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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Nachdem ihm der Ehrentanz zugesagt war, trat er denselben mit der Braut an. Das fröhliche Steiermarkvolk versteht das Tanzen.

Zum Schluß sei noch des „Bschoad-Essens“ (Bescheid-Essens) gedacht. Es herrscht nämlich in Steiermark die naive Sitte, daß sich jeder Gast einen Theil des übrig gebliebenen Essens mit nach Hause nimmt, um sich am nächsten Tage daran zu delectiren. Dieses „Bschoad-Essen“ zählt zu den originellsten Eigenthümlichkeiten der steiermärkischen Hochzeiten, deren Gebräuche, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich, vielfache Aehnlichkeiten mit den diesbezüglichen Sitten auf schwäbischem, fränkischem und allemannischem Boden, sogar mit denen in Schlesien, Mecklenburg und in anderen nördlichen deutschen Ländern aufweisen. Nur ein Gebrauch wie das „Gugelhupftanzen“ ist dem Verfasser dieser Zeilen bisher noch nirgends anderswo begegnet.

Freilich – nicht auf allen Hochzeiten geht’s lustig und üppig her; nicht alle haben wohlbesetzte Tafeln aufzuweisen, aber gewisse althergebrachte Gebräuche werden kaum bei einer einzigen außer Acht gelassen. Die ärmere Braut ist übrigens gottlob! meistens ebenso heiter, wie die reiche, und das Volkslied läßt wohlgemuth das unbekümmerte Mädchen singen:

„A gescheckts[1] Paar Oxen
Und a schneeweißi Kuah,
Das giebt mir mein Voter,
Wann i heirathen thua.“

Anton Schlossar.     


  1. Ein scheckiges, geflecktes.




Amélie Godin.

Ein Literaturbild.


Zu den wenigen wahrhaft dichterischen Talenten unter den Erzählerinnen der Gegenwart gehört vor allem die in den Leserkreisen der „Gartenlaube“ so allgemein geschätzte Amélie Godin. Ein eingehenderes Lebens- und Charakterbild der reich begabten Frau wurde unseres Wissens ihren vielen Freunden bisher noch nicht geboten, und so dürften die nachfolgenden Mittheilungen über das Leben und Wirken derselben gerade an dieser Stelle, wo sie den Augen so vieler ihrer Verehrer begegnen werden, nicht unwillkommen sein.

Unsere Dichterin wurde als Tochter des Arztes Dr. Friedrich Speyer in Bamberg am 22. Mai 1824 geboren. Die Ehe der Eltern war eine so harmonische, daß Amélie sich nicht der leisesten Verstimmung zwischen Beiden erinnert. Der humane, liebenswürdige Charakter des Vaters, der klare Verstand und das milde Herz der Mutter, einer geborenen Baronesse von Godin, lenkten das von Haus aus gutartige Naturell des Kindes mit Leichtigkeit in ihre eigenen Bahnen und weckten ihm schon früh ein Mitempfinden menschlicher Leiden und Freuden, welches ihm unbewußt zur Seelengewohnheit wurde.

Manches nicht für das Ohr des Kindes berechnete Wort des Vaters, dessen Menschenliebe in seinem Berufe oft genug Gelegenheit fand, sich zu betätigen erregte des Kindes stilles Aufmerken und ließ es Antheil für andere Classen der Gesellschaft gewinnen, als die es um sich sah – Antheil für das Volk. Hierdurch glich sich, wie von selbst, die Vereinsamung aus, welche Amélie, da sie ohne Geschwister und ohne Schulbesuch aufwuchs, sonst der Welt, deren Erkennen in gewissem Sinne auch dem Kindesalter schon nahe tritt, leicht hätte entfremden können.

Die Kleine zeigte sich bis zum zehnten Lebensjahre still, fast apathisch, saß am liebsten mit ihrem Buche im Winkel und machte sich nicht viel aus den prächtigen Spielsachen, mit denen der Liebling des geschätzten Arztes nicht nur von Freunden und Verwandten, sondern auch von dessen Patienten überschüttet wurde. Auch zur Theilnahme an den täglichen Abendspaziergängen mußte sie stets animirt werden, obgleich die Eltern ihre eigene große Liebe zur Natur auch dem Kinde früh mittheilten. Führte sie der Weg, wie dies oft geschah, nach einem hochgelegenen Gartenhäuschen, so erbat Amélie sich stets als höchste Gunst, inzwischen auf einem kleinen, in halber Höhe des Weges gelegenen Friedhof, der längst schon nicht mehr benutzt ward, verweilen und dort umherspielen zu dürfen. Der poetische Reiz einer üppigen Vegetation zwischen alten Grabsteinen übte eine unbewußte, aber mächtige Anziehungskraft auf das empfängliche Gemüth des Mädchens. Damals gingen der etwa Achtjährigen die ersten kleinen Gedichte auf, welche von den Eltern freundlich hingenommen wurden, ohne daß sie Gewicht darauf gelegt, aber auch ohne daß sie diesen Hang zur Poesie in dem Kinde unterdrückt hätten.

