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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

nicht, und seine irrige Unterstellung berichtigend fuhr er fort: „Doch da hätten Sie ja noch stundenlang auf Ihrem Wachtposten sitzen müssen; es ist ein weiter Weg bis Artmannsberg. Das kommt mir übrigens sehr ungelegen. Ich rechnete darauf, den Papa zu treffen.“

„Sie treffen gar Niemand zu Hause. Es ist alles fort. Edwin ist mit seiner Mutter zur Stadt gefahren. Wenn Sie Jemand sprechen wollen, werden Sie die Heimkehr abwarten müssen.“

„Das kann ich nicht.“ Seine Miene zeigte deutlich, wie unangenehm ihm diese Störung war. Er blickte gedankenvoll vor sich hin in das feuchte Gras, dann hatte er aber doch einen Entschluß gefaßt. „Ist auch Tante Hilda mitgefahren?“ fragte er.

„Nein – die – die ist zu Hause.“

Er bemerkte nicht das eigenthümliche Widerstreben, mit dem die Kleine antwortete, und den Ausdruck von Feindseligkeit in ihrem Gesichtchen. Sein Auge schien mehr nach innen gekehrt.

„Nun, dann muß ich mich wohl an sie wenden – die Zeit drängt.“

Und da nun die Entscheidung getroffen war, gab er dem Lohnkutscher Anweisung, zum Schlosse vorauszufahren.

„Sie begleiten mich doch?“ wendete er sich wieder gegen Mimi. „Oder ziehen Sie es vor, Ihren Nornenstein wieder zu besteigen und nach dem zurückkehrenden Wagen auszulugen, der, nach solcher Ungeduld zu schließen, Ihnen ja überaus Wichtiges mitbringen muß? Im Anfang dacht’ ich an ein Reitpferd, aber mir will scheinen, das Interesse –“

„Necken Sie mich nicht – heute nicht! Ich kann es nicht ertragen, auch von Ihnen nicht, Onkel Meinhard. Sie machen mich zornig. Alles macht mich zornig,“ fiel sie ihm heftig in’s Wort. „Ich will auch gar nichts. Mir bringt man nichts mit, mir nicht – einer Andern. Bah, nicht mit der Spitze des Fingers möchte ich es berühren, und wenn es das kostbarste Geschmeide wäre von eitel Gold und Edelsteinen und echten Perlen.“

„Was sprechen Sie denn eigentlich? Was soll denn mitgebracht werden?“

„Ein Ring, ein Armband – weiß ich es? Irgend ein Schmuckstück für die Braut. Nur so weit habe ich gehört, als Frau Rohrwek den Wagen anspannen ließ. Sie will dem Bräutigam helfen, beim Juwelier etwas auszuwählen. Er soll ein Medaillon nehmen und seine Photographie hineinstecken. Er kann die aus meinem Album haben; ich lasse sie doch nicht mehr darin.“

„Noch einmal –: wovon sprechen Sie eigentlich, Mimi? Wer ist Braut? Wem soll das Geschenk gehören, das Sie so erbittert?“

„Ihr, ihr! Wem sonst! – Sie wissen nichts davon? Sie ahnen es nicht einmal[WS 1]? Ich glaub’ es wohl. Sie waren ja blind, wie alle Anderen. Ich aber habe es kommen sehen, o, ganz gut! wie es immer weiter ging und weiter – und gestern haben sie sich verlobt – und Champagner ist dazu getrunken worden, und das Brautpaar hat man hochleben lassen. Ja, ich habe auch mitgerufen; ich war so lustig – so lustig. Die ganze Welt ist falsch; sie braucht nicht zu wissen, was ich mir bei meiner Lustigkeit denke. Auch er soll nicht glauben, daß ich mir etwas daraus mache. O, so falsch, so falsch! Vorgestern noch zeichnete er mir zwei verschlungene E – wie hübsch sich unser Monogramm mache! – und jetzt ist er vielleicht gerade beim Goldarbeiter und bestellt ein Medaillon in Herzform mit einem E und H darauf. Ist das nicht falsch?“

„E und H?“

„Nun ja: Edwin und Hilda.“

„Es ist nicht möglich!“

„Nicht wahr? O, als ich heute aufwachte, da meinte auch ich, es sei nur ein Traum gewesen, aber unten stehen noch die leergetrunkenen Champagnerflaschen im Flur.“

„Es ist nicht möglich!“ wiederholte Meinhard tief bestürzt. „Sie treiben Scherz mit mir.“

„Scherz? Als ob mir zum Scherzen wäre! Wissen Sie, was ich dachte, als ich da droben saß? Unter die Räder des Wagens möchte ich mich werfen, wenn er zurückkommt – – dann wäre alles aus.“

Und mit wildem Aufschluchzen warf sie sich an Meinhard’s Brust. Sie faßte sich diesmal nicht so rasch, wie am Abend vorher; es that ihr offenbar wohl, sich auszuweinen, und Meinhard, der bleich geworden war, wie ein Marmorbild, sprach ihr auch gar keinen Trost zu; er ließ ihre Thränen fließen und streichelte nur sanft das Haar an ihrer Schläfe. Der Einblick in das kleine Herz und das Mitleid mit dessen Weh halfen ihm allmählich Herr werden über den eigenen Schmerz.

