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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

englischen Kaufsitten. Nirgendwo ist die Vorliebe für das Billige so selten zu finden, wie in England. Das schlechte Element der englischen Lebensführung dagegen liegt in der Vorliebe des Engländers für einen plumpen, schwerfälligen, oft überflüssigen und rein materiellen Luxus und in dem Mangel an Sparsamkeit.

Die deutsche Art zu leben enthält weder die guten noch die schlechten Elemente der englischen, und daher kann der deutsche Commis für geringeren Lohn arbeiten. Noch jetzt sind englische Kaufleute manchmal erstaunt, zu welch geringem Preise deutsche Commis ihre Arbeitskraft anbieten, obwohl sich der englische Unternehmer daran gewöhnt hat, den Deutschen als einen außerordentlich genügsamen und billigen Arbeiter zu betrachten. Eine Stellung, welche einem Engländer 150 Pfund Sterling einbringt, übernimmt ein Deutscher nicht selten für 60 bis 80 Pfund Sterling. Unsere Landsleute bieten sich außerdem in solchen Mengen auf dem Arbeitsmarkte an, daß Manche keine Stellung finden würden, wenn sie sich nicht bereit erklärten, ohne Gehalt zu arbeiten. Sie wollen eben, wenn auch mit Opfern, festen Fuß fassen, und den Vortheil davon haben natürlich die englischen Arbeitgeber. Einige derselben beuten die Verhältnisse so gründlich aus, daß sie deutsche Commis für 80 Pfund Sterling anstellen und nach einigen Jahren, wenn eine Aufbesserung des Gehaltes am Platze wäre, dieselben entlassen und frisch angekommene Deutsche mit demselben bescheidenen Gehalte engagiren.

Der englische Commis leidet selbstverständlich unter dieser Concurrenz. Sein Gehalt wird durch dieselbe manchmal gedrückt, und er muß eine Lebensführung, an die er sich von Jugend auf gewöhnt hat und die, wie gesagt, in mancher Beziehung besser als die deutsche ist, aufgeben. Manche englische Commis werden aus ihren Stellen durch deutsche verdrängt. Es wäre daher ungerecht, diese Verhältnisse nur vom deutschen Standpunkte aus zu betrachten. Wer da weiß, von welchem Vortheile eine hohe Lebenshaltung für ein Volk ist, wird den Proceß, der sich vollzieht, nur mit Schmerz vor sich gehen sehen. Wenn auch der Engländer so argumentiren, wenn er vorurtheilslos die Bildungsvorzüge des deutschen Kaufmanns anerkennen und das Bestreben zeigen würde, den englischen Commis auf das geistige Niveau des deutschen zu erheben, dann würde er alle Billigdenkenden auf seiner Seite haben.

Haydn’s Geburtshaus in Rohrau an der Leitha.
Nach einer Aufnahme vom Jahre 1825 auf Holz gezeichnet.

Aber er findet es ungerecht, daß die Deutschen überhaupt nach England kommen, wie wir aus dem angeführten Briefe ersehen haben. Der gewöhnliche John Bull möchte am liebsten jeden Fremden, vor Allem aber die Deutschen aus England ausgewiesen sehen. Er läßt es natürlich völlig außer Acht, daß die Einwanderung deutscher Commis eine Form der freien Concurrenz ist, welche man doch, wo sie England Vortheil bringt, nicht genug rühmen kann. Die Befehdung der Deutschen in England ist um so unverständiger, als gerade der Engländer überall zu finden ist, überall große Unternehmungen in’s Leben ruft und in allen Ländern die Fremden ausbeutet. Er murrt über die Deutschen und andere Landeskinder just zu derselben Zeit, da die erschöpfte Türkei und das ausgesogene Aegypten sich über die großen Gehälter müßiggehender englischer Beamten beklagen und das arme Indien Tausenden von Engländern ungeheure Gehälter bezahlen muß, die sie theilweise in England verzehren. Und wäre es nicht viel richtiger, die englischen Prinzipale anzugreifen, ohne deren Willen ja doch kein deutscher Commis eine Anstellung finden könnte?

