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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Aufgabe verhält, Ihre Neigung macht Sie nicht einmal geschickter in dem Spiele, das Sie doch versprachen mir zu lehren.“

„Es ist ja eben meine Neigung, die mich ungeschickt macht.“

„Wie wäre das möglich? Rasch geben Sie doch zu!“

„Weil sie nicht den Karten gilt. Was kann ich dafür, wenn ich stets von diesen langweiligen Karten fort und anderswohin sehen muß?“

„Da haben Sie schon wieder vergeben. Wenn Sie nicht aufmerken –!“

„Ich merke viel lieber auf diese rosigen Händchen –“

„Ach, meine Hände sind so häßlich – das weiß ich recht gut. Es ist nicht recht, daß Sie spotten.“

Und ihre Karten fallen lassend, verbarg sie das verleumdete Paar rasch unter dem Tische.

„Nun, ich will nicht widersprechen,“ ergab er sich mit erkünsteltem Ernste, „aber Sie tragen selbst die Schuld – warum vernachlässigen Sie dieselben so? Immer sitzt ein Tintenfleck daran.“

„Das ist nicht wahr,“ rief sie feuerroth werdend und streckte ebenso rasch, wie sie sie verborgen, die kleinen Hände wieder vor.

„Zeigen Sie mir einen!“

„Da, da!“ Er beugte sich vor, wie um besser zu sehen und im Nu hatte er einen Kuß auf die Fingerspitzen gedrückt.

„Ah, das ist nicht erlaubt!“

„Um so besser! Ich übe mich im Besiegen von Hindernissen.“

„Ich dulde es aber nicht. Das ist ein tückischer Ueberfall.“

„Nicht so laut, sonst wecken Sie Mama und Fips!“

„Ich werde sie zu Hülfe rufen, wenn Sie meine Hände nicht loslassen. Pfui, ich bin böse.“

„Aber doch nicht ernstlich? Bitte, bitte! Versprechen Sie mir ein kleines Lösegeld für die Gefangenen?“

„Horch!“ Wie im Schreck war sie aufgefahren. Edwin horchte auf und hielt ihre Hände für einen Moment loser in den seinigen. Diese Gelegenheit klug benutzend befreite sich die schlaue Kleine vollends aus der Gewalt des Ueberlisteten. „Ich habe keine kleine Münze bei mir, aber zu Weihnachten sollen Sie einen Federwischer erhalten,“ rief sie triumphirend und huschte lachend davon.

„Ausbruch aus dem Gefängnisse! Das verschärft nur die Strafe,“ meinte Edwin.

Eifrig wollte er dem muthwilligen Kinde folgen, doch ehe er noch die Glasthür erreicht hatte, die auf den Rasengrund des kleinen Parkes hinausführte, rief die Stimme der Mutter:

„Edwin, Edwin!“

„Ich dächte, Du hättest geschlafen, Mutter,“ murrte er ein wenig übellaunig.

„Eine zärtliche Mutter wacht immer, wo es das Glück ihrer Kinder gilt, lieber Edwin.“

„Das muß eine recht aufreibende Beschäftigung sein. Wolltest Du die Sorge nicht mir überlassen, Mama?“

„Ich will Dir im Gegentheile jede Sorge fernhalten, weil ich erfahren habe, was Sorge ist. Du solltest mir im Herzen dankbar dafür sein.“

„Nun ja, wodurch muß ich meine Dankbarkeit beweisen? Befiehl! Dich auf meinen Schultern in Deine Wohnung hinauftragen? Fips durch den Reif springen lehren oder für ihn Zucker vom Kaffeetische unterschlagen und ihn damit zu Tode füttern?“

„Deine Tollheiten auf ein paar Minuten lassen und Dich auf ein vernünftiges Wort hier an meine Seite setzen.“

„Ich sitze. Mein Theil wäre gethan – das andere hängt nicht von mir ab.“

Frau Rohrwek ging über die Anzüglichkeit ihres Sohnes schweigend hinweg, war sie doch von ihrem Lieblinge durch besonders respektvolles Benehmen nicht verwöhnt. Ihr genügte der Anschein von Gehorsam, und sie hielt die Gelegenheit fest, ihre schwankende Autorität wieder zu befestigen.

„Denkst Du denn gar nicht ein Bischen nach?“ begann sie. „Was soll diese Neckerei und dieses ewige Herumspielen und Tollen mit dem kleinen Mädchen?“

„Ich unterhalte mich eben dabei.“

„Aber wohin soll das führen? frage ich.“

„Mama, da machst Du Dir wirklich recht unnöthige Mühe. Sieh, ich frage nicht und denke nicht daran.“

„Aber die Kleine denkt daran. Sie ist eine schlaue Kokette und giebt sich alle Mühe, Dich zu fangen. Glaube mir, ich weiß das zu unterscheiden. Du bist ein schöner Mann, ein Mann von Geist, von Adel – –“

