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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

unterdessen geflickt, gewaschen, gesäugt und gehämmert, wie’s eben die Stunde bringt.

Knurrend erhebt der Haushund Protest, und mit scheuen Augen blickt der Bauer auf dieses Treiben; sein Mitleid ist gemischt mit Widerwillen, aber dennoch lockt die Neugier Alt und Jung herbei aus dem Dörflein. Es kommt der Großvater mit seinen Enkeln; aus Stall und Stube schauen die Dirnlein hervor, und der Schmied drüben legt seinen Hammer nieder und rückt mit seinem Gesellen an.

So giebt’s im Nu eine ganze Gesellschaft.

Da meint wohl der „Hercules“, der die Truppe begleitet, daß man das Eisen schmieden müsse, so lang es heiß ist, und ehe man sich’s versieht, springt er in Gala aus dem Wanderwagen; die Eisenstange thut ihre verblüffende Wirkung, und im nächsten Augenblicke wird es laut verkündet: Zwanzig Mark Belohnung, wer den „baierischen Hercules“ (recte Mathias Hinterhuber) zu Boden bringt.

Eine dramatische Spannung faßt die Gemüther; der Alte bedauert zum ersten Mal, daß er sich schon im Stadium des Großvaters befindet, und der Schmied blickt prüfend auf seine sehnigen Arme:

„Ja,“ meint er, „wenn i ’n niederschlagen dürft, na wär’s a leichts, aber ringen – dös hat ja kein Werth nit.“

„Sag lieber, daß Du kei Schneid hast!“ erwidert der „Hercules“ im reinsten Altbaierisch, das mit dem hellenischen Stammbaum seines Namens seltsam contrastirt.

Da stürmt der Simei, der Oberknecht, durch die offene Stallthür; er hat nur halbe Worte gehört: „Schneid“, „niederwerfen“ u. dergl., aber das genügt, um alle Lebensgeister in ihm wachzurufen – war doch der Simei in Baierisch-Zell daheim.

„Wer hat kei Schneid?“ brüllt er dem gespreizten Gladiator entgegen, „probir’s, Du g’schecketer Hansdampf!“

Ein helles Lachen scholl bei diesen Worten, und unvermerkt wich auch der Kampfesgroll wieder dem Scherze.

„Zahlst mir a Maßl, wenn i ’s g’winn?“ rief der Simei dem Wirth entgegen.

„Jawohl, gern aa no’(ch),“ sprach der Wirth.

„Und ’s Grethei muß mir a Bussl geben?“ fügte er schalkhaft hinzu, mit einem Blick auf die Tochter des Hauses.

„Jawohl, gern aa no’(ch),“ sprach das Grethei.

Da war’s ein Augenblick und mit Sturmgewalt waren die Leiber der Kämpfenden in einander verschlungen; bald war der, bald jener in den Lüften; denn die ungefüge Naturkraft des Bauers hatte schweren Stand wider die blitzschnelle Gewandtheit des Ringers. Athemlos lauscht die Runde – da kracht der Boden von einem jähen Fall, und – von der eigenen Kraft noch fortgerissen – prallt der kühne Bauer zwei Schritte zurück. Sein Gegner rollt auf der Erde und stemmt die nackten Ellnbogen in’s Gras; zum Glück ist seinem Körper kein Leid geschehen, aber die Rüstung in diesem Turnei, das blanke Tricot, trägt eine klaffende Wunde, und sein – Ruhmesglanz ist dahin.

Das ist der einzige Schmerz, den er empfindet, wenn er die jubelnden Gesichter sieht; mit Schrecken schauen die Seinigen auf den gestürzten „Hercules“. Dann erhebt er sich schweigend und verschwindet in dem großen gelbgetünchten Wagen. Gar oft hat der arme Mann mehr Pflichtbewußtsein, als der reiche – wortlos bietet „Hercules“ dem Sieger das verlorene Goldstück dar. Aber der spricht lachend:

„B’halt Dein Geld! Du bist g’schlagen gnua, daß D’ verloren hast. B’hüt Di’ Gott!“

Keine Kränkung war damit dem Gegner zugedacht; nur ein heimathstolzes Selbstgefühl kräuselte die Lippen des kühnen Knechtes, und dann sprach er fröhlich, mit einem Schelmenblick wider den Wirth. „Kellnerin, a Maß!“

Mit dem Zeigefinger der Rechten aber winkte er unter die Menge und rief schmunzelnd: „Grethei!“

„Geh, gieb mir a Bussel
Und mach’ koa so G’sicht!
I mach’ schon die Aug’n zu,
Damit ’s Niemand siecht.

Denn die richtigen Dirndln
Die busseln so gern;
Und wie mehra daß s’ busseln,
Wie schöner daß s’ wer’n!“ –

Auch im Dorfe selbst aber zeigt bereits der „Markt“ seine lebensfrohen Spuren. Auf der Straße werden rechts und links die kleinen Bretterstände gezimmert; überall wird Platz geschafft für diese Eintagsherrlichkeit, und der Bierwagen des Wirthes ist heute noch einmal so hoch geladen wie sonst. Morgen sind’s wohl die Gäste.

