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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Sie sind zu ungestüm, Baron Ritterglas. Sie schwören zu früh. Sie wissen ja nicht einmal, ob ich frei bin.“

„Sie mußten wissen, daß Sie über sich verfügen können, Diane, als Sie die Worte schrieben ‚cela engagerait à tout‘. Mein höchster Wunsch wäre – – wäre – gebe Gott, daß Sie unvermählt sind! Es war ja doch ein Heirathsantrag, der das Ganze begonnen – und ich bin dazu geschaffen, glaube ich, häusliches Glück zu schätzen und zu schaffen.“

„In Ihrem Antrag war eine Bedingung – Reichthum!“

„Mein Gott, ich bin für die Poesie des Luxus sehr empfänglich, aber wenn das Mädchen meiner Liebe auch keinen Heller besitzt und mein bescheidenes Heim theilen will, so wäre ich doch der glücklichste Mensch. Uebrigens werde ich nach und nach zu einem Vermögen gelangen.“

„Wodurch?“ fragte Diane.

„Sie wissen ja – meine schriftstellerische Thätigkeit, von welcher ich Ihnen mitgetheilt! Wenn die Philosophie der Verkettungen einmal die achte Auflage erlebt.“

Nun schallte unter der Spitze von Diane’s Maske ein silbernes Lachen hervor.

„Wer lacht, ist entwaffnet,“ sagte ich; „sprechen Sie ein gütiges Wort zu mir, Diane – geben Sie mir Hoffnung?“

„Ich will, so lange ich mich hinter meiner Maske sicher fühle, ein ernstes Wort zu Ihnen sprechen, Baron Ritterglas. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren einer Unbekannten gemachten Antrag – oder hätten Sie mir nachgeforscht,“ unterbrach sie sich „– wissen Sie vielleicht, wer ich bin?“

„Auf mein Manneswort: nein!“

„Also, ich danke Ihnen,“ fuhr sie fort, „und gebe Ihnen meine Antwort. – Ich kenne Sie. Ich weiß, daß Sie in jeder Beziehung ein Ehrenmann sind und zudem – verzeihen Sie, – kein Philosoph, sondern ein Poet. – Sie haben mir, die ich ein einförmiges, alltäglich-bürgerliches Leben führte, durch Ihre Briefe eine neue Welt erschlossen. Wie einsam war ich bei meinen Dichtern und Denkern! Ich hatte mich in die Werke unserer großen Geister vertieft, war dadurch in meinen Lebensanforderungen vielleicht etwas exaltirt geworden – ich fühlte mich in meiner Umgebung recht unglücklich – ich dachte schon, daß ich an die nichtssagende Prosa der mich umgebenden interesselosen Lebensverhältnisse gefesselt bleiben müsse, daß ich meinem Ideale nie begegnen würde, als unser Briefwechsel mir ein mitfühlendes Wesen nahe brachte, dessen Geist meine Gedankenkreise noch weit überflog, dessen Herz ebenso warm wie das meine, von Menschenliebe und Gottesahnung erfüllt ist – und vollends – als dazu noch Ihr Brief kam mit dem Geständnisse: ‚Diane, ich liebe Sie‘, – da –“

„Nun, da? – Sprechen Sie weiter, Diane! Ihre Worte sind mir berauschende Musik!“

„Da hatte ich aufgehört, mich unglücklich zu fühlen, Baron Ritterglas – ich war so glücklich, glücklich – –“

O, daß ich nicht auf die Kniee sinken konnte, die Hand zu küssen, die sie mir nun reichte! Ich konnte es nicht; denn die Thür des Salons war offen, und der Hausherr trat eben ein:

„Ah, hier ist noch ein Intriguenpaar – und es ist schon Zeit zum Demaskiren. Ich bitte die Herrschaften, sich in den großen Saal zu begeben.“

Diane war bei des Grafen Eintritt eilig von mir weggegangen und stand nun in einer Fensternische. Saalfeld nahte sich mir und sagte leise:

„Du scheinst sehr lebhaft die Cour gemacht zu haben, Freund Ritterglas, aber ich würde Dir rathen, lasse Dich in keine Liebesintriguen ein; ich habe nämlich ein Project für Dich – das schöne Fräulein Elsbeth Meier – was sagst Du dazu? – Zwei Millionen Mark! – Die Idee kommt von meiner Schwester.“

„Ich bedauere, mein Herz ist nicht frei.“

Diane war zurückgekommen, und mit dem ganzen Muth der Liebe trat sie zu uns Beiden:

„Verzeihen Sie meine Indiscretion, Herr Graf! – ich hörte, was Sie sagten.“

„Dann haben Sie wohl auch meine Antwort vernommen: mein Herz ist nicht frei.“

„Sie sind wohl selbst diejenige,“ sagte der Graf, sich gegen Diane verneigend, „welcher das gefesselte Herz des Herrn Baron angehört, schöne Maske?“

„Ja, ich bin es, und ich nehme Besitz davon,“ lautete ihre Antwort. Bei diesen Worten hatte sie langsam ihre Maske herabgenommen und stand in strahlender Schönheit vor uns:

„Elsbeth!“ rief ich entzückt.

