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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

wir noch auf sehr beschwerlichem, geröllreichem Fußpfade in die Ebene hinuntersteigen zu müssen, kamen zwar todtmüde an, traten aber trotzdem noch in die schon dunkelnden, öden[WS 1] Gassen der menschenleeren Ruinenstadt ein. Angesichts der melancholischen, alles umrankenden Epheuhaine und der düstern Mauern wurden wir folgerichtig sentimental und ließen uns demgemäß von der schnell hereinbrechenden Nacht unliebsam überraschen. Aus der endlosen Ebene stiegen kalte Nebel auf; der Mond, auf dessen Beleuchtung wir uns naiver Weise verlassen hatten, vermochte die Umgegend nur ungenügend zu erhellen; unser Führer (ein junger Kerl von elf Jahren) erklärte jetzt erst unter Thränen, er wisse den Weg von hier nach Cori zurück nicht zu finden; die Nacht wurde immer unbehaglicher, und wir glaubten bereits nicht ohne Grund gewisse Symptome des gefürchteten Malariafiebers an uns zu verspüren, von dessen Wirkung wir soeben in der Entvölkerung der Stadt Ninfa die wünschenswerth klarsten Beweise vor Augen gehabt.

Ohne jeden näheren geographischen Anhaltspunkt schlugen wir in einiger Resignation eine Wegrichtung ein, die uns nach unserer Berechnung in weitem Bogen um den Fuß des Gebirgsvorsprunges herum durch die Ebene endlich einmal nach Cori bringen mußte. Zwar war diese Berechnung, wie es sich ergab, ganz richtig; nur bezüglich der räumlichen Ausdehnung unseres Weges hatten wir uns zu unserem Nachtheile um die Kleinigkeit von drei Stunden verrechnet. Es war ein ungemüthlicher Marsch, den wir auszuführen hatten in der neblig-feuchten Campagna; ohne einen wirklichen Weg unter uns zu spüren, marschirten wir in der Dunkelheit dahin, mechanisch die Füße vorwärts bewegend; in angemessenen Zwischenräumen mußte manch’ unvorhergesehenes Hinderniß umgangen, mancher Graben übersprungen werden; mehrmals entdeckten wir in der Ferne ein Licht, das auf eine menschliche Wohnung schließen ließ, sich aber jedesmal nach erfolgter Annäherung als ein Lagerfeuer erwies, an welchem ohne Zweifel Campagnahirten unter freiem Himmel schliefen, von welchem wir aber durch eine wüthende Attacke einer Meute von bösartigen Hunden jedesmal schon von Weitem wieder abgewiesen wurden.

Nach mehrstündigem Marsche, während dessen unser armer Führer sämmtliche ihm bekannte Heilige unter reichlichem Thränenflusse angerufen hatte, erklärte er plötzlich: jetzt sei ihm der Weg wieder bekannt. In der That übernahm er auch alsbald wieder die Führerschaft, und als wir endlich am Fuße eines mit Oliven spärlich bewachsenen felsigen Hanges anlangten, lootste er uns mit Behendigkeit durch allerlei Hecken und über viel Felsengeröll auf eine Art von Weg, der endlich, endlich zu den ersten Häusern von Cori führte. Als wir so – lange nach Mitternacht – wieder in die Locanda eintraten, empfing uns der Wirth, der Morgens keinen allzu ehrenwerthen Eindruck gemacht hatte, mit auffallend herzlichen Glückwünschen darüber, „daß uns kein Unglück zugestoßen sei“, Glückwünsche, die übrigens in unseren Augen an Selbstlosigkeit bedeutend verloren, als er mit Eifer hinzu setzte: „Ihr Wein von heute Morgen ist ja noch nicht bezahlt.“

Wohlbehalten kamen wir nach einigen Tagen, während welcher wir das Volskergebirge auf zum Theil recht abenteuerlichen Touren durchstreift hatten, nach Rom zurück, wo wir – etwas selbstloser, als vom Wirth in Cori – mit Freuden begrüßt wurden, nachdem unsere Bekannten nicht ohne Besorgnisse einen Tag länger, als verabredet war, auf uns gewartet hatten.

R. E.


Zum Abbruch verurtheilt!

Ein letzter Besuch im Kerker von Newgate.
Londoner Skizze von Leopold Katscher.

In nächster Nähe der berühmten Londoner St. Pauls-Kirche, an der Ecke von Newgatestreet und Old Bailey, fesseln zwei imposante Häuserkolosse aus massiven Riesenquadern unsern Blick. Mit ihrem grimmigen, düstern Aussehen und ihrer Thor- und Fensterlosigkeit nehmen sie sich in dieser modernen, geschäftigen Welt, unter Wagengerassel, Menschengedränge, Schreibstuben und glänzenden Läden befremdend genug aus. Eine Art Terrasse, die zwischen den beiden Gebäuden liegt, ist von außen her nicht zugänglich und dient nur als innere Verbindung zwischen ihnen. Das eine ist das „Sessions House of Old Bailey“ oder das Central-Criminalgericht von London, das andere der traurig berühmte Kerker von Newgate, das älteste und düsterste aller bestehenden Gefängnisse dieser gewaltigen Stadt. Hier wollen wir uns nur mit diesem letzteren Gebäude beschäftigen.