Junge deutsche Kaufleute, welche nach England herüberzukommen gedenken, sollten diese Verhältnisse wohl beherzigen. Möchten sie sich nicht durch die glänzende Stellung einiger deutschen Commis in England blenden lassen! Es wäre ebenso klug, fest auf einen großen Gewinn in der Lotterie zu rechnen, wie auf gute Stellungen in England. Sie sehen nicht die Menge junger Leute, welche monatelang auf eine Stelle warten und, wenn sie ihre Ersparnisse verzehrt haben, zuweilen so tief sinken, daß an ein Aufstehen nicht mehr zu denken ist. Wenn junge Deutsche nicht wenigstens einem dreimonatlichen Aufenthalte ohne Stellung in’s Auge sehen können, wäre es am besten, wenn sie in Deutschland blieben. Der Aufenthalt in einer billigen englischen Pension berechnet sich mit Wäsche auf 30 Mark wöchentlich. Der junge Kaufmann sollte also vor seiner Uebersiedelung ein Capital von 500 Mark besitzen.

Mit all diesen nicht gerade verlockenden Schwierigkeiten hat der deutsche Kaufmann in England zu rechnen; der deutsche Handwerker befindet sich gleichfalls in einer nicht beneidenswerthen, von Rassenhaß und Concurrenzneid gefährdeten Lage. Ihn ziehen zunächst die hohen Löhne nach England. Dort liegen die Verhältnisse für ihn aber so: ein tüchtiger Arbeiter verdient wöchentlich durchschnittlich 18 bis 20 Schillinge, und in einzelnen Gewerben, z. B. in der Schneiderei, gelten 25 Schillinge wöchentlich für einen guten Lohn. In anderen Zweigen des Handwerks, welche längere Ausbildung und mehr Körperkraft fordern, geht er auf 30, 35 Schillinge bis zu 2 Pfund Sterling hinauf. Die Löhne sind jedoch ihrer Natur nach schwankend, und der Handwerker muß sich wohl hüten, eine vorübergehende Conjunctur für einen dauernden Zustand zu halten. Ein zweiter Umstand, welcher oft unsere Landsleute zur Auswanderung nach England bestimmt, ist die geringere wöchentliche Arbeitsstundenzahl, an der in England festgehalten wird. Sie beträgt hier 54 Stunden, während in Deutschland noch vielfach die Arbeitswoche von 72 Stunden die Gewohnheit bildet. Nun waren aber alle Handwerker, welche ich gesprochen habe, der Ueberzeugung, daß in diesen 54 Stunden viel intensiver gearbeitet wird, als bei uns zu Hause, und so der anscheinende Verlust reichlich eingebracht wird, sie betrachten es indessen allgemein als eine große Annehmlichkeit, daß die Woche am Samstag Mittag beschlossen wird, und nun eine Ruhepause von anderthalb Tagen folgt. Vielfach loben sie auch die englische Besteuerungsweise. Indem der Staat nur die nicht nothwendigen Genüsse des Arbeiters (Tabak, Branntwein, Bier) zu seinen Einnahmen heranzieht, giebt er ihm erstens einen Antrieb zur Mäßigkeit und ermöglicht ihm zweitens eine richtige Verfügung über seinen Lohn. Der Arbeiter hat nämlich nur eine directe größere Ausgabe: für die Miethe, wenn er verheirathet ist, und für Kost und Logis, wenn er unverheirathet ist.

Der praktische Sinn der Engländer hat es so eingerichtet, daß beide, auch die Miethe, am Ende der Woche erhoben werden, und tüchtige Handwerker legen auf den letzten Umstand besonderes Gewicht. Sie halten es für eine Nothwendigkeit, daß der Handwerker, der wenige directe Ausgaben hat, dieselben in kurzen Zwischenräumen, und zwar an seinen Zahltagen berichtigt. Auch das System der Baarzahlung halten sie darum für so segensreich, weil es den Arbeiter zwingt, Einnahmen und Ausgaben von Woche zu Woche zu vergleichen. Sie sprechen die Ueberzeugung aus, daß diese gesunden praktischen Sitten dem Arbeiter mehr Segen bringen, als hohe Löhne auf die Dauer, und schreiben ihnen theilweise das Gedeihen des deutschen Handwerkers in England zu. Im letzten Grunde beruht es zweifellos auf der Genügsamkeit, der Mäßigkeit, dem unermüdlichen Fleiße, der Ausdauer und der Zähigkeit der deutschen Handwerker, auf die wir allen Grund haben, stolz zu sein. Daß der englische Handwerker, welcher häufig genug den Wochenverdienst in Whiskey und Gin vertrinkt, seinen deutschen Collegen wegen der lobenswerthen Eigenschäften haßt, braucht wohl nicht ausdrücklich erwähnt zu werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_196.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)