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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

welche das Schicksal des Hohenzollern’schen Herrscherstammes vom Untergang der Askanier, des gräflichen Hauses, das vor den Hohenzollern in Brandenburg regiert hatte, bis zum Untergange der Hohenzollern weissagte. Nicht blos in fürstlichen Archiven fanden sich Abschriften; das angebliche Original auf Pergament mußte der Große Kurfürst selbst auf einer Reiherbeize in einer Mauerspalte der Klosterruine von Lehnin entdecken.

Abgedruckt wurde das Gedicht zum ersten Male 1723 in dem von Lilienthal in Königsberg herausgegebenen „Gelahrten Preußen“ nach einem „in einem Landes-Archiv“ vorgefundenen Manuscript. Während der Regierungszeit Friedrich’s des Großen erschienen neue Drucke 1741 ohne Ortsangabe, 1745 in Berlin und Wien, 1746 in Frankfurt und Leipzig und 1758 in Bern.

Betrachten wir nun das Gedicht selbst! Es besteht aus hundert gereimten Hexametern (dem sogenannten „Leoninischen Versmaße“, bei welchem in Hexameter und Pentameter die Endworte der Cäsur und des Verses sich reimen) in eleganter und correcter Sprache und soll von einem Mönch Hermann um 1300 verfaßt worden sein. Der Inhalt der Weissagung gab jedoch der Kritik schon kurze Zeit nach der Veröffentlichung derselben Veranlassung zu der Beweisführung, daß es in weit späterer Zeit verfaßt und das Ganze darnach eine Fälschung sei. – Diese Weissagung beginnt mit der Klage über den Untergang des Geschlechtes der Askanier, das im Kloster Lehnin eine Fürstengruft hatte, und geht dann zur Schilderung des Hohenzollernstammes über, dessen Regenten charakterisirt werden bis auf das elfte Geschlecht. Der Vertreter desselben wird „Stemmatis ultimus“, der letzte des Stammes sein, nach welchem

Zum Hirten kehrt die Heerde, zum König Germanien wieder,
Und in der Mark sinkt nun die alte Drangsal zu Boden.
Statt des Fremden genießet froh der Erzeugte des Landes,
Und es entsteht von Lehnin und Chorin die alte Bedachung,
Und kein Wolf darf mehr die Wohnung der Heerde umschleichen.“

Dem prüfenden Blicke konnte es nicht entgehen, daß die Charakteristik der Hohenzollern’schen Regenten bis zur Zeit des Großen Kurfürsten auf offenbar geschichtlicher Grundlage beruht, und daß dann erst das unsichere Tasten der Weissagung mit den vieldeutungsfähigen Phrasen beginnt, aus welchen die Absicht mehr herauslesen kann, als darin liegt. Schon von Friedrich dem Ersten weiß der Prophet nicht, daß sich derselbe in Königsberg die Königskrone aufsetzte. Von Friedrich Wilhelm dem Dritten heißt es:

„Blüh’n wird der Sohn und erhalten, was niemals zu hoffen er wagte,
Doch wird traurig das Volk die Ungunst der Zeiten beklagen;
Denn es nahet die Zeit, die Großes im Schooße verschließet,
Und der Fürst weiß nicht, daß neue Gewalten entstehen.“

Mit diesem Fürsten hätte die Weissagung sich erfüllen müssen; denn er war der Vertreter des elften Geschlechts. Längst aber hatte die politische Speculation sich des Gegenstandes bemächtigt, und damit Wilhelm der Erste als Stemmatis ultimus erscheinen könne, traten ultramontane Vertheidiger für die Echtheit der Wahrsagung mit der Behauptung ein, Friedrich der Große und Friedrich Wilhelm der Vierte könnten in der Reihe nicht mitzählen, weil sie selbst ohne Nachkommen gestorben seien.

Diese durch derlei Nutzanwendung der Sage verliehene Wichtigkeit und der Glaube, den sie in weiten Schichten des Volkes fand, bewogen zuerst den König Friedrich Wilhelm den Dritten, den berühmten Geschichtsforscher Friedrich Wilken mit einer Prüfung der Weissagung zu beauftragen. Und der König hatte um so mehr Grund dazu, als durch sein Unglück der Triumph des prophetischen Mönchs als gesichert erschien; denn war in Folge der Siege Friedrich’s des Großen die Sage von Lehnin völlig eingeschlafen, so weckte der Kanonendonner von Jena und Auerstädt sie zu neuem Leben.

Unter dem Titel „Hermann von Lehnin, der durch die alte und neue Geschichte bewährt gefundene Prophet des Hauses Brandenburg“ erschien 1808 mit Angabe der Druckorte Frankfurt und Leipzig eine neue Ausgabe der Wahrsagung, deren Herausgeber ohne Weiteres die Lehnin’sche Wahrsagung durch den Sturz Preußens für erledigt und den König für den letzten Hohenzollern-Regenten erklärte. Die Noth macht abergläubisch, und in jenen Tagen des tiefsten Unglücks in Preußen konnten solche Schicksals-Enthüllungen im Volke nur von niederdrückendster Wirkung sein.

