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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zu verwandeln, wo ein winzigstes Zeitungsblatt wißbegierigen Menschen von dem Thun und Lassen der weiten Welt da draußen Kunde giebt, war Berthold Auerbach’s Name für eine Weile in Schmerzen lebendig, obwohl sein irdisches Dasein beschlossen lag wie verglommene Flamme.

Freilich, das Ende des Dichters hatte etwas von tragisch erschütternder Schicksalsfügung. Er starb in der Fremde, unter anders redenden Menschen, und da ihm der Athem stockte, trennten ihn nur zwanzig Tage von der Schwelle des siebenzigsten Lebensjahres, an der die Freunde seiner Muse ihn huldigend zu begrüßen gedachten. Der Tod hatte ihn kurz vordem in Cannstatt angerührt, aber noch einmal losgelassen, und hoffnungsselig war der Dichter hinabgezogen an die Gestade des Mittelmeeres, um an dem Strahle der südlichen Sonne zu genesen. Es war eine trügerische Hoffnung. Der Tod schlich ihm nach als unentrinnbarer Begleiter.

„Ueber die Haide hallet mein Schritt;
Dumpf aus der Erde wandert es mit.“

Und aus der Jubelfeier ward eine Trauerfeier, aus dem Trunk vom schäumenden Becher des Ruhms der bittere Tropfen Lethe.

Nun liegt er in seinem Schwarzwälder Heimathsdorfe Nordstetten zu ewiger Ruhe gebettet, zwischen den Bergen und Bäumen, die einst in seine Jugend hineingeschaut, und wenn die Schatten der Dämmerung langsam über sein Grab dahinziehen, so geschieht es vielleicht, daß die Gestalten, die er schuf, daß Ivo und Emmerenz, Lorle und der Collaborator, das Bärbele und der Tolpatsch sich versammeln, um ihm ihre Nachrede zu halten. Sie waren ein Theil von ihm, als er noch jung und schöpferisch war, und sie haben ihn überlebt, um sein Andenken in die Zukunft zu tragen; sie leben, obwohl er todt ist, und er ist nicht gestorben, weil er in ihnen fortdauert.

In ihnen mehr als in Allem, was er sonst noch geschaffen. Er besaß eine unverwüstliche Arbeitskraft, und Entwürfe, Gedanken, Pläne beschäftigten allezeit seinen Geist, aber was ihm auch früh oder spät gelungen, es ist nichts vergleichbar mit seinen „Schwarzwälder Dorfgeschichten“. Und deshalb darf man ihn wohl rühmen wegen seiner drei großen Romane „Auf der Höhe“, „Das Landhaus am Rhein“ und „Waldfried“, darf man ihm auch dankbar sein für die fruchtbare Thätigkeit, die er als Herausgeber und Uebersetzer der Werke Spinoza’s entwickelt, aber seine Stelle in unserem nationalen Schriftthun hat er nur seinen „Dorfgeschichten“ zu verdanken, welche eine ungeheure Wirkung hervorbrachten, als sie erschienen, und deren Anspruch auf bleibende Bedeutung nicht erst gerechtfertigt zu werden braucht.

Vierzig Jahre sind es, seitdem dieser Wurf gelang. Berthold Auerbach, der Sohn des jüdischen Lehrers aus Nordstetten, hatte zuerst Talmud und rabbinische Theologie, dann Rechtswissenschaft und Philosophie studirt. Er war auch für etliche Monate als Gefangener auf den Hohenasperg gesetzt worden; denn er hatte als Burschenschafter das Mißtrauen der Obrigkeit erweckt. Schließlich war er unter die Poeten gegangen, um an zwei dialectisch gerichteten Judengeschichten, „Dichter und Kaufmann“ und „Spinoza“, seine schöpferische Begabung zu erproben. Aber seine Erfolge standen noch aus; die Rückkehr in sein Heimathsdorf, zu den Gestalten, unter welchen er als Knabe gewandelt, sollte sie ihm bringen; dort lagen die Wurzeln seiner Kraft.

Und als nun die Bauern aus Nordstetten in das deutsche Schriftthum eintraten, da kam ihnen ein gewaltiges Interesse, eine fast überlaute Sympathie entgegen; Ferdinand Freiligrath jubelte dem neuen Bauernpoeten zu:

„Aus Deines Schwarzwald’s tannendunkeln Wiesen
Mit seinen Kindern kommst Du froh geschritten
Und setzest ein das Tuchwamms und die Flechte
In ihre alten dichterischen Rechte!

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Das ist ein Buch. Ich kann es Dir nicht sagen,

Wie mich’s gepackt hat recht in tiefer Seele;
Wie mir das Herz bei diesem Blatt geschlagen
Und wie mir jenes zugeschnürt die Kehle;
Wie ich bei dem die Lippen hab’ gebissen

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Und wieder dann hellauf hab’ lachen müssen.


