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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Besseres beginnen, als ein epochemachendes Buch zu schreiben? Vielleicht trägt es mir nebst Ruhm noch die Mittel ein, auf den faden Schneiderbrief dort eine erquickliche Antwort geben zu können; denn aufrichtig gestanden, das Gut trägt soviel wie nichts, und die Oberlieutenantspension ist doch kein anständiges Einkommen.

Nun bin ich aber durch die bekannte Verkettung von Ideen von meinem Thema abgekommen, und es wird mich Mühe kosten, meine Gedanken wieder zu sammeln, um sie auf das Capitel der Ketten zurückzubringen.

Das Einfachste wäre, ich ließe für heute meine metaphysischen Betrachtungen ruhen – Herr von Hartmann hat sein melancholisches System auch nicht in vierundzwanzig Stunden fertig gebracht, – sehen wir also zu, wie sich mein achtbarer Schneider ausdrückt. So ein geschlossener Brief übt eine eigene Anziehungskraft aus; er will durchaus erbrochen werden.

O, Ueberraschung! – Das Schreiben ist nicht von dem Bewußten!

„Schloß Dürrstein. 15. September. 

Frau Katharina Meier giebt sich die Ehre, Herrn Baron Ritterglas für den Abend des 17. dieses zu der Verlobungsfeier ihrer Tochter Elsbeth mit Herrn Commerzienrath Schwanberg höflichst einzuladen.“

Höchst sonderbare Einladung! Frau Meier ist, wenn ich nicht irre, die steinreiche Zuckerfabrikanten-Wittwe, welche unlängst die Nachbarherrschaft Dürrstein angekauft hat. Aber ich habe dort niemals einen Besuch gemacht; ich wußte gar nicht, daß es eine Elsbeth Meier giebt, und nun verlobt sich das holde Zuckerkind; wünsche herzlich Glück dazu.

Ich werde der Einladung natürlich Folge leisten und morgen anstandshalber eine Visite in Dürrstein abstatten.

Eine Verlobung! Welch eine Kette von Bildern ruft dieses Wort in der Seele wach! Zwei Wesen, die sich geloben Eins zu werden – was muß da alles vorausgegangen sein, ehe sich die beiden Herzen fanden! Ich sollte eigentlich auch heirathen. Ich bin dreißig Jahre alt, von altem Adel, von nicht unangenehmem Aeußeren.

Gott verzeih’ mir, ich bin ja in den Stil einer Heirathsannonce verfallen – und – eine Idee – warum nicht? – Noch einmal frage ich: warum nicht? Cela n’engage à rien, und das Spielen mit dem Zufall ist ein reizendes Vergnügen. – Also denn, zur Stunde eine Annonce verfaßt und an ein Inseratenbureau expedirt:

„Heirathsgesuch.

Ein junger Mann, dreißig Jahre alt, von altem Adel, von nicht unangenehmem Aeußeren –“

Nein, das klingt zu banal; darauf antwortet kein geistvolles Wesen. Ueberschreiben wir die Annonce:

„Spiele des Zufalls.

In Ballsälen, Meerbädern, an Straßenecken und auf Landpartien finden sich durch die Verkettungen des Zufalls oft zwei Herzen, warum nicht auch in Zeitungsspalten? Ein junger Mann, welcher Titel, Gemüth und Verstand besitzt und sich eine Frau wünscht, welche ihrerseits Jugend, Schönheit, Vermögen und Geist zu bieten hätte, nimmt durch diese Zeilen einen Antheilschein an der großen Glückslotterie des Lebens. – Briefe unter der Aufschrift: ‚Cela n’engage à rien‘, an die Annoncenexpedition von Gottlieb Müller.“

„Bohuslav!“ (Der Mensch ist ein Pole.)

„Herr Oberlieutenant?“

„Trage diesen Brief zum Postmeister und bringe mir eine Empfangsbescheinigung darüber!“

„Zu Befehl, Herr Oberlieutenant!“

„Wie oft soll ich Dir noch sagen, daß Du mich Herr Baron und nicht Oberlieutenant zu nennen hast; ich bin nicht mehr Officier, sondern Gutsbesitzer.“

„Sehr wohl, Herr Ober – Herr Baron.“

„Bohuslav!“

„Befehlen, Herr Baron?“

„Hast Du die Herrschaften von Schloß Dürrstein gesehen?“

„Ja, Herr Oberlieutenant; – es ist ein wunderschönes Fräulein dort.“

„So? – Also jetzt gehe schnell zur Post!“

Der Brief wäre denn expedirt, und für die nächste Zeit steht mir viel Abwechslung bevor. Der Nachbarbesuch, die Verlobungssoirée, die Antwortschreiben auf meine Annonce, aus welchen sich dann weitere Correspondenzen entspinnen werden. – Ich fürchte, alle diese Zerstreuungen werden mich von der Abfassung meines Buches etwas ablenken.

