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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

eine summarische Abrechnung mit Meinhard’s Unterschrift. Auf diese traf zuerst sein Blick, und erbleichend trat er zurück.

„Hilda! Du hast doch nicht –“ stieß er bestürzt hervor. „Du hast doch Meinhard nicht gesagt –?“

„Wie kannst Du denken!“ beruhigte ihn die Schwester. „Ich verrieth das Geheimniß mit keinem Worte. Uebrigens hättest Du, auch wenn das geschehen wäre, nichts von ihm zu befürchten, er hat die Stelle hier übergeben und reist noch heute ab; Du kannst ganz ruhig sein.“

Traurig und mit einem unterdrückten Seufzer hatte sie das gesprochen.

„Wilhelm – –“ fuhr sie fort, aber plötzlich unterbrach er sie:

„O, wie müde ich auf einmal werde! Hilda, reich mir ein Glas Wein!“ bat er, „kein Wasser! Der Wein stärkt mich mehr – ich fühle es, und heute habe ich ihm auch wieder Geschmack abgewonnen. Gieb nur!“

„Das sind ja blos sechstausend!“ ließ sich im gleichen Augenblick Schöpf vernehmen. Er hatte nicht gewartet und trotz Wilhelm’s Protest die Zeit zum Durchzählen verwendet.

„Ich habe nicht mehr herbeischaffen können,“ entschuldigte sich Hilda.

„Und obendrein in Papieren, die auf den Namen geschrieben sind. Hollah! Das ist wider die Abrede, mein Fräulein!“

Auf den Namen geschrieben! Daran hatte Hilda freilich nicht gedacht. Sie war zu wenig in financielle Geschäfte eingeweiht, um eine Ahnung davon zu haben, welche Formalität zur Uebertragung solcher Obligationen nothwendig sei.

„Daß Sie mir eine Falle legen wollten,“ meinte Schöpf, „erscheint mir selber nicht recht glaublich, aber das ändert die Sache nicht. Und daß mehr Geld nicht aufzutreiben wäre, das lasse ich mir so leicht nicht weißmachen. Wo sechstausend liegen, mein gnädiges Fräulein, da finden sich wohl auch noch weitere vier.“

„Ich habe aber gewiß nicht mehr zur augenblicklichen Verfügung!“

„Bah, suchen Sie nur!“

„Ich meine, Sie könnten sich auch mit dieser Summe begnügen. Sie ist groß genug, und ich weiß nicht, wie ich noch eine weitere beschaffen soll, ohne die Aufmerksamkeit zu erregen und auf – uns zu lenken.“

„Du hörst es ja, Vampyr! Gieb Dich zufrieden!“ mahnte auch Wilhelm.

„Nein,“ entgegnete Schöpf mit seiner ganzen brutalen Schroffheit. „Alles oder nichts! Ich bleibe auf diesem Flecke bis heute Abend sieben Uhr. Ist um jene Stunde nicht die volle Summe in meinen Händen, so sind die Unterhandlungen abgebrochen, und ich thue meine Schritte.“

„Dann mußt Du aber die Mausefalle aufthun und dürftest bei Deiner Zurückkunft mit Gefolge dieselbe wahrscheinlich leer finden.“

Ein tückischer Blick aus Schöpf’s kleinen Augen traf Wilhelm.

„Die Grenze ist nicht so rasch erreicht, mein Lieber, und sind die Hunde auf die Fährte des Hasen gesetzt, dann fangen sie ihn auch sicher ein. Man hat dafür ganz praktische elektrische Einrichtungen mit Drahtschlingen, haha! Uebrigens werde ich mich hüten, meinen werthen Freund und Schwiegersohn allzu sehr aus den Augen zu lassen. Es geht manch Bäuerlein hier vorüber, das eine kleine Botschaft für den Anzeigelohn gern übernimmt. Dem Manne kann geholfen werden, mein Junge.“

„Aber wie dann, wenn wir den Spieß umkehrten?“ erwiderte Wilhelm, scharf und höhnisch. „Die Mausefalle schlüge zu und hielte den fest, der Andere damit zu fangen meinte. Ich denke, Halder würde mir recht wohl den Gefallen thun und hier so lange Wache stehen, bis die bissige Ratte nicht mehr schaden kann. Was meinst Du dazu.“

Mit einem Satze war Schöpf an der Thür, und sein vor Wuth funkelnder Blick hing lauernd an Wilhelm, welcher aber kein Glied rührte.

„Ich protestire!“ sagte er. „Das ist Einschränkung der persönlichen Freiheit. Ein neues Verbrechen! Versuchen Sie es doch und meine Hülferufe werden die Entdeckung beschleunigen.“

„Es giebt Knebel auf der Welt, und man kann Ratten auch ersäufen,“ entgegnete Wilhelm, der an seines Quälgeistes Schreck und Angst Gefallen fand.