Das Alles aber ist Dir nur gelungen,
Weil Du Dein Werk am Leben ließest reifen;
Was aus dem Leben frisch hervorgesprungen,
Wird wie das Leben selber auch ergreifen,

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Und rechts und links mit Wonnen und mit Scherzen

Sturmschritts erobern warme Menschenherzen.“

Wodurch war diese Begeisterung zu erklären? Hatte es keine Dorfgeschichten gegeben vor denen des Schwarzwälder Poeten? War er der Erste, welcher Aufschluß gab über Leben und Denken des deutschen Bauers? O nein, Pestalozzi, Immermann, Jeremias Gotthelf hatten vor ihm ihre Muse in’s Dorf geführt, aber ihnen war es nicht darum zu thun gewesen, den Gegensatz zwischen Stadt und Land künstlerisch zu deuten, ihn mittelst der Dichtung zu überbrücken; Immermann’s westfälischer, Jeremias Gotthelf’s schweizerischer Bauer zeigten nicht das, was an ihnen verbindend mit der übrigen Welt sein mochte, sondern nur das Trennende. Und darauf liegt der Nachdruck. War diese Welt des Dorfes draußen eine Welt für sich, ohne Zusammenhang mit der übrigen Welt, so konnte man immerhin ein psychologisches oder artistisches Interesse an ihr nehmen, aber eine lebendige Sympathie blieb ausgeschlossen. Der Uli liebte sein Vreneli, und weiter nicht, als Beider Auge reichte, erstreckte sich ihre Welt. Konnte es aber also bleiben? Stand eine Mauer zwischen Dorf und Stadt, zwischen Bauer und Bürger? Berthold Auerbach zeigte, daß man diese Mauer niederwerfen könne und niederwerfen müsse, damit der Cultur und Bildung freier Raum geschaffen werde, und er war dazu vor Anderen befähigt, weil er als Jude ein halber Städter, als Dorfkind ein halber Bauer war. In ihm selbst hatten Dorf und Stadt sich gleichsam vermischt, und auch an seinem äußeren Menschen trat dieses Doppelleben deutlich zu Tage, in der robusten, kurzen Gestalt, dem rauhen Organ der Bauer, in der Behendigkeit der Bewegung, dem Bilderschmuck der Rede, dem Kopfe mit der Denkerstirn der Städter.

Nun erst ward die Frage aufgeworfen, wie Dorf und Stadt sich zu einander verhielten, während sie bisher nur immer neben einander gedacht und geschildert worden waren; nun erst kam der Maler Reinhard in das Dorf, um sich mit des Wadeleswirths klugem Töchterlein, dem Lorle, zu vermählen; nun galt es, zu schauen, welche Früchte sich ergäben, wenn der Städter in das Dorf, der Bauer in die Stadt verpflanzt würde.

Und das war in doppeltem Sinne eine culturhistorische That.

Das deutsche Volk stand grollend, mißvergnügt, feindselig dem Bundestage wie den Regierungen gegenüber. Man hatte ihm viel versprochen und wenig gehalten. Doch wie, wenn es bestritten ward, daß diese Burschenschafter, diese „Jungdeutschen“ und Hegelianer ein Recht hätten, im Namen des deutschen Volkes zu reden? War denn der deutsche Bauer nicht auch ein Theil der Nation, und schwärmte er etwa ebenfalls für den Rechts- und Verfassungsstaat, für Parlament und Tribüne? Um dies zu erproben, mußte der Städter in’s Dorf hinaus, der Künstler Reinhard zum Lorle, der Kaufmann zum Diethelm von Buchenberg, ja mehr noch, das ganze städtische Gedankenleben mußte sich hinaus verpflanzen, damit sich zeige, ob der Bauer sich ihm anzupassen vermöge, ob er es ablehne oder es in sich aufzunehmen bereit sei.

So wird von nun an in den Thälern des Schwarzwaldes von Gewissensfreiheit, von Zellenhaft und Schwurgericht, von Untheilbarkeit des bäuerlichen Besitzes gesprochen, und es ist nicht etwa bloßer Klang überkommener Worte, sondern das Schicksal selber nimmt davon andere Formen an, traurig wie bei dem armen Jacob, erschütternd wie im „Furchenbauer“, erquickend wie an Ivo dem Hajrle.

Aber darin, daß Berthold Auerbach in dem Bereiche der Dichtung dem nationalen Culturleben eine neue Welt erschloß, liegt nicht ausschließlich das Geheimniß des ungeheuren Erfolges und des bleibenden Werthes der Schwarzwälder Dorfgeschichten. Einen Antheil hat daran auch die demokratische Tendenz, welche sich aristokratischer Anmaßung siegreich entgegensetzte.

Für die Gesellschaftsschicht, der sie selbst angehörten, hatten die Gräfin Ida Hahn-Hahn, der Fürst Pückler-Muskau, der Freiherr Alexander von Ungern-Sternberg die Literatur als Monopol in Anspruch genommen; mit geistreichen Schrullen, verrenkten Paradoxen und unnatürlich geschraubten Erfindungen wähnten sie die Aufgabe der Dichtung erschöpfen zu können, die Hahn-Hahn in Romanen, Fürst Pückler in Reisebeschreibungen, Freiherr von Sternberg in Novellen. Diesem vornehmen Kauderwelsch des sogenannten Salonromans trat das ungeschminkte Schwarzwälder Deutsch Berthold Auerbach’s gegenüber, der aristokratischen Losung der Gräfin Faustine setzte sich die natürliche Anschauungsweise des Lorle entgegen.

Die Hoffnung freilich, daß der deutsche Bauer ohne Bedenken dem deutschen Städter in dem politischen Kampfe sich anschließen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_226.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2023)