Im zwölften Jahre beschenkte Amélie ihren Vater mit einem Schreibhefte, welches sie mit selbstverfaßten Gedichten jeder Form gefüllt hatte, Reimereien, über deren Pathos Eltern und Tochter später herzlich lachten. Bei diesem Hange des Kindes zur Träumerei fehlte es ihm jedoch weder an ernstlichem Unterricht, noch an fröhlichen Gespielen, deren Einfluß von Jahr zu Jahr seine Lebhaftigkeit steigerte.

Dem Hause des Vaters gegenüber befand sich die Dienstwohnung des Baurathes Panzer, dessen Frau eine Freundin der Mutter Améliens war und mit dessen Kindern die Letztere auf wuchs. Die älteste Tochter, Mathilde, nur ein Jahr älter als Amélie selbst, ward dieser zum Ideal einer schwärmerischen Freundschaft, die Jahre hindurch beiden Mädchen als das Höchste galt, was ihnen das Leben darbot. Im großen Hofe drüben wurde gespielt, gemeinschaftlich gelesen, wurden Ritterstücke aus dem Stegreif aufgeführt.

Wenn man den Spielgang der Vierjährigen in eine dem Vaterhause gegenüberliegende Mädchenschule abrechnet, hat Amélie nie eine Schule besucht. Einige Professoren des Bamberger Gymnasiums hatten sich auf die Bitte der Eltern dazu verstanden, im Speyer’schen Hause regelmäßige Privatstunden zu geben, an denen drei ältere Freundinnen Améliens Antheil nahmen und deren Programm so ziemlich Alles umfaßte, was in Instituten gelehrt zu werden pflegt. Unter den Lehrern war Professor Ruith, welcher in Geschichte und Literatur unterrichtete, der beliebteste. Ein Emigrant aus guter Familie, der sein Idiom vortrefflich sprach und lehrte, gab den französischen, eine Cousine den englischen, ein sprachkundiger junger Doctor den italienischen Unterricht. Zum Religionslehrer – Amélie ward gleich ihrer Mutter als Katholikin erzogen – hatte der dem Speyer’schen Hause befreundete Erzbischof eine geeignete Persönlichkeit empfohlen. Musik ward mit besonderer Vorliebe gepflegt und jede Gelegenheit benutzt, um, mitunter auch auswärts, Gutes zu hören. Alle diese verschiedenen Unterrichtsstunden füllten Zeit und Geist der Heranwachsenden zur Genüge; Herz und Phantasie kamen auch nicht zu kurz, und so vergingen die ersten fünfzehn Lebensjahre Améliens in so glücklichen Verhältnissen, daß sie nicht einmal eine Ahnung davon hatte, eines wie bevorzugten Ausnahmezustandes sie sich zu erfreuen hatte, sondern Gang und Gestaltung ihres Lebens als etwas ganz Selbstverständliches betrachtete. Da nahm ein Herzschlag den Vater in der Fülle seiner Kraft und seines Wirkens plötzlich hinweg, und Amélie erfuhr, was es heißt, ein Theures zu verlieren. Sie erfuhr den ersten Wechsel ihres Lebens. Ihre Mutter verkaufte bald darauf das Haus, in dem sie Alle so glücklich gelebt, und bezog mit ihrer Tochter eine Mietwohnung.

Ungefähr um dieselbe Zeit ward auch Panzer als Baurath nach München versetzt, und so verlor Amélie zugleich ihre liebste Freundin. Tröstlich wirkte eine Reise in des Vaters Heimathstadt Arolsen, wo Verwandte lebten, die das alte, seit Generationen der Familie zugehörige Vaterhaus inne hatten, welches Amélie mit den Eltern wiederholt besuchte und das ihr von Klein auf das unverrückbare, stetige Familien-Daheim repräsentirte. Von dort nach Bamberg zurückgekehrt, wurde die Musik mit neuem Eifer aufgenommen und wissenschaftlicher Uebung viel Zeit und Hingabe gewidmet; viele Gedichte entstanden damals in Heimlichkeit.

Ein Jahr später ging Améliens Mutter nach München, um Panzers zu besuchen. Kaum dort angekommen, erkrankte Amélie heftig am Typhus, und die hierdurch bedingte Verlängerung des Aufenthaltes bestimmte die Mutter, sich für die ganze Dauer des bevorstehenden Winters dort einzurichten. Dieser Winter und ein zweiter, welchen Amélie mit achtzehn Jahren als Gast des Panzer’schen Hauses in München verlebte, übte großen Einfluß auf ihre geistige Richtung, gab ihrem Sinne und Geschmacke für künstlerische Anschauung der Dinge den ersten Anstoß. Friedrich Panzer, ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_159.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)