„Scherze nicht so furchtbar, Wilhelm!“ mengte sich nun Hilda ein. „Und Sie, Herr Schöpf, werden einsehen, daß wir an solche Gewaltmaßregeln gar nicht denken.“

„Ich weiß doch nicht –“

„Habe ich Ihnen denn nicht schon bewiesen, daß es mir Ernst damit ist, Ihre Forderungen zu erfüllen? Wollen Sie die Papiere? Hier sind sie. Geben Sie mir eine Art an, wie der Rest in Ihre Hände gelangen kann, und Sie werden ihn erhalten, aber nehmen Sie selbst Ihre Drohungen zurück, und geben Sie meinen Bruder frei!“

„Nichts da! Ich wäre ein Narr. Alles oder nichts! Bis heute Abend sieben Uhr!“

„Das System der Daumschrauben,“ spottete Wilhelm.

„Ja, allerdings die Daumschrauben! Ich bin nun einmal dafür. Ist das Sicherste, mein Lieber.“

Hilda drückte die Hände an die Stirn; sie sann und sann – vergeblich!

„Es ist unmöglich in so kurzer Zeit,“ erklärte sie dann. „Es ist Niemand zu Hause, und selbst wenn Franz heimkehrt und einwilligt, was doch noch zweifelhaft ist, so kann er nicht im Handumwenden das Geld schaffen; solche Summen hat man nicht baar im Hause. Er muß also erst zur Stadt. Wenn Sie wenigstens bis morgen Frist gäben – –“

„Ich kann nicht warten. Habe dringende Geschäfte,“ versetzte Schöpf, dessen Mißtrauen sich noch nicht ganz gelegt hatte und sich in seiner wie zum Sprunge geduckten Raubthierhaltung verrieth, barsch und abweisend. „In der Nacht ist es auch schwer, die Augen offen zu halten, jetzt, wo unser Patient wieder auf den Füßen steht. Ich will sagen – heute Abend neun Uhr. Aber keine Minute länger. Bis dahin werde ich schon auf der Hut sein.“

Seufzend ging Hilda auf den ihr gestellten äußersten Termin ein und schenkte dann der Anleitung, die der Taschenspieler ihr zu Theil werden ließ, die vollste Aufmerksamkeit.

„O, er ist ein gewandter Schulmeister in dergleichen Dingen, Du kannst Dich auf seine Geschäftskenntniß verlassen,“ äußerte Wilhelm, der sich mittlerweile wieder erhoben hatte, und in fieberhafter Unruhe im Zimmer auf- und abging. „Es thut mir leid, daß ich Euch so theuer zu stehen komme. Aber ich will es abbezahlen, bei meinem – nein, mein Ehrenwort ist ja Plunder geworden. Diese Münze ist falsch, aber ich versichere Dir heilig und theuer, Schwester, daß es mir ernst ist mit meinem Versprechen, sehr ernst. Weißt Du, Hilda, wenn ich sterben sollte –“

„Denke doch nicht an etwas so Trübes, Wilhelm!“ suchte sie den plötzlich muthlos Gewordenen aufzurichten. „Morgen bist Du außer aller Gefahr, und dann beginnst Du mit frischen Kräften ein neues Leben.“

„Wir machen uns noch heute Nacht aus dem Staube,“ erklärte nun auch Schöpf. „Halder kann unterdeß nach Großdorf hinüber gehen und uns ein Bauernwägelchen bestellen. Die Stadt ist nicht geheuer, und wir thun klüger, nach der nächsten Bahnstation zu fahren.“

„Daß wir doch schon fort wären!“ seufzte Wilhelm. „Mir ist’s, als hätte ich Feuer unter den Sohlen. Ich werde die Minuten bis zu Deiner Rückkehr zählen, Schwester. O, wie will ich arbeiten! Mit den Händen, wie ein Tagelöhner, wenn es sein muß. Aber ich habe das Vorgefühl, daß es gelingt – ich habe es. Du wirst sehen, daß es geht, wenn Du erst meinen Plan erfährst. Und Franz sage – nein, sag’ ihm nichts! Er wird toben und doch alles nur für Geflunker halten – der Ehrenmann, wie er im Buche steht. Er würde mir doch seine Hand nicht geben – das könnte einen Fleck hinterlassen. Einer von denen, die beten: ‚Führe uns nicht in Versuchung‘, und dabei hochmüthig denken: ‚Ein Mann wie ich würde ihr doch widerstehen‘. Ja, so meinen sie, weil sie eben noch nicht erfahren haben, was die Versuchung ist. Aber sei’s darum! Vielleicht denkt er besser von mir, wenn er sieht, wie ich mich zum Leben stelle. Will mal sehen, ob ich es nicht noch mal zum Lächeln zwinge. – Arme Kleine! Arme, kleine, süße Any! Daß sie es nicht auch noch lächeln sehen kann. Das wäre mein höchstes Glück gewesen. Das süße Kind! – Doch jetzt geh, geh, Du Gute, und bringe uns die Befreiung, die Erlösung! Engel haben ja Flügel. Adieu, Hilda! Komm’ bald wieder!“

„Ja, ich gehe gleich!“ sagte Hilda, der es bei diesem hastigen, sprunghaften Gehaben ihres Bruders fast bange wurde. „Aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_171.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2022)