Aber nicht blos in Deutschland benutzten die Feinde Preußens und des Protestantismus den Mönch von Lehnin als unfehlbaren Kampfführer; in Belgien veröffentlichte ein Louis de Bouverot ein Werk „Extrait d’un manuscrit relatif à la prophétie du frère de Lehnin, avec des notes explicatives“ (Auszug aus einem Manuscript, bezüglich der Prophezeiung des Klosterbruders von Lehnin, mit erklärenden Noten), welches, wenn auch erst zwanzig Jahre später, aber doch mit derselben Absicht W. von Schütz als „Weissagung des Bruders Hermann von Lehnin nach der belgischen Ansicht“ (Würzburg 1847) dem deutschen Publicum vorlegte. Das war nur ein Vorläufer für die Sturmzeit. Während derselben kamen noch fünf neue Ausgaben der Weissagung, von Boost, Wilhelm Meinhold, Rösch, Guhrauer und Heffter („Geschichte des Klosters Lehnin“) auf den Büchermarkt. Die von Seiten der Ultramontanen veranstalteten verfolgten ausschließlich den Zweck, den Untergang des preußischen Herrscherhauses und den Sieg des Papstthums in Deutschland als durch göttliche Verheißung gesichert darzustellen.

Daß die ganze Weissagung eine Fälschung sei, hat zuerst (schon 1746) der Pfarrer Weise in Lehnin dargethan, und später forschte man besonders dem wahren Verfasser des Gedichtes nach. Wilken glaubte ihn in dem (1693 in Berlin gestorbenen) Kammergerichtsrath und Consistorialassessor Martin Friedrich Seidel gefunden zu haben, weil von dessen Hause die Verbreitung der Schrift ausgegangen und er selbst ein trefflicher lateinischer Stylist und Dichter gewesen sei. Dagegen erkennt der Berliner Gelehrte Valentin Schmidt in seiner Widerlegung der Weissagung den wahren Verfasser in einem Convertiten, dem ehemaligen lutherischen Consistorialrath und Propst an der Petrikirche in Berlin Ludwig Andreas Fromm, und ihm schließt sich auch Hilgenfeld in Jena in seiner Schrift „Die Lehnin’sche Weissagung“ (Leipzig 1875) an.

In der That trifft bei diesem Manne Alles zu, was eine Ausschreitung des Hasses zu einer solchen Rachethat erklärbar macht. Fromm war orthodoxer Lutheraner und trat in seinem Eifer gegen die Reformirten so heftig auf, daß ihm eine Disciplinaruntersuchung drohte. Dieser entzog er sich 1666 durch die Flucht zunächst nach Wittenberg. Als er aber auch dort nicht die Aufnahme fand, deren er sich versehen, ging er nach Prag. Dort trat er 1668 zur katholischen Kirche über, wurde zum Domherrn von Leitmeritz befördert und starb daselbst 1685. Man braucht schwerlich eine noch geeignetere Persönlichkeit zu suchen, um ihr eine solche Ausgeburt des Fanatismus zuzutrauen, dies um so weniger, als es Fromm außerdem auch nicht an Geist und Gewandtheit zu derselben gebrach.

Wenn dennoch der alte unheimliche Wahrsager von Lehnin noch immer nicht ganz zur Ruhe kommt, so ist namentlich bei unserem deutschen Volke der Hang zum Sagenhaften und Wunderbaren mit schuld daran. Oft ist sogar ein geheimnißvoller Zug von Pietät damit verbunden, namentlich für diejenigen, welche ein geschichtliches Band mit einer solchen zum Volkseigenthum gewordenen Sage verknüpft. Auch im preußischen Königshause hat die nahezu vollständige Aufklärung der Entstehung jener Weissagung dieses Band nicht ganz zu lösen vermocht. Es war offenbar jener pietätvolle Zug, der unseren Kaiser leitete, als er an jenem 18. Januar 1871, an welchem „Germanien zu seinem Könige wiedergekehrt“, befahl, daß „für Lehnin auch die alte Bedachung erstehe.“ – Dieser Abschluß ist der würdigste, den die Lehnin’sche Weissagung finden konnte.




Blätter und Blüthen.


Ein Maler des Krieges. Noch bis vor Kurzem war der schnell zu europäischer Berühmtheit gelangte russische Maler Wasili Wereschagin bei dem größeren Publicum Deutschlands so gut wie unbekannt; London, Petersburg, Paris feierten ihn als einen der ersten Meister unter den Lebenden. In Deutschland aber nannte Niemand seinen Namen, obgleich er vier Jahre in München gelebt und geschafft hatte; erst als er seine Werke in Wien ausgestellt hatte und die österreichische Presse mit seltener Einstimmigkeit und ungewohnter Begeisterung seinen Ruhm verkündete, wurde auch das Echo bei uns lebendig.

Jetzt ist Berlin in der Lage, selbst zu prüfen und findet sich vor etwas Ungeahntem, Erstaunlichem, Gewaltigem, vor einem Meister, der durch die Kühnheit seiner Composition und die dramatische Lebendigkeit der Schilderung ebenso hinreißt, wie er durch seine grauenvollen Vorwürfe und die unbarmherzige Wahrheit, mit welcher er die Natur wiedergiebt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_151.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)