Die Einförmigkeit der Architektur des Gefängnisses wird auf der Südfront durch die in Nischen stehenden allegorischen Statuen der Eintracht, der Barmherzigkeit, der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, des Friedens und des Reichthums unterbrochen. Diese jetzt die äußeren Mauern des Kerkers von Newgate zierenden Standbilder schmückten einst das New Gate („Neue Thor“), welches dort lag, wo gegenwärtig Giltspurstreet und Newgatestreet einander kreuzen. New Gate war eines der fünf Hauptthore der alten City und enthielt ein Gefängniß, dessen nächtliche Gräuel der Quäker Ellwood eingehend beschrieben hat; sämmtliche Insassen mußten in einem einzigen Saale, zusammengepfercht, schlafen und „die Ausdünstungen so vieler Menschen genügten zur Erzeugung von mancherlei Krankheiten“; in der That starben während der großen Pest am Neuthor allein zweiundfünfzig Personen.

Aus diesem Gefängnisse ging später der jetzige Newgatekerker hervor, den George Dance, der berühmte Erbauer des Mansion House – des Amtssitzes der Lordmayors von London – von 1770 bis 1780 aufführte. Er richtete in Plan und Ausführung dieses Bauwerkes sein Hauptaugenmerk auf die Verhinderung des Entweichens von Gefangenen, und es gelang ihm denn auch, in dieser Beziehung das Möglichste zu leisten. Newgate ist nicht nur eines der größten Gefängnißhäuser – seine Hauptfaçade ist neunzig Meter lang – sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch das stärkste der Welt.

Das neue Gebäude war kaum vollendet, als ein Theil desselben im Jahre 1780 von den „Gordon Rioters“ wieder zerstört wurde. Lord George Gordon – der später in diesem Gefängnisse, wo er wegen einer Beleidigung der Königin von Frankreich eingesperrt war, sterben sollte – fuhr damals in einem vierspännigen Wagen umher und ermunterte einen aus fanatischen Quäkern, Negern, Matrosen, Wirthshauskellnern und allerlei Gesindel zusammengesetzten Pöbelhaufen bei dem Zerstörungswerke; Einige brannten die Wohnung des Gefängnißdirectors nieder; Andere plünderten das Gefängniß, befreiten die Sträflinge und trugen sie im Triumphe auf die Straße. Aber das war verlorene Liebesmüh’; denn der Schaden wurde bald gutgemacht, und im Jahre 1782 war das Gebäude vollends wieder hergestellt. Newgate, welches im Jahre 1858 zum Zweck der Einführung des Einzelzellensystems einem Umbau unterzogen wurde, war früher Straf- und Schuldengefängniß, und erst seit einigen Jahrzehnten wird es ausschließlich als Untersuchungskerker verwendet. Die Gefangenen werden über die erwähnte Terrasse oder durch einen anderen tüchtig vergitterten Hof zu den Verhandlungen in das anstoßende Criminalgericht gebracht.

Wer könnte all die Gräuel herzählen, deren Zeugen die Mauern von Newgate waren! Früher wurden dort Menschen dutzendweise gehenkt, die kein größeres Verbrechen b[e]g[a]ngen hatten, als Kaninchenfallen gelegt zu haben. Die Verurtheilten wurden auf offenen Karren nach dem Tyburn-Tree gefahren, wo im vorigen Jahrhundert die Hinrichtungen stattfanden und wo das niedrige Volk sich bei Gin und Pfefferkuchen den ärgsten Gemeinheiten und Ausgelassenheiten hingab. In dem bereits mehrfach erwähnten Raume zwischen Newgate und Old Bailey wurde die Folter des Zutodedrückens vollzogen; der Hof erhielt hiervon den Namen „Preß-Yard“. Wollte ein eines schweren Verbrechens Angeklagter seine Schuld nicht gestehen, so wurde er in einem auf diesen Hof mündenden Zimmer nackt auf den Boden gestreckt und während der ganzen Dauer der Tortur nur mit einem zur Erhaltung des Lebens gerade ausreichenden Minimum von Brod und Wasser genährt. Auf die Brust legte man ihm schwere eiserne Gewichte, welche vermehrt wurden, bis der Unglückliche entweder gestand oder starb. Manche Angeklagten erlitten diesen qualvollen Tod mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: oden
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_086.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)