Sie glauben gar nicht, welch eine Vertiefung, welch eine Concentrirung der Gedanken erforderlich ist, um ein Buch zu schreiben. Ich habe mir das gar nicht so vorgestellt. Dieses ist nämlich mein erster Versuch.

Vorläufig habe ich also meine Ansichten über Verkettungen hier niederschreiben wollen; denn diese sollen die Grundlage meines philosophischen Systems bilden – und um meine Ideen recht ungezwungen zu Papier zu bringen (ich habe mir ein ganzes Ries gekauft), denke ich mir einen geduldigen Lauscher, den ich höflich mit „Sie“ anrede.

Was ich Ihnen da sage, mein Lieber, ist eben nur der noch ungeordnete, planlose Ausdruck meiner sich kreuzenden Gedanken und soll das Material, als Notizenvorrath für mein eigentliches Werk dienen. – Ueberall, sowohl in der ideellen, wie in der materiellen Welt das Princip der Verkettung nachzuweisen, habe ich mir als Aufgabe gestellt. – Eine kolossale Idee! Wie? Darwin hat eigentlich etwas Aehnliches versucht, indem er den ineinandergreifenden Entwickelungsgang der Organismen demonstrirt hat, aber ich möchte diese Grundanschauung noch von anderen Seiten beleuchten, nach allen Richtungen: In der Entstehung der Welt vom Atom bis zum Sonnensystem, in der Geschichte der Menschen von Adam bis zu meinem Diener Bohuslav.

Er sagte, das Nachbarfräulein sei wunderschön. Warum habe ich das nicht früher gewußt?!

Eines beunruhigt mich ein wenig bei dieser Arbeit, nämlich, daß sich meine Gedanken gar nicht in ordentlicher Kette an einander reihen, sondern umherspringen wie die jungen Heuschrecken. Wenn also mein Werk gelingt, so werden wir es die „Philosophie der Heuschrecken“ nennen – aber das nur im Vertrauen, unter uns! Auf dem Büchermarkt soll es den Titel „Theorie der Verkettungen“ führen.

*  *  *

Mit meinem Ries Papier werde ich lange auskommen. Jetzt nehme ich erst das zweite Blatt in Angriff und habe nach Abschluß des ersten sechs müßige Tage vorüber gehen lassen. Sie glauben vielleicht, es sei Mangel an Consequenz, und daß ich zu jenen Menschen gehöre, welche allerlei beginnen, aber nichts zu Ende führen? Diesen Vorwurf will ich nicht verdienen, und so sitze ich wieder da, in meine Aufgabe vertieft. Ich fahre also in meinem Thema fort, und in der That, bei den Freiheitsbestrebungen unserer Zeit ist es interessant auf die Ketten hinzuweisen, die noch allenthalben die Fortschrittsbewegung hemmen – und andererseits ließe sich auch der Beweis aufstellen, daß so manche Fesseln eine wohlthätige Existenzbedingung sind.

Was ist Anstand, Sitte, Gesetz, wenn nicht Fesseln? Gäbe es diese nicht, so hätte ich neulich zu Fräulein Elsbeth gesagt:

„Prächtiges Mädchen, komme zu mir und lasse Deinen Schwanberg!“

Sie ist wirklich eine blendende Erscheinung. Wie eine Judith sieht sie aus: düster, entschlossen, gluthenbergend – es muß eine süße Kette sein, wenn sie, die nachtschwarzen Flechten lösend, deren seidene, duftende Ringe um den Hals des Geliebten schlingt.

Sie saß mir beim Verlobungsdiner gegenüber, und öfters ruhte ihr dunkles Auge auf mir; da durchzuckte mich der Gedanke:

„Ach, hätte ich Dich früher gekannt!“

Der Bräutigam ist ein gesetzter Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren, also um zwanzig Jahre älter als Elsbeth. Bis auf den Besitz einiger Millionen dünkt er mir ziemlich gewöhnlich. Die ganze Heirath ist offenbar eine von Mama Meier arrangirte Convenienzehe.

Ich begreife das stolze, energisch aussehende Mädchen nicht; wie konnte sie die lieblose, berechnende Wahl treffen?

Aber die ganze Gesellschaft geht mich ja gar nichts an. Zu der im December stattfindenden Hochzeit bin ich auch schon eingeladen. Die Mama war zuckersüß mit mir und scheint vor der Familie Derer von Ritterglas einen enormen Respect zu haben. Dies gewahrend, habe ich mir sehr feudale Airs gegeben und ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_163.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)