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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

nicht den Geliebten, den künftigen Gatten vor Augen gehabt, sondern – wie es scheint – nur den Makler für Ihre geschäftlichen Affairen.“

Hilda senkte den Kopf. Der Vorwurf war gerecht und trieb ihr flammende Schamröthe in die Wangen; sie mußte sich selbst schuldig bekennen; denn wie unverhüllt sich sein Egoismus, seine kalte Herzlosigkeit auch dargestellt, ihr eigenes Verhalten gegen ihn war kaum minder selbstsüchtig gewesen. Sie hatte das auch längst – nur nicht so klar – empfunden, und aus dieser Quelle war auch die stumme Ergebung in das selbstgeschaffene Schicksal entsprungen, durch die sie das an Edwin begangene Unrecht zu sühnen vermeinte. Jetzt gewann sie mit der Selbsterkenntniß auch die verlorene Energie zurück.

Langsam sah sie zu ihm auf, und ihre Stimme klang nicht unfreundlich, wenn auch bestimmt, als sie sagte:

„Edwin, wir haben wohl Beide geirrt, und das Schicksal hat uns nicht für einander bestimmt. Sie finden nicht in mir, was Sie gesucht. Ich will hinwieder nicht leugnen, daß ich Ihnen – in meiner Hülflosigkeit wirklich zwei Rollen zugedacht hatte, die des Gatten und die des – Helfers in der Noth; ja – aber Sie haben die Probe in keiner bestanden. Von dem Manne, der mich zu lieben vorgab, mußte ich Theilnahme und Verständniß erwarten; der durfte mich auch nicht schon am Tage nach der Verlobung für fähig halten, ihn zu verrathen. In meinen Jahren darf man nicht mehr durch äußerliche Vorzüge Leidenschaften hervorzurufen glauben. Was uns Zuneigung verschafft und erhält, kann einzig und allein Wesen und Gesinnung sein. Mein Herz, mein Charakter ist Ihnen fremd geblieben. Es war eine Täuschung, in der wir uns befanden. Wir haben diese Täuschung nun hinter uns und wollen einander darob nicht grollen.“

Zuletzt hatte sie ihm selbst die Hand gereicht, er aber legte die seine nur zögernd hinein.

„Ich glaube, ich lerne Sie verstehen,“ sagte er nicht mehr mit dem Tone kalter Berechnung, sondern fast bewegt, „und ich könnte Sie auch anders lieben, Hilda – wenn Sie nur –“

„Das kommt jetzt wohl zu spät,“ unterbrach sie ihn lächelnd. „Doch Eines noch! Ich darf von Ihrer Ehrenhaftigkeit wohl voraussetzen, daß Sie das Ihnen anvertrauete Geheimniß ängstlich hüten. Geben Sie mir Ihr Wort darauf, daß Sie es nicht verletzen!“

„Wo wollen Sie jetzt hin?“ fragte er, nachdem er mit einer kühlen Verbeugung den Händedruck erwidert.

„Zur Stadt!“

„Sie sind unverbesserlich!“ stieß er unwillig hervor und wandte sich ab. Dann aber sah er ihr kopfschüttelnd nach. „Da hat’s Mama!“ sagte er, als sie ihm aus den Augen entschwunden war. „Das nächste Mal folg’ ich aber entschieden nur meinem eigenen Kopfe – was auch daraus wird.“ Er schlenderte, seine neue Polka pfeifend, als ob nichts geschehen wäre, dem Hause zu. –

Hilda hatte unterdeß den Pfad längs des Zaunes verfolgt, der in einem Bogen zur Dorfstraße hinausführte. Sie griff wie ein sorgloses Kind nach den rothen Hagebutten, die feucht von den Rosenzweigen herabhingen. Es war ihr zu Muthe wie einem Gefangenen, dem man plötzlich die Kerkerthür aufgeschlossen. Harte Kämpfe hatte sie durchgerungen, während sie nach Meinhard’s Abschied scheinbar in dumpfem Hinbrüten die Wunderwelt ihres erschlossenen Herzens staunend durchforschte, doch war ihr der Gedanke nicht gekommen, ihr Wort zu brechen. Ehrlich und loyal wollte sie ihr Versprechen halten, das ihr, wie sie selbst gesagt, heilig war, wem immer sie es auch gegeben. Mochte sie sich innerlich verbluten, stolz und ruhig wollte sie ihr Loos tragen. Da aber riß er, dem sie ihre Hand geschenkt, selbst die Kluft auf, und plötzlich wurde ihr die Nutzlosigkeit des großen Opfers klar, das sie zu bringen im Begriffe stand. Er liebte sie ja gar nicht; er verlor nichts an ihr. Eine Sünde wäre es gewesen gegen die heiligste Wahrheit, eine Sünde gegen Gott und Menschheit, wenn sie das Bündniß am Altar mit ihrem „Ja!“ besiegelt hätte. Ihr Herz schlug hoch auf in wiedergewonnener Freiheit. Einsam zwar sollte es bleiben, dieses befreite Herz, aber es war doch frei.