„O weh, was habe ich angerichtet!“ seufzte der Graf.

Cela n’engage à rien,“ lächelte Elsbeth.

Cela engage à tout!“ erwiderte ich.

Saalfeld schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich verstehe kein Wort von alledem.“

*  *  *

Morgen haben wir Hochzeit. – Sie sehen wohl ein, daß ich nun eine Zeit lang nicht zum Philosophiren aufgelegt sein werde. Wir wollen mit meiner vielgeliebten Elsbeth den Winter in Rom verleben und uns im nächsten Frühjahr auf unserer neuangekauften Domäne niederlassen.

Dann nehme ich meine Arbeit wieder auf, und Sie werden mir zugestehen, daß ich bis jetzt allen Anlaß habe, mit meinen „Ketten und Verkettungen“ zufrieden zu sein. – Eine Verkettung der Ideen, die blos aus meinen Ihnen mitgetheilten Weisheitssätzen hervorgegangen ist, hat mich durch die Verkettung von Ereignissen zu den seligsten aller Ketten – zur Ehe mit einem geliebten Wesen – geleitet und ich behalte glänzend Recht: Ketten und Verkettungen überall! Ich glaube, mein philosophisches Werk wird doch noch zum Abschluß kommen und meinen Namen den gefeiertsten des Jahrhunderts beigesellen; die Hauptsache eben ist, wie ich Ihnen schon öfters bemerkt habe: „Nur planmäßig vorgehen!“




Hundert Jahre der Luftschifffahrt.

Seit undenklichen Zeiten beseelte den Menschen der Wunsch, die natürlichen Fesseln, welche ihn an den Staub der Erde ketten, zu brechen und sich frei über Berge und Thäler zum blauen Himmel aufzuschwingen. Es giebt kein Volk, in dessen Sagen sich diese tiefe Sehnsucht nicht wiederspiegelte, kein Volk, dessen Phantasie nicht menschliche beflügelte Wesen geschaffen hätte. Mustern wir die Götter- und Heldengestalten, welche nach dem Glauben unserer Vorfahren auf den Wolken dahinjagten, oder die Engel- und Teufelschaaren, welche, auf ihren Schwingen durch die Lüfte fahrend, dem Menschen Gutes und Böses brachten, so werden wir sehr bald der Ueberzeugung, daß die Uebertragung des Flugvermögens auf menschliche Wesen ein von der Natur in unsere Seele gepflanztes Verlangen bilde, das nicht auslöschen wird, so lange unser Geschlecht besteht.

Daraus erklärt sich, wie seit Jahrtausenden die Menschen es immer von Neuem versuchten, diese brennende Sehnsucht zu stillen, und wie es trotz unzähliger mißlungener Versuche immer verwegene Geister gab, die sich die Aufgabe stellten, gegen den Himmel zu stürmen. Und wenn auch der mit den gegebenen Verhältnissen kühl rechnende Verstand von der anscheinend unnützen Mühe abrieth, so genügte nur ein Blick auf die geflügelten Schaaren der Vögel und der Insecten, um in der schon zweifelnden Brust des Forschers das Bewußtsein wieder zu stärken, daß die Lösung des Räthsels vom Fluge etwas durchaus Natürliches, dem Menschen Erreichbares sei.

Darum versuchte man auch zuerst, den Flug des Vogels nachzuahmen. Die griechische Sage läßt den Tausendkünstler Dädalus Flügel herstellen, auf denen er mit seinem unglücklichen Sohne Icarus aus der Gefangenschaft des eifersüchtigen Minos entfloh, und von dem Tarentiner Archytas wird berichtet, er habe eine hölzerne Taube gefertigt, die er durch eingeblasenen Hauch zu beleben trachtete. In der griechisch-römischen Culturwelt, während des Mittelalters und in der neuesten Zeit wurden diese Versuche oft wiederholt, sie führten aber zu keinem nennenswerthen Resultate; denn wir wissen bis heute unendlich mehr von den Gesetzen, nach welchen die Sterne ihre elliptischen Bahnen im Weltraume beschreiben,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_215.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)