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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


auf den sich ihr Bruder stützte. Da streifte sie ein dankbarer Blick des armen Kranken; er nickte stumm. „Aber wie konntest Du Deine Frau allein lassen in ihrer schweren, nun doppelt kummervollen Lage? Wilhelm, das war nicht recht. Ist der Schmerz einer Mutter nicht schon tief genug?“

„Sie singt und tanzt.“

„Unmöglich! Oder –“ sie stockte vor Entsetzen – „ist sie wahnsinnig?“

„Nein, wenn es nicht vielleicht in ihrer Rolle steht,“ antwortete er bitter. „Aber so große künstlerische Aufgaben fallen ja zumeist nur den Tragödinnen zu. Im Café chantant goutirt man keine Wahnsinnsarien.“

„So hast Du, Unseliger, sie zu diesem Verzweiflungsschritte getrieben? O, es muß grausam sein, die Gefühle, die Einem das Herz zerfleischen, verbergen zu müssen, um eine rohe Menge zu unterhalten.“

„Ja, es muß grausam sein,“ wiederholte er wie ein Automat.

„Du sagst es, Wilhelm – und empfindest dabei nichts.“

„Und vielleicht doch mehr als sie.“

„Schäme Dich! Kannst Du denn immer nur verleumden? Hast Du nicht so viel Selbstachtung, um Dein Weib nicht vor Anderen herunterzusetzen? Wenn Du nun einmal um ihren Besitz die großen Opfer gebracht hast, so sei nicht so klein, der Frau, welche ihre Heimath für Dich verlassen, die mit[WS 1] Dir hinausgezogen ist über’s weite, weite Meer, die Anerkennung zu verweigern, welche sie verdient hat! War sie es nicht, die Dein Loos muthig mit auf ihre schwachen Frauenschultern genommen hat in einem Moment, wo ihr wahrlich kein Vorwurf daraus hätte erwachsen können, wenn sie sich von Dir losgesagt hätte? Sie hat Deine Opfer mit größeren zurückgezahlt. Und Du bezeichnest achselzuckend als Schmach, wozu offenbar nur Deine eigene Indolenz sie genöthigt? Ist es nicht vielmehr eine Schmach, Deine Schmach, Wilhelm, daß Du Dich von ihrer Hände Arbeit ernähren ließest?“

„Von ihrer Hände Arbeit?“

„Hat sie nicht Hüte gefertigt, hat sie nicht Kleider gemacht? Mußte sie sich nicht selbst die armselige Summe für eine Nähmaschine bei Andern erbitten, da Du nicht einmal ihre Ersparnisse geschont hattest, wo es Deine Vergnügungen galt? O, Du siehst, ich weiß alles, oder kannst Du mir widersprechen?“

(Fortsetzung folgt.)




Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.
Von C. Michael.
16. Unsere Dienstboten.

Fast möchte sich die Feder sträuben gegen das Niederschreiben des Wortes: Dienstbote. Es klingt recht altmodisch; gemahnt es doch an die Zeiten, wo man noch nichts wußte von „Arbeitnehmern“ und „Arbeitgebern“, wo die Töchter anständiger Bürgerhäuser noch in den „Dienst“ gingen, und nicht in „Condition“, wo auch die jetzigen „Gehülfen“ noch „Gesellen“ hießen, und am Gesindetisch einer größeren Landwirthschaft Jeder und Jede fast eine Ehre darin fand, sich „Knecht“ und „Magd“ eines Gutes nennen zu hören, während diese Worte heutzutage schon beinahe für eine Beleidigung gelten.

Zu jener Zeit, aus der das Wort „Dienstbote“ stammt, war jeder Haushalt ein kleiner Sonderstaat im Staate, ein fest gegliedertes Ganzes, dessen einzelne Ringe sich gegenseitig hielten und trugen, ohne daß einer davon entbehrt werden konnte. Jetzt, wo sich dieses gegenseitige Verhältniß in einem so hohen Grade gelockert hat, daß die Dienstboten, der Schwalbe gleich, aus- und einstreichen in unsern Häusern, daß man sie gleichgültig wechselt, wie einen Rock, jetzt ist es ganz in der Ordnung, daß man für diese neuen Verhältnisse auch neue Bezeichnungen gewählt hat.

„Kindergärtnerin“, „Bonne“, „Stütze der Hausfrau“, „Kochmamsell“, „Beschließerin“ und „Ausgeberin“, „Pferdewärter“ und „Schafmeister“ – es klingt wirklich Alles recht fein und nobel; diese netten Namen verhüllen in anständiger Weise, daß man fremdem Willen zu gehorchen hat, daß man seine Kräfte dazu anwendet, auf ehrliche Weise sein Fortkommen in fremden Diensten zu finden.

Als ob dies eine Schande wäre!

