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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Dortenbach in ihre Gewalt geräth, daraus machen! Ich bitte Dich, was wird aus einem solchen schönen Gut, wenn es diesen Leuten in die Hände fällt! Verpfändet, verparcellirt, verkauft! Das Holz niedergeschlagen und versilbert! Die armen Häuslinge gepeinigt, ausgepreßt, vertrieben! Und am Ende, wenn der Rest zerstückelt, wird Dortenbach selbst, das Herrenhaus, verkauft und zur Einrichtung einer Garnspinnerei, einer Nesselweberei verwandt. Wasserkraft ist ja da, und die Tagelöhne sind niedrig in der Gegend. Mir bliebe nichts übrig als – wenn ich nicht vorzöge, mich an einen meiner höchsten Bäume aufzuhängen – auf einige Zimmerchen in der Stadt zu ziehen und mich von Dir wegen chronischer Gelbsucht behandeln zu lassen. Nicht lange, gewiß nicht lange; denn ich ertrüg’s nicht, in Euren engen Gassen, in solch einer Miethwohnung nur noch mit der Fliegenklappe auf die Jagd gehen zu können – in Filzpantoffeln, damit durch zu harsche Tritte der liebe Herr Nachbar unter mir nicht gestört wird. Gott steh’ mir bei! Welch ein Leben! Für einen Mann wie mich! Nach fünfundfünfzigjährigem freiem Leben im Walde …“

„Nach dreißigjähriger Herrschaft darin!“ fiel der jüngere Mann ein, „Du hast Recht, Vater; ich kenne Dich genug, um zu wissen, daß es Dein Unglück sein würde – und,“ setzte er lächelnd hinzu, „das der Mutter, wenn sie nicht als unerbittliche Tyrannin Mittwochs und Sonnabends ihr schönes altes Forsthaus unter Wasser setzen könnte. Und auch meines würde es sein – auch mir würde wie einer jungen Tanne der Herztrieb ausgebrochen sein, glaube ich, wenn mir das Vaterhaus genommen, aus meinem Dasein gestrichen wäre. Im Kampfe des Lebens bedürfen wir Alle einer Reserve des Herzens, und das ist und war mir immer noch als beruhigende und heilende Gedankenzuflucht das stille Haus mit seinen Wipfelschatten, seinen gemüthlichen Räumen, seinen phantastischen Ecken und Verstecken.“

„Und doch,“ sagte der Förster mit verdüsterter Stirn, „blüht uns das Schicksal, daraus vertrieben zu werden; Du wirst es sehen, wenn der alte Herr stirbt. Kann mir’s auch denken,“ fügte er mit gedämpfterer Stimme hinzu, „wie der Rentmeister Benning auf den Augenblick lauert: er hat all sein Lebenlang zusammengescharrt und vor einem Jahre erst in zweiter Ehe ein schrecklich aussehendes Weib um ihres Geldes willen genommen; wenn der alte Herr die Augen schließt, wird er die nöthigen Summen bei einander haben, um das Beste von Dortenbach an sich zu bringen.“

„Und Dortenbach muß unzerstückelt und in all seinen adligen Würden bleiben und Förster Klingholt der souveraine Tyrann über alle seine Wälder,“ sagte Leonhard lächelnd, „das ist unser Satz. Die Folgerung wäre: also ist der gute alte Herr so lange gesund und frisch am Leben zu erhalten, wie es irgend möglich ist!“

„Gott sieht in mein Herz,“ versetzte der Förster lebhaft, „Du wirst mir doch den Vorwurf nicht machen, daß dies mir nicht die Hauptsache und ich ein Egoist sei?“

„Du ein Egoist, Vater?“ fiel Leonhard lachend ein, „Du bist’s in Deinem Leben nur allzuwenig gewesen. Dein Eifer, zu helfen, für Andere Deine Kraft einzusetzen, Opfer zu bringen – das war ja immer – das Hirschgeweih auf Deinem Kopf.“

Sie waren aus ihrer Eichenallee auf einen gepflasterten Fahrweg gekommen, der jetzt zwischen sauber geschorenen Hecken zur Rechten und Linken auf ein großes und stattliches Herrenhaus zulief; über eine stattliche Zugbrücke gelangte man auf den Hof desselben. Das Haus zeigte in der Mitte einen mächtigen festen Quaderbau, der, aus grüngrauen Werkstücken aufgeführt, aus den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges stammen mußte; es war von zwei über das hohe gegiebelte Dach von der Rückseite her ragenden Thürmen flankirt. Auch an den vorderen beiden Ecken mochten einst solche Thürme sich erhoben haben; jetzt waren sie verschwunden; dagegen hatte man an den vorderen Ecken zwei vorspringende Flügel angesetzt, im schönsten Rococostil und in rothem Ziegelsteinrohbau, was dem Ganzen einen sehr unharmonischen Charakter gab.

