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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


der Scheibe befindet. Zur Prüfung ihrer Festigkeit unterwirft man sie zuletzt noch auf einer Maschine einer äußerst rapiden Umdrehung, was das Zerspringen der Scheibe zur Folge hat, sofern sich an derselben irgend ein Fehler befindet. Angebrachte Sicherheitsvorrichtungen schützen den Arbeiter, welcher diese Prüfung vorzunehmen hat, vor Verletzungen durch die abspringenden Stücke.

Die Anwendung dieser Schmirgelscheiben in den Schleifereien erfordert Maschinen, welche denselben eine große Umdrehungsgeschwindigkeit geben, und die Fabrik beschäftigt sich neuerdings auch mit Herstellung solcher Maschinen in verschiedener, dem Zwecke entsprechender Construction. Es ist zu diesem Behufe eine mit allen Hülfsmitteln ausgerüstete Werkstatt eingerichtet, die ich ebenfalls besichtigte. Damit war der Rundgang aber noch nicht beendet. Aus dem Kesselhause ließ man mich durch eine Verbindungsthür in ein hohes mit Mettlacher Fliesen belegtes Gemach treten. Hier schlug das Herz des ganzen großen Werkes. Beinahe geräuschlos arbeitete eine mächtige Dampfmaschine, welche sämmtliche in Betrieb befindliche Maschinen, mit Ausnahme der im Saale für die Schmirgelpapierfabrikation aufgestellten, in Gang setzt.

Wiederholt hatte ich meinen Führer nach dem Zwecke der verschiedenen Erzeugnisse, die ich vor meinen Augen entstehen sah, gefragt, aber immer die Antwort erhalten:

„Erst sehen Sie, was und wie Alles geschaffen wird! Dann sollen Sie Näheres über die Anwendung hören.“

Nachdem wir noch das kaufmännische und technische Bureau besichtigt hatten und nun ausruhend in einem kleinen wohnlichen Zimmer neben dem ersteren saßen, ward mir der gewünschte Bescheid:

Schmirgel in seinen zweiunddreißig verschiedenen Körnungsabstufungen dient zum Abschleifen und Poliren aller Metallgegenstände in Maschinen- und Gewehrfabriken, Metall- und Kanonengießereien, Glas- und Spiegelmanufacturen, zum Schleifen der Glasplatten in Krystallglasfabriken, zu Herstellung der Facetten an Pokalen etc., zum Schleifen der Nähnadeln etc. Zierlich in Dosen verpackt, mit Etiquette versehen, gelangt er als Putzpulver für Messer und Gabel in den Haushalt; fein geschlemmt, braucht man ihn in optischen und mechanischen Werkstätten, in Marmorschleifereien und bei der Anfertigung von Schmuckgegenständen. Das durch Auftragen von Schmirgel auf Stoff oder Papier hergestellte Schmirgelpapier oder Schmirgelleinen findet in der Metallbearbeitung ebenfalls die ausgedehnteste Anwendung, ebenso bei der Fabrikation von Sammet und von Seidenhüten.

Schmirgelschleifscheiben werden benutzt zum Schleifen von Eisen, Stahl und Messing, Glas, Horn, Email, Perlmutter, sowie zum Ausschleifen der Zähne an Sägen. Die Schmirgelfeilen und kleineren Scheiben dienen als Schleifmittel in der Uhren- und Bijouteriefabrikation; es benutzt sie der Zahnarzt, der Optiker und Mechaniker.

Das Glas- und Flintsteinpapier endlich findet die verschiedenartigste Verwendung zum Bearbeiten von Holz und Leder und ist dem Tischler, Lackirer, Maler, Bildhauer ebenso unentbehrlich wie in Gold- und Schuhleistenfabriken etc.

Die Schmirgelfabrik von Oppenheim u. Comp. beschäftigt gegenwärtig an Beamten, Ingenieuren und Reisenden ein Personal von circa zwanzig Personen, ferner fünf Meister und achtzig Arbeiter und Arbeiterinnen; sie verbraucht jährlich an Rohmaterialien rund 20,000 Centner Schmirgel, Feuerstein und Glasscherben, 3500 Centner Rollenpapier, 1500 Centner Kölner Leim und 500,000 Meter Rohleinen, woraus 20 Millionen Bogen Papier und Leinen, mehrere Tausende Schmirgelscheiben und eine entsprechende Anzahl kleiner Geräthschaften fabricirt werden, während der zur Versendung kommende pulverisirte Schmirgel sich pro Jahr etwa auf 9000 Centner beläuft.

Und dabei ist diese Fabrik keineswegs die einzige ihrer Art in Deutschland; denn es giebt deren noch einige in der Provinz Hannover, in Holstein, Sachsen, Schlesien, in der Rheinprovinz und in Hessen-Nassau. Freilich ist auch das Absatzgebiet ein sehr ausgedehntes; es umfaßt ganz Europa und erweitert sich mit dem Fortschreiten der Civilisation nach allen Ländern der Erde.

