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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Zunächst führte man mich in einen Saal, in dessen Mitte ein Glasgehäuse die für diesen Specialbetrieb angelegte Dampfmaschine umschließt. Dieselbe erhält das Räderwerk des Getriebes in einem so vortrefflichen und geregelten Gange, daß kein unnützer Schritt, kein vergeblicher Handgriff gethan wird, obgleich es im Saale webt und schwirrt wie in einem Bienenstocke. Ein denkender Geist, eine organisatorische Kraft hatte hier die Arbeit der menschlichen Hand und der Maschine zu einem wunderbar in einander greifenden Ganzen vereinigt. Zunächst freilich schien die letztere der ersteren völlig entrathen zu können.

Eine auf der linken Seite des Saales befindliche Maschine wickelt große Rollen von Nessel oder Papier ab, führt sodann den Stoff einer Druckmaschine zu, welche ihn in geeigneten Zwischenräumen mit dem Fabrikstempel versteht, und sendet ihn von da großen Walzen zu, die aus einem darunter befindlichen Kasten mittelst Rotation flüssigen Leim auftragen, während andere Vorrichtungen den pulverisirten Schmirgel darüber streuen. Nunmehr erfaßt ein höchst sinnreich construirter Apparat das Leinen oder Papier, hängt es zum Trocknen an der Decke des Saales auf und bringt es in gleichmäßigem Vorwärtsbewegen zu einer andern Maschine, die es herabholt und in einzelne Blätter zerschneidet. Erst von diesem Moment an bemächtigt sich die menschliche Hand des bis dahin sehr empfindlichen Fabrikats, indem sie die Blätter abzählt und je zu fünfundzwanzig Stück den Packern zuträgt, die sie zu Hunderten und Tausenden in Rahmen pressen und schnüren. In den anstoßenden Räumen wird der Leim aufgelöst und für seine Zwecke verarbeitet.

In ganz derselben Weise wie das Schmirgelleinen wird an der rechten Seite des Saales durch eine zweite Maschine das Flintstein- und Glaspapier hergestellt. Das Material zu dem erstern liefert der sehr harte Flint- und Feuerstein, zu dem letztern zumeist zerbrochene gläserne Wein- und Bierflaschen.

In der Schmirgelfabrik: Mahlmaschinen.
Nach der Natur aufgenommen.

Zur Fortsetzung meiner Wanderung nahm mich nunmehr ein Fahrstuhl auf, den ich bisher mit Materialien beschwert und in beständigem Auf- und Niedersteigen gesehen hatte. Er beförderte mich in die oberen Räume, wo mich plötzlich eine von dem betäubenden Lärm im Fabriksaale wohlthätig abstechende Stille umfing. Hier lagern viele Hunderte von Papierrollen von je sechs- bis siebenhundert Meter Länge, hoch aufgeschichtete Stöße von Leinenstücken, drei bis vier Etagen hohe Reihen von Körben und Säcken, die mit Leim gefüllt sind, Chemikalien und anderes zur Fabrikation erforderliche Material. In dem anstoßenden Saale ging es wieder laut genug zu. Hier wurden Emballagen angefertigt, und die Kreissäge knirschte, um die für die Verpackung erforderlichen Holzplatten, Rahmen und Kisten zu schneiden.

Durch den Fahrstuhl wieder zur ebenen Erde befördert, verließ ich, geleitet von meinem freundlichen Führer, das Gebäude und betrat ein anderes, dessen Beschaffenheit mich zuerst an eine große Waschküche gemahnte; ich befand mich in der sogenannten chemischen Abtheilung. Hier wird gemahlen, gesiebt, gekocht, geklärt, geglüht, destillirt, getrocknet.

„Was denn aber?“ so fragte ich.

Die Antwort lautete:

„Sämmtliche chemische Bestandtheile, welche für die Herstellung von Schmirgelscheiben, Feilen etc. erforderlich sind.“

Die Masse wird nach gehöriger Zubereitung in eiserne Formen der mannigfachsten Art gebracht und durch hydraulische Pressen, je nach Größe und Erforderniß, einem Druck bis zu zwölftausend Centnern ausgesetzt. Die so geformten Scheiben, Feilen, Rädchen etc. gelangen hierauf in den Trockenraum, um die nöthige Härte zu erwerben. Die Schmirgelscheiben werden zuletzt noch auf Maschinen durch schwarze Diamanten justirt und centrirt, das heißt darauf hin geprüft, ob sie die richtige Schwere haben und ob ihre zur Aufnahme der Achse bestimmte Oeffnung sich gerade im Mittelpunkt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_145.jpg&oldid=- (Version vom 6.12.2022)