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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Bürsten selbst. Die Borsten werden mit rasender Hast herausgezerrt, zerstäubt, zertreten, zerstampft – jetzt kommen die Kästen d’ran; die Bretter werden aus einander gerissen, die Nägel am Pflaster zerstoßen. Jetzt – jetzt ist alles, alles vernichtet; jetzt richten sie sich auf, ein Wuthgeschrei, ein Sprung da und dort, auf einander los, und man sieht nur noch eine unförmliche Masse am Boden sich wälzen, aus der je und je ein Kopf, eine Faust, die nach dem feindlichen Ohr faßt, ein Arm, ein Fuß herausschnellt – alles das kollert nur so über einander; die Höschen fliegen in Fetzen; die Haare stieben umher; die Kämpfer verbeißen sich in einander wie zwei Hunde. Jetzt endlich wird der Zuschauermenge die Sache zu kritisch. Einige Polizeisoldaten reißen die Kämpfenden aus einander. Mit blutigen Gesichtern, keinen ganzen Faden mehr am Leibe, stehen sie jetzt da, keuchend, in Schweiß gebadet und – fangen an zu heulen? – O nein! „un’ soldo, Signori o, un’ soldo!“Eingesammelt wird jetzt bei den Zuschauern als Lohn für die – „Vorstellung“!

Zeitungsjunge.

„Einen Soldo, meine Herren, ein Trinkgeld für den armen Stiefelputzer!“

„O, mein Herr, einen Soldo; ich habe keine Bürsten mehr; o, ich bin so arm und habe noch drei kleine Brüder zu Hause, o, und mein Vater ist todt, o, und meine Mutter ist krank – also einen Soldo!“

Und alles lacht; da und dort klirrt ein Geldstück in die kleine Hand, die soeben noch des Feindes Kopf bearbeitet hat und nun so unschuldig bittend ausgestreckt wird; reich ist der Lohn, den sie einsammeln – noch einen drohenden Blick auf den Gegner, einen selbstbewußten auf das schwarzglänzende Trottoir – und dann: „Danke, adieu, auf Wiedersehen, meine Herren!“ und beide trotteln ab nach verschiedenen Seiten, und die Menge zerstreut sich lachend.

Ja, wer solche Scenen nicht selbst mit angesehen hat, macht sich keinen Begriff von der überwältigenden Komik derselben. Es sind Scenen, die einen Hendschel förmlich begeistern müßten, ganze Skizzenbücher mit ihnen zu füllen.

Vor dem Weihwasserkessel.

Und wie bezeichnend ist die Gefechtsmethode der Combattanten für ihr ganzes Wesen! Wenn unsere Buben auf einander eifersüchtig sind, so prügeln sie sich eben einfach. Der Italiener aber, speciell der Römer, ist Geschäftsmann vom Mutterleibe an – zuerst wird des Gegners Waarenvorrath vernichtet, seine Concurrenz zerstört; dann erst wird man handgemein: eine diabolische Taktik!

Und weiter geht unser Weg. Wir schlendern hin und her, über die Engelsbrücke, durch dichtbevölkerte, enge Straßen, über die Piazza del Popolo und die prächtige Marmortreppe zum Monte Pincio, wo Abends die elegante Welt Corso fährt, derweil die Sonne rücksichtsvoll hinter St. Peter’s Kuppel sich zurückzieht und die Cypressen im leichten Abendwinde ihre Zweige regen, die Fontainen kühlend plätschern und rauschende Musik durch den Park schmettert.

Orangen-Verkäufer.

Fast wären wir geneigt, sentimental zu werden, aber so lange die satanischen Gassenjungen mit ihren Orangen- und Kirschenkörben uns nicht in Ruhe lassen, wird das wohl nicht gelingen. Unter jedem Baum, auf jeder freien Platte der Balustrade, bei jeder Bank haben sie ihre Niederlage, und wehe dem, der so unvorsichtig ist, einen der Früchteverkäufer eines Blickes zu würdigen – es ist ganz unmöglich, ihn wieder los zu werden, ehe man ihm eine Orange abgekauft hat.

Mit Hast ordnet hier ein vielleicht sechsjähriger Händler seine Früchte zu gefälligerem Ensemble in dem schlechten Korbe; ein wohlgenährter Reisender kommt ihm unkluger Weise zu nahe; nun stürzt der Junge auf ihn zu, setzt den Korb ihm dicht vor die Füße, tritt theatralisch einen Schritt zurück und haucht in augenverdrehender Verzückung:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_180.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2022)