Auch in Küche und Schlachthaus giebt’s Arbeit genug; denn man darf wohl auf tausend Fremde rechnen, und Mancher feiert schon den Abend vorher mit einer doppelten Atzung. Samstag Abend ist ja ohnedem den dunkleren Mächten unserer Natur geweiht, und wenn der Bergbauer, der noch eine Stunde heim hat, um elf Uhr vor die Thür des Wirthshauses tritt, dann dreht er sich schwindelnd um die eigene Achse und lugt in die Sterne und brummt: „Herrgott, aber morgen giebt’s an schönen Markt!“

Endlich kommt die Sonne hinter den Bergen hervor; die Sonntagsglocken schallen durch’s Thal, und überall herrscht buntbewegtes Leben. Auf der gewundenen Straße rollen die Bernerwäglein einher; das braune Pferd ist sorglich gestriegelt, und drinnen sitzt der Bauer mit seiner „Alten“ im Feierstaat oder ein kecker Bursch mit seiner Liebsten. Das stößt und stolpert über die harten Steine, daß Einem wohl die Seele aus dem Leibe fliegen möchte, aber unsere baierische „Volksseele“ ist nicht so sensibel. Je mehr Püffe, desto mehr Vergnügen, und dann ist’s doch immer noch „gefahren“ – denn stärker, als wir ahnen, hält ja gerade der Bauer auf’s Repräsentiren.

Aber auch wer zu Fuße kommt, trägt heute sein bestes Gewand, vor Allem die Mägdlein, die aus den Einödhöfen der Nachbarschaft heruntersteigen. Da schmückt die breite Goldschnur den Hut, und im Mieder prangt der „Buschen“ von rothen Nelken oder Geranium.

Der Zudrang ist so stark, daß gar nicht Alles in der Kirche Platz hat; schaarenweise stehen die Männer vor dem geöffneten Thor, mit dem Hut in der Hand, und wenn nun das Hochamt verklingt, dann drängt die ganze geschmückte Schaar hinaus auf den freien Platz, wo die Zwiesprach wohl noch ein Viertelstündlein dauert.

Hier ist ja das allgemeine „Rendez-vous“ der Bauernwelt; Leute, welche die ganze Woche hindurch nicht in’s Dorf kommen, weil sie im Holzschlag oder auf entlegenen Gehöften ihrer Arbeit pflegen, finden sich am Sonntag „vor der Kirch’“. Dann aber geht’s mit ganzem Eifer auf den Markt, der heute alle übrigen Interessen verdrängt; schon dröhnt die Trommel der „Künstler“, die im Wirthsgarten ihr Seil gespannt; schon hört man „Kasperl“ im Fistelton rumoren, kurzum, mit jeder Minute würde ein Wunder versäumt. Aber nur langsam und mühsam durchdringen wir dieses Gewühl; hier und dort schallt lauter Gruß, wenn Bekannte sich begegnen, übermüthiger Neckruf klingt von Einem zum Andern, und dazwischen lassen sich die kreischenden Lobeshymnen der Krämer hören, die ihre Waare verkünden.

Am dichtesten ist das Gedränge indessen dort, wo der Kleiderteufel zu Markt sitzt; es werden Pers- und Wollenstoffe feilgeboten, vor Allem aber die schönen seidenen „Tücheln“, die das eigentliche Prachtstück des weiblichen Costüms bilden. Sie sind auch das populärste Geschenk, das der Bursch seinem Mädel bietet; sie schmücken die Fahnen, die beim Schießen als Preise vertheilt werden, und gar Mancher hofft, daß er damit den Weg von außen nach innen finde – vom Tüchel in’s Herz.

In langen Reihen stehen die Mägdlein hier vor dem verlockenden Laden. Es heißt wohl, daß schöne Mägdlein selten seien im baierischen Hochland, aber wer dort sich umsieht, der wird gern das Gegentheil gewahren. Nußbraun fallen die Zöpfe um die frohen Gesichter, und die kichernden Stimmen klingen hell durch einander, bis das schönste Stück gefunden und der äußerste Preis erzielt ist.

Doch auch Kleider männlichen Geschlechtes kommen zu Markte, in allen Längen und Formaten, und dieser nichtsnutzige Import trägt meines Erachtens keine kleine Schuld an dem Verschwinden unseres volksthümlichen Costüms. Den Bauer lockt das Neue, das Fremde, und vor Allem das Fertige; er spürt von der Devise „Billig und schlecht“, die jeden Jahrmarkt regiert, natürlich nur den ersten Theil, und so kommen unvermerkt jene grauen „Spenser“, schwarzen Hüte und langen Hosen in’s Land, die den Bauer auch äußerlich dem Bürger gleichmachen; denn die Gedanken, die unter einem schwarzen Filzhut aufwachsen, sind nun einmal andere, als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_190.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2022)