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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


denen die richtige Hülfe nicht sofort geleistet werden konnte; darum gehen so Viele zu Grunde, welche hätten gesunden müssen, wenn sie vom Augenblick ihrer Verunglückung an zweckmäßig behandelt worden wären.

Es ist daher im höchsten Grade wünschenswerth, daß die Kenntniß der ersten Hülfe bei den mannigfaltigsten Verletzungen, welchen die Menschen bei der Ausübung ihres Berufes zu Lande und zu Wasser ausgesetzt sind, nicht allein auf ärztliche Kreise beschränkt bleibe, sondern zum Gemeingut aller Derer werde, die Herz genug haben, dem Nächsten in Noth und Gefahr die erforderliche Hülfe zu leisten.

Die Lösung dieser hohen Aufgabe, welche den lautersten Gefühlen der Humanität ihren Ursprung verdankt, ist vor wenigen Jahren in einem fremden Lande mit glücklichem Erfolge angestrebt worden, und wir wenden uns im Nachstehenden an den weiten Leserkreis der „Gartenlaube“, um ihn zur regen Mitthätigkeit an ähnlichem Wirken in unserem deutschen Vaterlande wachzurufen.

Als im August vorigen Jahres Aerzte aus aller Herren Ländern zu dem großen internationalen medicinischen Congreß in London erschienen waren, wurden in dem Garten des berühmten Kensington-Museums vor einer großen Zuschauermenge aus allen Gesellschaftsclassen seltsame, höchst interessante Uebungen abgehalten, die ohne Zweifel bei dem größten Theil der Leser der „Gartenlaube“ ein gelindes Befremden, bei Allen aber sicher auch gerechtes Erstaunen hervorgerufen hätten. Es wurden dort in drei Abtheilungen je drei Männer auf den Rasen gelegt, welche Verunglückte vorstellen sollten. An die Schulter eines jeden war ein Zettel geheftet, auf welchem eine beliebige der häufig im Leben vorkommenden Verletzungen notirt war.

Hierauf erschienen auf dem Platze einige Männer, die zum Theil mit Tragbahren versehen waren; je zwei von ihnen eilten sofort zu einem Verunglückten, untersuchten denselben, das heißt lasen den Zettel, legten den für die angedeutete Verletzung zweckmäßigen Nothverband an, lagerten den Verbundenen auf die Tragbahre und trugen ihn in dem vorgeschriebenen Tempo von dem Platze fort. Jeder von diesen Nothhelfern hatte in der Tasche ein dreieckiges Tuch oder ein großes Schnupftuch, welches er in der passendsten Weise zu verwenden wußte. Mit großer Sicherheit benutzten ferner Alle die verschiedensten Gegenstände, welche sie gerade bei der Hand hatten, wie Büchsen und Seitengewehre, Regenschirme und Spazierstöcke oder von den Bäumen gebrochene Zweige, um diejenigen Glieder der improvisirten Verunglückten, welche nach dem Wortlaut des betreffenden Zettels gebrochen sein sollten, zu schienen.

In anderen Fällen, in denen die Verunglückten für Ertrunkene oder Erstickte galten, wurden von den herbeigeeilten Nothhelfern künstliche Athembewegungen an dem Körper derselben eingeleitet.

In Deutschland hatte man schon seit vielen Jahren ähnliche Schauspiele bei den Friedensübungen der Sanitätstruppen gesehen, hier aber, im Garten des Kensington-Museums, waren es Leute aus allen Ständen, Polizisten, Soldaten des Freiwilligencorps, Maschinenarbeiter, Eisenbahn- und Postbeamte, Kaufleute und Andere, welche diesen Dienst der ersten Hülfe in der Noth versahen.

Die anwesenden, zum Theil sehr angesehenen Aerzte waren von den überraschenden Leistungen jener freiwilligen Helfer in der Noth in hohem Grade befriedigt, und wohl Manche verließen den genannten Schauplatz mit dem festen Vorhaben, diese in England großgezogene Institution auch in ihrem Vaterlande zur Geltung bringen zu helfen. So möchten denn auch diese Zeilen dazu beitragen, durch Gründung von Samariterschulen, in welchen im obigen Sinne die Leistung der ersten Hülfe bei Unglücksfällen gelehrt würde, diese humanitären Bestrebungen auf den deutschen Boden zu verpflanzen. Bevor wir aber auf diese Frage näher eingehen, möge im Nachstehenden ein kurzer Bericht über die auf diesem Gebiete durch die unermüdliche Friedensthätigkeit des Johanniterordens in England erzielten Erfolge Platz finden.

Auf der Generalversammlung des genannten Ordens am Johannistage 1877 wurde beschlossen, die Aufgaben desselben zu


Trempealeau am Mississipi.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_237.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2023)