzlich und mit einem überraschenden Uebergang, wie durch den Verwandlungsapparat bei Nebelbildern, zu dem einschmeichelndsten Lächeln, als sie sich Hilda gegenübersah.

Eine Ahnung hatte dieser schon gesagt, wen sie vor sich habe, ehe ihr Bruder noch Zeit fand, seine Schwiegermutter mit ihr bekannt zu machen. Vielleicht hatte Mimi’s Ausruf und eine dadurch hervorgerufene Ideenverbindung diese Erkennung erleichtert.

Die Besitzerin des Hauses „Zur Aurora“ neigte sich mütterlich wohlwollend zu den sie freundlich Begrüßenden.

„Ach, wie lieb!“ sagte sie mit Gefühl. „Also auch an mich haben Sie gedacht, Fräulein Hilda? Sie sind zu aufmerksam! Wirklich, zu freundlich! Das schöne Bouquet für mich! Wie soll ich Ihnen danken? Sieh doch nur, Edwin, wie liebenswürdig! Diese prachtvollen Blumen so spät im Herbst! Mein Sohn, Edwin von Tonner. Mein erster Mann war ein von Tonner, wie Sie vielleicht gehört haben. Edwin, Fräulein Hilda erlaubt Dir gewiß, ihr die Hand zu küssen. Wir sind ja nun eine Familie.“

Zu gutmüthig, um Jemand absichtlich eine Enttäuschung zu bereiten, überließ Hilda den eigentlich gleichfalls für die junge Schwägerin bestimmten Strauß deren Mutter, wie sie auch den verordneten Handkuß hinnahm, obwohl sie sich von dieser Begegnung im Grunde wenig angemuthet fühlte. Vielleicht hätte sie unter anderen Umständen mehr das Komische als das Befremdliche der Situation herausgefunden, im Momente aber fehlte ihr der Humor; denn noch wirkten die in der Unterredung mit dem Freunde angeregten Gedanken in ihr nach, und überdies quälte sie der plötzlich auftauchende Gedanke, daß für die Aufnahme dieser unerwarteten Gäste gar keine Vorbereitungen getroffen waren.

Sie kannte ihres Bruders Ungeduld in solchen Dingen, und diese machte sich auch wirklich schnell genug fühlbar. Einstweilen ertheilte Herr von Reinach seinem Bedienten, Fritz, einige Befehle. Dieser hatte sich beeilt, das Handgepäck aus dem Coupé zu räumen, und stand nun mit dem abgenommenen Hut in der einen und einem Handkörbchen in der anderen Hand da. Unter dem festgebundenen Deckel des Korbes zwängte sich der Kopf eines Hündchens hervor, das nahe daran war, sich bei seinen ungestümen Befreiungsversuchen selbst zu erwürgen.

„Nur einen Wagen, sagt mir Fritz? Wie konntest Du doch daran denken, Hilda, nur einen Wagen für uns alle herzuschicken?“ zog Herr von Reinach seine Schwester zur Verantwortung. „Was nutzt der Korbwagen? Die zweiten Pferde hätten vor die Halb-Chaise gespannt werden sollen; für die Bagage konnte ein Bauerngespann kommen.“

„Wenn wir nur früher gewußt hätten –“

Aber Entschuldungen waren dem an’s Befehlen gewöhnten Gutsherrn ein Gräuel.

„Früher, früher! Wann denn? Wir trafen uns unterwegs – das hatten wir verabredet, um einige Tage noch gemeinsam zu verleben, aber ich habe die großen Städte jetzt für eine Weile satt, und war froh, als sich die Schwiegermama entschloß mitzukommen. Das alles wurde gestern Morgen erst abgemacht, und ich schrieb auf der Stelle; den Brief hast Du doch erhalten? Die Depesche heut auch? Da es der Brief noch halb im Zweifel ließ – –“

„Das Telegramm wohl, aber nicht den Brief.“

Damit war jedoch Oel in’s Feuer gegossen. Der Unmuth Reinach’s wandte sich nun gegen die Postverwaltung, das Communicationswesen, die Verwaltung überhaupt und schließlich gegen alle Einrichtungen des gesammten Staatswesens; nicht einmal ein freundlicher Beschwichtigungsversuch der jungen Frau wollte recht einschlagen. Erst Meinhard gelang es zuletzt, den Unwirschen leidlich zur Ruhe zu bringen.

Er hatte, während sich der Freund seinem Unmuthe hingab, Rath geschafft, wenigstens für das nächste Bedürfniß in dem „arg zerrütteten Staatswesen“.

Von den Passagieren des mittlerweile wieder weitergefahrenen Zuges war nur ein einziger dem harrenden Hôtelomnibus der „Krone“ zugefallen. Durch eine höfliche Einladung hatte Meinhard dessen Uebersiedelung in jenen des „Goldenen Adlers“ bewirkt; der kam ja doch auch an der „Krone“ vorüber, und ein anderes Mittel als diese Fusionirung der beiden concurrirenden Großmächte stand eben nicht zu Gebot, da sich Miethwagen an der dem Städtchen so nahen Bahnstation nur auf Bestellung einzufinden pflegten. Das einspännige Fuhrwerk bot zwar keine übermäßige Bequemlichkeit, aber es war ein Auskunftsmittel, und Mimi gab sofort ihre Bereitwilligkeit zu erkennen, von demselben Gebrauch zu machen, natürlich unter dem Schutze Edwin’s, mit dem sie unterdessen die heiterste Begrüßung gewechselt.

„Ich habe schon eine Ahnung davon gehabt, daß Sie mitkommen,“ hatte sie ihm in aller Eile anvertraut.

„Wirklich? Sie erwarteten mich? Darf ich hoffen, mit Ungeduld?“

„Davon habe ich nichts gespürt.“

Aber das freundliche Lächeln, mit dem sie seinen feurigen Blick erwiderte, benahm selbst dem grausamen Beisatze: „Nur mit Hunger, weil wir heute so spät zum Abendessen kommen,“ seinen Stachel. Sie nahm es denn auch nicht sonderlich huldvoll auf, als Frau Rohrwek mit einem ziemlich bestimmt lautenden: „Nein, nein, das Töchterchen gehört zu uns,“ die Entscheidung in entgegengesetztem Sinne traf. „Man darf Vater und Kind die Freude des Wiedersehens nicht verkümmern,“ fügte sie hinzu.

So war es selbstverständlich Hilda, welche auf die Gesellschaft des jungen Mannes angewiesen blieb, der ihr auf einen Wink seiner Mutter zuvorkommend den Arm bot. Beide blieben allein; denn Meinhard war nicht mit eingestiegen; er hatte es vorgezogen, die so unvorhergesehen vergrößerte Familie an diesem Abende discret sich selbst zu überlassen, und Hilda war kaum dazu gekommen, ihm noch „gute Nacht!“ zu sagen und die Hand aus dem Wagen zu reichen.

Es beschäftigte sie auch so vielerlei, daß sie kaum die Hälfte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_024.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)