„Ist es nicht abscheulich?“ fragte Mimi noch leise schluchzend. „Sie dürfen mich aber nicht verrathen, Onkel Meinhard, daß ich geweint habe. Ihr Wort darauf! Er soll nicht etwa glauben, daß ich mich unglücklich fühle. Mir liegt gar nichts an ihm – gar nichts.“

Sie trocknete ihre Augen; dann nahm sie seinen Arm und schritt nun langsam an seiner Seite dem Schlosse zu.

„Und was sagt Ihr Papa zu alledem?“ fragte Meinhard.

„O, ich kenne Papa nicht mehr – er läßt Alles geschehen. Mir hätte er es gewiß verboten, wenn ich ihm mit einer solchen Ueberraschung gekommen wäre. Ich begreife nicht, daß er nicht rund heraus gesagt hat: ‚Es darf nichts daraus werden. Ich erlaube es nicht.‘ – Das hätte ich gethan.“

Trotz der tiefen Bewegung, die er empfand, entlockte Mimi’s energische Erklärung ihm doch ein flüchtiges Lächeln.

„Sie vergessen,“ sagte er beinahe bitter, „daß Fräulein Hilda selbstständig und Herrin ihrer Handlungen ist.“

„Auch wenn sie eine Thorheit begeht?“

„Wer soll sie hindern?“

„Sie, ja Sie, Onkel Meinhard. Sie müssen ihr in’s Gewissen reden. Sie haben immer den meisten Einfluß auf sie gehabt, und Sie können Papa nöthigen, daß er seine Meinung unzweideutig äußert. Von einer Billigung ist bei ihm ohnedem nicht die Rede; ich habe es ganz gut heraus gehört. Er gab Edwin auf’s deutlichste zu verstehen, daß ein Mann, der eine Frau heimführen wolle, erst ein Heim oder wenigstens eine Stellung haben müsse im Leben. Er hat ihm sogar seine Talente zum Vorwurf gemacht, und das war ungerecht; denn es ist so schön, zuzuhören, wenn Edwin ein Gedicht declamirt oder seine Compositionen vorträgt, und nun gar seine Bilder, ach, seine Bilder – nein, nein, seinen Wankelmuth, seine Schwäche gegen die Verlockungen, nicht seine Talente hätte Papa ihm vorhalten sollen. Ich weiß schon, wer die ganze Sache eingefädelt hat. Frau Rohrwek mit der Tante zusammen – die haben es zurecht gemacht, und statt daß Papa Edwin vorwirft, er sei zu jung zum Heirathen – was gar nicht wahr ist – hätte er lieber derjenigen, die ihn in ihren Netzen gefangen hat, sagen sollen, daß sie zu alt dazu.ist.“

„Aber Mimi!“

„Ist es denn nicht so? Sie war ja schon ganz erwachsen, als ich auf die Welt kam. Wenn ich einmal so alt bin wie die, dann mag ich gar nicht mehr leben, Onkel Meinhard.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Lambertikirche in Münster und die Wiedertäufer.

Auch Kirchthürme haben ihre Schicksale. Binnen heute und wenigen Wochen wird einer der historisch interessantesten Thürme Deutschlands zwar nicht dem Erdboden, wohl aber dem Kirchendache gleichgemacht werden – der Lambertithurm zu Münster, von dessen Höhe noch bis vor wenigen Wochen die drei Käfige der Wiedertäufer als schreckliche Wahrzeichen in’s Land hinausschauten. Es war aber auch wirklich die höchste Zeit zum Abbruch des Thurms; denn seine Baufälligkeit ließ allmählich nichts mehr zu wünschen übrig.

Für diejenigen, welche den alten Thurm noch in seiner ganzen Größe gesehen haben, bemerken wir, daß er durchaus nicht, gleich seinem berühmteren Collegen von Pisa, von vornherein und mit Absicht eine schiefe Richtung erhalten hatte. Es war vielmehr lediglich Altersschwäche, was ihn beugte, und zwar schon seit Langem; denn schon im sechszehnten Jahrhundert wurde eine Untersuchung angeordnet, ob der „Lamberz-Torn oik noet hatte, umb kurtz to fallen“, und da man fand, daß er sich vom Kirchenschiff getrennt hatte, so wurde er mit eisernen Klammern an letzterem befestigt,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Original: eiumal
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_140.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)