Wir verließen die Fabrik, um nach dem Wohnhause zurückzukehren; zuvor wurde mir aber, als ich auf den Hof hinaustrat, noch eine eigenartige Ueberraschung zu Theil, nämlich das Exercitium einer wohlgeschulten Feuerwehr, welche die Herren Oppenheim u. Comp. aus ihren Arbeitern herausgebildet haben und die in schmucker Uniform mit bewundernswerther Geschicklichkeit manövrirte. Diese Einrichtung ist in Anbetracht der Entfernung der Fabrik von der Stadt sehr wichtig und hat sich trefflich bewährt.

Noch ein Tag des Verweilens inmitten der liebenswürdigen Familien war mir vergönnt – dann mußte geschieden sein. Beim Abschiede erbat ich die Erlaubniß, das Gesehene für weitere Kreise schildern und mit Benutzung der mir geschenkten Photographien auch bildlich veranschaulichen lassen zu dürfen. Nur zögernd wurde mir die Zustimmung ertheilt; ich hatte zuvor den der Bescheidenheit entstammenden Widerstand durch die Vorstellung zu besiegen, der Aufsatz solle zur Belehrung dienen; er solle sehr Vielen, welche täglich in einer oder der anderen Weise von dem Fabrikate, das sie nicht kennen, Nutzen ziehen, die Frage beantworten: „Was ist Schmirgel?“

J. Hirsch.




Die neue Aera der Polarforschung.

Von A. Woldt.

„Den Pol erreichen!“ Das ist die große Losung des Gigantenkampfes schon seit jener Zeit, in der die Wikinger ihr heißes Blut an den Gletschern Grönlands abkühlten und ihre von Raub und Mord befleckten Hände im arktischen Schnee rein wuschen; das ist die Losung des großen Zeitalters der geographischen Entdeckungen, das war bis jetzt die offene und versteckte Losung fast aller Polarexpeditionen des gegenwärtigen Jahrhunderts. „Den Pol erreichen!“ Die Flagge des eigenen Landes auf dem Pol aufpflanzen, das war das Bestreben jeder Nation, welche sich an diesem internationalen Wettkampfe betheiligte. Hinauf zum Norden, nach dem sehnlichst erstrebten Ziele ging die Jagd der Engländer und Amerikaner durch jenen schrecklichen Engpaß zwischen Grönland und der Inselwelt des arktischen Amerika; hinauf ging die Jagd der Schweden und Holländer in jene tiefe Höhlung bei Spitzbergen hinein, welche fast alljährlich bis über den achtzigsten Breitegrad hinaus ein eisfreies Meer bildet; hinauf ging der Marsch der Deutschen gegen die furchtbaren Schneestürme der eisstarrenden Ostküste Grönlands; hinauf die Fahrt der Oesterreicher in die verworrenen Eisstrudel des Franz-Joseph’s-Landes. Sie alle haben ihr Leben dafür gewagt, daß die Flagge ihrer Nation zuerst am Pole wehen sollte; sie alle haben dabei aber auch jenes graße Ziel der Menschheit verfolgt, sich überall auf Erden die Herrschaft über die Mitgeschöpfe und über die Naturgewalten zu erobern. Es war, als wenn eine Schaar alter heroischer Diskuswerfer im Wettkampfe auftrat und jeder Held seine Scheibe noch weiter zu schleudern trachtete, als alle seine Vorgänger.

Worin besteht die Bedeutung des Pols? Verbirgt er in seiner entlegenen Einsamkeit eine Summe von wunderbaren Naturgeheimnissen, die im Dienste und Interesse des Menschengeschlechtes erforscht werden müssen? Bildet er eine Wetterscheide für die Gebiete seiner näherer oder ferneren Umgebung? Ist er aus Land oder Wasser, aus festem oder beweglicher Eise gebildet? Ist es überhaupt möglich, mit Hülfe unserer Meßinstrumente seine Lage wissenschaftlich genau zu bestimmen?

Die Antwort darauf lautet: Der Schwerpunkt der Polarforschung liegt nicht in der speciellen Bedeutung der beiden Pole selbst, welche rein geographische Punkte sind, wie beispielsweise alle Kreuzungspunkte des Gradnetzes unserer Erde; er liegt vielmehr in denjenigen Errungenschaften, die uns die wissenschaftliche Erforschung der gesammten arktischen und antarktischen Gebiete, d. h. Nordpol- und Südpol-Gebiete, verschaffen wird, welche mit einem Flächeninhalt von mehr als einer halben Million deutscher Quadratmeilen den mächtigen Erdtheil Afrika an Größe übertreffen. Dieses gewaltige Doppelgebiet umfaßt also beinahe den sechszehnten Theil der gesammten Erdoberfläche und ist fortwährend der Schauplatz der gewaltigstem meteorologischen, magnetischen und anderer wissenschaftlich hoch bedeutender Vorgänge.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_146.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)