Der Förster war an den sonderbaren Anblick des alten Schlosses gewöhnt, aber Leonhard, der es seit mehreren Jahren nicht gesehen, meinte:

„Wer an den biederen alten Renaissancebau diese zwei leichtsinnigen Rococoflügel geflickt hat, der hätte, um es ja recht bunt zu machen, etwas wie das rothe, gelbe und grüne Schloß der von der Thann daraus machen und jeden Theil besonders anstreichen sollen.“

„Wäre nicht übel, besonders für unsere Tage,“ versetzte lächelnd der Förster, „in dem Flügel links haben sich die Ramsfeld’schen eingenistet – der könnte gelb vor Neid, und im rechten hausen die Sander – der könnte grün vor Aerger dastehen. Aber da ist der alte Andreas,“ fuhr er fort, indem er auf einen alten Mann in Dienertracht deutete, der eben in die offene Portalthür trat. „Andreas kann Dich jetzt zum Herrn führen – angemeldet bist Du ja.“

Leonhard nickte.

„Also auf Wiedersehen, Vater!“ sagte er, seine Hand flüchtig dem Förster reichend, der sich nun wandte und heimwärts ging.




2.


Der alte Mann mit dem Kopfe voll dichter schlohweißer Haare und dem gutmüthigen kummervollen Gesichte empfing Leonhard sehr respectvoll.

„Der gnädige Herr erwarten Sie,“ sagte er; „es ist uns eine rechte Freude, daß Sie gekommen sind – es geht dem gnädigen Herrn schon seit mehreren Wochen gar nicht gut – das alte Leberleiden – und die arge Schlaflosigkeit – und –“

„Ihr hättet mich früher rufen lassen sollen, Andreas,“ fiel ihm Leonhard in’s Wort; „Ihr wußtet doch, wie gern ich Alles aufbieten würde, Eurem guten alten Herrn Erleichterung zu verschaffen.“

„Freilich, freilich, aber die gnädige Frau von Ramsfeld meinte ja, Sie seien jetzt ein so berühmter und von hundert schweren Fällen in der Stadt in Anspruch genommener Herr, daß man Ihnen solche Landpraxis nicht zumuthen dürfe, und die gnädige Frau von Sander redet ja auch immer nur, als ob des Herrn Leiden die reine Einbildung sei und schon vorübergehen werde, wenn man ihn nur zerstreue und erheitere und gesellig mache und ihn recht aufmuntere – wenn man sich selber nicht krank gebe, sei man auch nicht krank –“

„Etwas Wahres ist an der Theorie,“ unterbrach ihn Leonhard lächelnd.

„Und so arbeiten sie denn mit ihrer Aufmunterung auf ihn ein,“ vollendete Andreas, „du lieber Gott, daß es ganz herzbrechend ist.“

Sie waren unterdeß durch den Flur die breite Steintreppe, die in’s erste Stockwerk führte, hinaufgeschritten und betraten jetzt einen großen Saal, einen imponirenden Raum, welcher mit dunklem Eichenholzgetäfel, einem schönen Deckengemälde, aus dessen Mitte ein großer kostbarer, alter Kronleuchter von venetianischem Glase niederhing, und mit kunstreichsten alten Möbeln aus verschiedenen Zeiten versehen war. Aber so herzerfreuend all dieses schöne Geräth auch für den Kunstliebhaber sein mußte – einen unbehaglichen und melancholischen Eindruck machte der Saal, in welchem eine kühle Luft die Eintretenden anfröstelte, dennoch; vielleicht kam es, weil die Hälfte der Läden geschlossen war und so das Licht etwas Dämmeriges hatte und all die verblichenen Farben der Gegenstände noch mehr abtönte.

Leonhard blickte sich in dem Raume um, als stiegen Schattenbilder vor ihm auf, die Gestalten seiner Kinderzeit. Er ließ seine Blicke über die Decke mit den verblaßten Götterfiguren, die Wände mit den verdunkelten Gemälden schweifen, bis Andreas an die Flügelthür zur Linken gepocht und sie dann respectvoll weit geöffnet hatte.

Ein mittelgroßer schwächlicher alter Herr mit einem Gesichte, das fast weiblich-feine Züge zeigte, einer dunklen Perrücke und auffallend schönen, sprechenden, dunklen Augen, die in einem ganz jugendlichen Glanze aufleuchteten, erschien im nächsten Augenblicke auf der Schwelle.

„Seien Sie mir gegrüßt, Doctor, seien Sie mir willkommen!“ sagte er mit wohltönender Stimme, die schmale weiße Hand, die ebenfalls etwas Weibliches, etwas von einer magern Frauenhand hatte, dem Doctor aus dem faltigen Aermel eines grünsammetnen Schlafrockes entgegenstreckend – „wenn Sie nicht ein so berühmter Mann geworden wären,“ fuhr er fort, „so würde ich sagen: sei mir gegrüßt, Klingholt, alter unternehmender Leonhard – so aber – die Wissenschaft verleiht ihre Würden –“

„Und doch,“ fiel Leonhard ein, „würden alle Würden der Welt mich nicht unempfindlich gegen das Glück machen, noch immer von Ihnen als ein zu Ihrem Hause gehörender Client betrachtet zu werden.“

„Client!“ sagte mit wehmüthigem Lächeln der alte Herr; „ach, Klingholt, Sie wissen nicht, wie schmerzlich mich das Wort berührt, seit ich empfinde, daß ich aus dem ehemaligen Herrn und Patronus nur noch aller Welt Client geworden. Der Client des Advocaten, des Rentmeisters, der lieben Verwandten, der – doch

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