Mit dem Namenswechsel ist aber an der Sache selbst doch nichts geändert, und ob unsere Dienerschaft nun so oder so genannt wird, die Klagen über dieselbe von Seiten der Herrschaften sind durchaus nicht geringer geworden. An den beliebten Kaffee- und Theetischen unserer Hausfrauen bilden sie noch immer ein ebenso unerschöpfliches Gesprächsthema wie vor hundert Jahren. Wollte man sich aber die Mühe nehmen, an den Thüren von Küche, Stall und Dienststuben zu horchen, so würde man dort in gleicher Weise die Kehrseite der Frage erörtern hören; denn auch die Klagen der Dienstboten über ihre Herrschaften sind ein ewig unerschöpfliches Thema. Und wenn wir gerecht sein wollen: jede der beiden Parteien hat in der That oft genug Grund, zu klagen.

Die „vernünftige Hausmutter“ greift in ihren Schilderungen und Betrachtungen nicht hinaus über ihr Gebiet; sie hat nur einfach bürgerliche Verhältnisse im Auge, und läßt jene großen Paläste unberücksichtigt, wo ein ganzes Heer von Dienerschaft einem Haushofmeister unterthan ist und von diesem geleitet wird. Solche Haushaltungen haben natürlich andere Gesetze und Regeln als die unserigen, wenngleich auch dort die bekannte Erfahrung gemacht werden mag, daß man am besten bedient ist, je weniger Dienerschaft man hält. Im Leben des Mittelstandes hat dieser Satz sich häufig bewährt. Wer es haben kann, der halte sich zwei Dienstmädchen, mehr nur dann, wenn etwa ein Kranker oder ein Säugling im Hause ganz specieller Pflege bedarf! Oft erfordert auch der Beruf des Hausherrn einen männlichen Diener, der dann seinen besonderen Pflichtenkreis für sich hat.

Zwischen zwei Dienstboten kann die Arbeit gut getheilt werden, während ein Dritter nur dazu da ist, um von den beiden andern als Aschenbrödel benutzt zu werden. Viele sehr anständige Familien begnügen sich in den jetzigen theuren Zeiten wohl auch mit nur einem Mädchen, und finden es nicht unter ihrer Würde, bei den feineren Arbeiten selbst thätig zuzugreifen. Ja, einigen unter ihnen wird diese Selbstthätigkeit zu einer so lieben Gewohnheit, daß sie dieselbe selbst dann nicht missen mögen, wenn sich ihre Verhältnisse verbessert haben.

Eine meiner Verwandten hatte einen jungen Officier geheirathet und sich im Anfang ihrer Ehe recht knapp behelfen müssen. Sie hielt stets nur ein Dienstmädchen. Als aber ihr Mann später Oberst wurde, fragte man sie:

„Nicht wahr – jetzt wirst Du Dir doch ein Stubenmädchen nehmen? Jetzt wirst Du nicht mehr selbst die Betten machen wollen?“

„O, gewiß will ich das,“ lachte die fröhliche, rüstige Frau, „denn als Obristin will ich erst recht gut schlafen, und das kann ich nur, wenn ich mein Bett selbst geordnet habe.“

Nach meiner Erfahrung kann man die brauchbaren, braven Mädchen einfacher Haushaltungen in zwei große Hälften scheiden, in Gutmüthige und in Selbstbewußte.

Die Schaar der Gutmüthigen besteht meist aus Mädchen vom Lande, die ein paar derbe Fäuste und den allerbesten Willen, sonst aber nicht viel mitbringen. Anspruchslos und bescheiden, stets guter Laune, sind diese Personen willig zu jeder Arbeit; ja, wenn du einer Solchen früh Morgens das Programm der Tagesarbeit entwirfst, so wird sie meistens noch einige Vorschläge mehr anbringen. Du sagst vielleicht zu deiner „Auguste“:

„Diesen Nachmittag kannst Du die Wäsche rollen.“

„Vorher möchte ich aber noch die Fenster putzen,“ meint sie.

„Wie war es gleich mit der Lampe?“ fragst du weiter, „wann sollte sie fertig werden?“

„Sie ist heute fertig; ich will sie nachher abholen, wenn ich die Wäsche gerollt habe. Es sind ohnedem auch noch Stiefel zum Schuhmacher zu tragen, die nehme ich dann gleich mit.“

Die Frau ist ganz entzückt über den guten Willen ihres Mädchens; aber ach! Wenn sie des Abends die Arbeit controllirt, ist die Wäsche vielleicht nicht zur Hälfte zusammengelegt, an Rollen noch nicht zu denken. „Mit dem Fensterputzen bin ich nur im Salon fertig geworden,“ berichtet das Dienstmädchen, „aber ich putze die anderen morgen früh bei Zeiten,“ fügt sie eifrig hinzu.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: mir
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_062.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2023)