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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 7.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


Plötzlich vernahm Hilda in einiger Entfernung hinter sich die Stimme ihres Bruders.

„Hollah! Auf ein Wort!“ rief Franz in munterer Laune. „Ihr scheint ja auf dem besten Wege, mit einander auf und davon zu gehen. Nur mit knapper Noth war’t Ihr noch einzuholen. Nun, Dir, Bruno, darf ich sie schon anvertrauen. Aber wie ist’s, Schwester, wenn Du für heute allenfalls noch umzukehren willens bist, wär’s, denk’ ich, Zeit.“

Die kleine Neckerei fand keine Erwiderung. Daß Hilda nicht, wie sonst, rasch mit einer ihrer schlagfertigen Antworten zur Hand war, konnte leicht als ein Zeichen von Befangenheit angesehen werden, wiewohl nur ihre ernste Stimmung schuld daran war. Auch beim Abschiede von Meinhard fand sie nicht die herzlichen klaren Grüße einer gefesteten Freundschaft. Sie fühlte ein Unbehagen, das nicht einzig der Verschiebung des Verhältnisses entsprang; sie schrieb es zum Theil auch Meinhard’s Auseinandersetzungen zu. Der sanfte Ernst und die Innigkeit seiner eindringlichen Rede waren bei der eigenen Aufregung und dem immer wieder erwachenden Mißtrauen ihrem sonst so feinen Ohr vollkommen entgangen.

Warum mahnte er sie an ihre schiefe Stellung? War es nicht tactlos, derartige Fragen anzuregen? Er hätte wenigstens ihre Mittheilungen abwarten müssen. Und in dieser Stimmung unterblieb auch die Aushändigung des Sträußchens, welches, wie seit Jahren bei seinen Besuchen üblich, eigens für ihn gepflückt worden war.

„Welch steifer Pedant, Fräulein Hilda!“ äußerte Edwin, als man sich getrennt hatte.[WS 1] „Es ist das verkörperte bureaukratische Selbstbewußtsein, das gewöhnt ist, aller Welt Schweigen aufzuerlegen, wenn es sich herabläßt, seine unfehlbaren Aussprüche zu fällen, und das empfindlich wird, sobald eben nicht alle Welt dieselben als Orakel hinnimmt.“

„Sind es nicht vielmehr Sie, Edwin,“ entgegnete Hilda leise lächelnd, „der sich empfindlich zeigt?“

„O, Sie stehen auf seiner Seite? Das allein trifft mich schmerzlich. Ich habe ihn schon so sehr um die Blumen beneidet, die ich für ihn bestimmt glaubte.“

„Heute sollen Sie dieselben haben.“

„Ist es möglich? Und darf ich mir auch eine Deutung erlauben?“

„Die Deutung ist sehr einfach,“ erklärte sie freundlich, aber kurz. „Sie haben heute einen Dank verdient für die Vertheidigung eines Bestrebens, das doch wohl bei den Meisten nicht Folge verständiger Berechnung, sondern nur ein instinctiver Drang ist – der Drang, unseren Mitmenschen beizustehen. Die Männer scheinen ihn leichter zu beherrschen; daß es den Frauen schwerer wird, daraus sollte man ihnen keinen Vorwurf machen –“

„Sondern sie dafür preisen,“ unterbrach er sie. „Mit welcher Begeisterung will ich es thun! Aber nicht nur in dem Einen sollten Sie dem edlen Instincte Ihres Herzens folgen – nicht nur da, wo es gilt, beizustehen, sondern auch, wo es gilt, glücklich zu machen. Warum muß denn ich dieses duftige Geschenk als eine Gabe ‚verständiger Berechnung‘, als eine ‚Belohnung‘ hinnehmen, wodurch es doch so viel an Werth für mich verlieren müßte?“

Dieser befremdliche Ton ging denn doch weit über die Galanterien hinaus, welche Hilda sich mit gutmüthigem Lächeln von dem leichtherzigen jungen Manne hatte gefallen lassen, ohne auch nur das geringste Gewicht darauf zu legen. Sie empfand eine gewisse Beengung, eine Scheu, die vielleicht nur ihrer inneren Spannung zuzuschreiben war und über die sie, ohne sich Rechenschaft abzulegen, hinweg zu kommen suchte.

„Sie haben Recht, es ist eine werthlose Gabe und eine Ueberhebung von mir, damit irgend ein Verdienst belohnen zu wollen. Blumen, weiter nichts – bis morgen welk. Werfen Sie sie fort! – Mimi!“ rief sie dann, seine Betheuerungen abschneidend, indem sie stehen blieb und sich umwandte. „Warum bleibst Du denn so weit zurück? Komm’ doch!“

Die Entfernung war kaum so groß, daß sie die Mahnung rechtfertigte. Auch klang die Erwiderung: „O, wir wollen uns nicht in Eure Geheimnisse eindrängen,“ schnippisch genug, um eine leichte Zurechtweisung zu verdienen, aber doch nicht den scharfen Tadel, den Hilda in ihre Entgegnung legte:

„Das ist sonst aber nicht Deine Maxime, Kleine.“

„Ich bin nicht klein. Ich bin größer als Du,“ lautete die trotzköpfige Erklärung. „Und ich begreife nicht, warum Du mich Mimi nennst. Soll ich denn immer wie ein kleines Kind gerufen werden? Ich heiße Emmy, und Mama sagt auch so.“

Das kam wie vom Zaune gebrochen, stand außer aller Beziehung zu dem Vorwurf, der sie getroffen, und im grellsten Widerspruch zu den heiteren, einschmeichelnden Liebkosungen, mit denen Mimi kurz zuvor noch ihr „Tantchen“ überhäuft. Hilda hatte nur die bittere Empfindung, daß sich, wie alles um sie her, auch dieses ihr bisher so ergebene Herz ihrem Einflusse entwand.

„Nun also,“ nahm jetzt Mimi’s Vater ein wenig spöttelnd das Wort, „frage diese erwachsene Dame, ob sie geruhen will,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In der Vorlage fehlt der Punkt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_105.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2021)