Und in dieser Empfindung schien ihr die ganze Welt wie in lichtes Sonnengold getaucht. Eine frische, muthige Zuversicht war über sie gekommen. Wie leicht erschien ihr nun die übernommene Aufgabe! So beschloß sie denn, nunmehr alles selbst zu erledigen, und, um nicht aufgehalten zu werden, schlug sie, ohne erst nach Hause zurückzukehren, den Weg nach der Stadt ein.

Sie schritt rüstig dahin und war nach einer guten halben Stunde am Ziel. Nur einmal zauderte ihr Fuß – als sie an dem alten Amtshause vorüberkam. Mit unwiderstehlicher Gewalt zog es sie dem Thore zu; jetzt hätte sie ja auch keine Entdeckung ihres Geheimnisses mehr zu fürchten gehabt, da Meinhard die Leitung der Geschäfte bereits abgegeben und somit durch ihre Mittheilungen in keine Collision der Pflichten gebracht wurde. Aber ihre Sehnsucht, sich im Vertrauen ihm noch einmal – nur einmal noch zu nahen, verstummte vor einem Gefühl der Furcht; würde er ihren Schritt nicht falsch auslegen? Der Mann, der ihren Abschiedskuß hingenommen und dann ohne ein weiteres Wort gegangen war – was war sie ihm noch? was konnte sie ihm noch sein? Vorüber! Das war vorüber. Ihm ihr Gefühl verrathen? Sie hätte vor Scham sterben müssen. Gestern noch war ihr der Besuch bei ihm wie etwas Natürlich-Harmloses erschienen – heute – –? Tief erglühend wendete sie das Gesicht ab und eilte wie auf der Flucht an dem Hause vorbei.

Es mußte ja auch allein zu Ende zu führen sein. Sie durfte ihrer Kraft vertrauen.

Nach wenigen Minuten stand sie vor dem Geldwechsler, der schon seit Jahren mit ihrem Bruder Verbindung unterhielt. Allerdings vergingen Stunden, die sie, in unruhige Gedanken versunken, mit Warten verbringen mußte, bis es dem Manne, der keinen Anstand nahm, ihrem Begehren zu entsprechen, gelang, die für seine beschränkten Verhältnisse sehr große Summe, welche durch das Depot und ihre Accepte gedeckt war, herbeizuschaffen, aber endlich durfte sie doch erleichtert aufathmen. Welche Vermuthungen durch die Erhebung eines so hohen Betrages hervorgerufen wurden, kümmerte sie nicht – morgen durfte ja alle Welt die Wahrheit erfahren.

So hatte sie denn das Geld in Händen! Mit innerem Frohlocken betrachtete sie es und machte sich eilends auf den Rückweg. Keine Minute wollte sie versäumen – der Abend begann doch schon hereinzubrechen. Mit um so größerer Freude begrüßte sie Doctor Schöller, der sie, ehe noch die letzten Häuser der Stadt hinter ihr lagen, von seinem kleinen Wagen aus anrief; sie stieg rasch zu ihm ein. War auch der Arzt zum Glück überflüssig geworden, so konnte doch die Erlösung dem unruhig harrenden Gemüthe des unglücklichen Bruders gewiß nicht zu früh kommen. Etwas wie eine bange Ahnung trieb sie.

„Thorheit!“ sagte Hilda beruhigend zu sich selbst. „Das ist nur die Nachwirkung all der Aufregung.“

Gottlob, nun nahm sie ja ein Ende, diese quälende Aufregung. Alles war in Ordnung. Was hätte denn noch drohen können?




10.

Es dämmerte schon stark, als endlich auch Franz mit seiner jungen Frau nach Waltershofen heimkehrte. Bereits beim Vorfahren des Landauers an der Treppe kam Mimi den Eltern entgegengesprungen. Es war ihr bei allem Seelenschmerz doch nicht so gleichgültig, ob die langgenährte Sehnsucht nach einem eigenen Pferde gestillt werden sollte oder nicht; denn das ist klar: als Amazone kann man stolzer über alles Erdenleid hinwegsetzen, als wenn man nur so als graue Fledermaus über den nebelfeuchten Grasboden hinflattert.

„Abgeschlossen, abgeschlossen, Kleine!“ lautete Papas beruhigende Antwort. „Morgen treffen sie ein; dann noch ein paar Rasttage und Montag heißt’s: in den Sattel; da beginnen wir mit den Reitstunden. Etwas zu zierliche Beine hat das für Dich bestimmte braune Ding freilich; ich wollte mir’s eigentlich überlegen, aber bedanke Dich bei Mama! Die meinte, eine Mücke, wie Dich, werde das Thierchen schon tragen, und im Grunde war’s ein guter Handel. Saldorf wollte das Pferd nun einmal aus dem Stalle haben, und das entschied zu unseren Gunsten. Aber das sag’ ich Dir, mein Töchterlein, wenn Du Furcht hast –“

„Eine Beleidigung, Papa! Du wirst sehen, daß ich keine Furcht habe.“

„Na, glaub’s auch!“ sagte er schmunzelnd, während er seiner Frau aus dem Wagen half. „Wer zur Jagd Muth hat, wird auch eine beherzte Reiterin. Wollen sehen, wer von Euch Beiden raschere Fortschritte macht, die Mama oder Du, mein Kind. Wirst Dich zusammennehmen müssen, Albertine,“ wandte er sich zu seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_187.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2023)