„Aber, Mama, Du schmeichelst mir. Weißt Du, das dürfen Eltern ihren Kindern gegenüber nie thun; es ist eine fehlerhafte Erziehungsmethode. Nicht daß ich von meinem eigenen Werthe im Allgemeinen zu gering dächte –“ er sagte das mit einer Mischung von Humor und Selbstgefälligkeit, während er seinen zierlichen Schnurrbart zwischen den Fingerspitzen durchlaufen ließ. „Ich weiß meine persönlichen Eigenschaften wohl zu schätzen. Du solltest nicht beitragen, meine Eitelkeit zu erhöhen, da ich schon so ziemlich das Bewußtsein einer unerreichbaren Vollkommenheit in mir trage.“

„Und mit Recht,“ sagte die Mutter stolz und betrachtete ihn mit verzückten Blicken. „Aber eben deshalb darfst Du auch Ansprüche stellen; die Welt ist Dir eine Entschädigung schuldig –“

„Für das nicht vorhandene Erbe meines Vaters.“

„Du bist ein Herr von Tonner –“

„Zu meinem Bedauern – als Edwin Rohrwek würde ich das Vermögen meiner Schwester theilen – nicht daß ich es ihr nicht gönne –“

„Du darfst es ihr auch gönnen; es liegt ja ganz an Dir, Dich in dieselbe Lage zu versetzen. Du brauchst blos die Hand auszustrecken.“

Es schien fast, als beabsichtige er dem Rathe sofort zu folgen, wenigstens hob er die Hand und beugte sich horchend vor. Man vernahm aus der Ferne die Töne des Claviers.

„Siehst Du, und Hilda ist nicht etwa weiter nichts als ein wohlhabendes Mädchen, ein Mädchen, das außer ihrem Baarvermögen nichts besäße – sie hat auch Bildung und Talente. Und wie hübsch sie wieder spielt, viel hübscher als die Kleine!“

Edwin hütete sich wohl, die Mutter aus ihrem Irrthume zu reißen und ihr zu sagen, wer diese schottische Polka, die seine eigene Composition war, ihm abgelernt hatte.

Wie elektrisirt hob er sich nach dem Tacte und summte dazu in rascher Improvisation:

„Komm’ doch, komm’ doch, nimm mich gefangen!
Komm’ doch, komm doch, straf’ mich recht hart!“

„Und dann –“ fuhr Frau Rohrwek fort, „Ihr Männer habt zwar in Geschmackssachen Eure eignen Ansichten, aber ich glaube doch auch ein Bischen Urtheil darüber zu haben, was Frauenschönheit ist. Man hat mir in meiner Jugend zu oft aus einander gesetzt, was man an mir bewundert, und dann ist man ja auch nicht blind für seine eigenen Vorzüge – da ist der Spiegel – und man stellt so ein wenig seine Vergleiche an. Ich will nicht sagen, daß Hilda ganz meinem Ideale entspreche; dazu ist sie nicht groß und voll genug; sie erreicht Deine Schwester nicht, die ein Bild von mir ist, wie ich in meiner Jugend war, aber was wahr ist, muß man Hilda doch lassen: gut gewachsen ist sie, und ihr Teint – nun, so was wird nicht leicht zu finden sein – wie Alabaster; man könnte glauben, sie wäre erst heute achtzehn Jahre alt geworden und was nun gar ihre Augen betrifft – –!“

„Ja, Du hast Recht,“ erwärmte sich nun auch Edwin an dieser begeisterten Schilderung. „Ihre Augen könnten es einem wirklich anthun. Nixenaugen, hell und klar wie Wasser, meint man zuerst zu sehen, und dann ist’s, als ob man untertauche, immer tiefer und tiefer – wie in eine unergründliche, goldig schimmernde Dämmerung.“

„Nun also!“ rief die Matrone erfreut. „Du solltest ihr das doch in einem Deiner Gedichte sagen. Du dichtest so schön. Das ist unwiderstehlich! Probire es doch nur!“

„Das ist es ja eben,“ entgegnete er bedenklich. „Für ein Gedicht kann es keinen glücklicheren Vorwurf geben, aber man kann ja nicht in einemfort dichten, und so für’s Leben – – Sie ist mir doch eigentlich zu edel, zu ruhig, zu erhaben, zu – zu frauenhaft, möchte ich sagen. Ich bewundere diese hohe Weiblichkeit, aber ich amusire mich doch viel mehr mit einem lustig bewimpelten kleinen Kahn als mit einem stolz dahinsegelnden Linienschiffe. Ich liebe das Niedliche, das Pikante, siehst Du, das Prickelnde, den Champagner – das ist etwas ganz Anderes.“

„Ja, aber gerade der Champagner gehört nicht zu den Genüssen, die man an jedem ländlichen Röhrbrunnen haben kann.“

„Du sprichst wie ein Buch, Mama,“ seufzte er.

„Und um Dir ein Beispiel zu geben: wenn ich das nicht bedacht hätte, als die Frage an mich herantrat, so wäre ich – so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_090.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)