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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

feierlich eine Urkunde zu beschwören, in der sie versprach, daß sie den Namen Dortenbach niemals mehr führen, daß sie niemals ein Anrecht auf die Familie erheben, nie Ansprüche auf irgend ein Erbrecht geltend machen werde. Das hat meine Mutter gern und bereitwillig beschworen, und, wie sie, werde ich das gegebene Wort halten. Ich werde die treue Tochter meiner Eltern sein: was ihnen geschehen ist in diesem Hause, das ist mir geschehen, Leonhard. Mein Vater litt nicht, daß der Name Dortenbach in unserem Hause auch nur genannt wurde. Nur einmal in seinem Leben hat er davon zu mir geredet: er strich mir das Haar aus der Stirn und mit feuchtem Auge und mildem Lächeln mir in’s Gesicht sehend, sagte er: ‚Eines tröstet mich, mein gutes Kind, darüber, daß Du ein Mädchen und kein Knabe bist: ein Sohn würde sich die Adelssippe und sein Recht auf dieser Menschen Erbe nicht aus dem Kopf schlagen können und den Herrn auf Dortenbach spielen wollen. Bei Dir bin ich sicher – Du braver, kleiner Starrkopf Du! Wer wider Deine Eltern war, wider den bist auch Du!‘ In dieser Sicherheit ist mein Vater aus dem Leben gegangen. Und wie hat er rastlos gewirkt, sich keine Ruhe gegönnt und gearbeitet, der gute Vater, um mir ein Vermögen hinterlassen zu können, das, so klein es ist, doch für mich hinreicht … Ich sollte Dortenbach nicht nöthig haben …“

„Wenn nur Dortenbach nicht Sie so nöthig hätte!“ fiel gedrückt und gedämpften Tones Leonhard ein.

„Das haben Sie mir oft gesagt,“ entgegnete Regine wieder mit dem bitteren Aufwerfen der Lippen, „und da es keinen Eindruck auf mich gemacht hat, haben Sie jetzt …“

„Habe ich jetzt? Sie vollenden nicht. Was habe ich?“

„Haben Sie jetzt sehr klug die eigensinnige Regine auf einem anderen Wege dazu bringen wollen, ihren Widerstand aufzugeben und sich Dortenbach gefallen zu lassen. Glauben Sie, ich durchschaute Ihren Plan nicht? O Leonhard, Sie haben mir sehr, sehr wehe gethan, indem Sie mir zeigten, daß Sie vollständig unfähig sind, auf mein Fühlen und Denken einzugehen, unfähig, mein tiefstes Empfinden zu verstehen.“

„Mein Gott, ich habe Ihnen ja Recht gegeben; nur –“

„Nur soll ich durch eine Komödie, welche Ihr mit mir spielen zu können glaubt, gegängelt werden, durch eine Komödie, Leonhard, welche Sie selbst in Scene zu setzen sich nicht gescheut haben …“

„Ich?“ fragte er schmerzlich erstaunt.

„Ja Sie, Leonhard …“

(Fortsetzung folgt.)




Um die Erde.
Von Rudolf Cronau.
Neunter Brief: Ein rother Napoleon.


Es war Anfang der sechsziger Jahre, als in den Gesichtskreis der Bleichgesichter an der Indianergrenze zuerst der Mann trat, der durch seine Thaten zwei Jahrzehnte hindurch den Nordwesten der Vereinigten Staaten in Aufregung hielt. Ein ganzer Sagenkreis spann sich um seinen Namen, und mit Schrecken wurde er genannt, als vor ihm im Jahre 1876 ein tapferer General mit seinem Regimente in den Staub sank.

Es war der Name eines Indianerfürsten, den die gefürchtetsten der Sioux zu ihrem Führer erkoren, der alle kriegerischen Elemente der mächtigen Dacotahs um sich versammelt hatte, des gefährlichsten Feindes der Weißen: Tatanka-iyotanka, bekannter unter seinem englischen Namen „Sitting Bull“ („Der sitzende Büffel“).

Mit vollendetem Geschick wußte dieser rothe Krieger, der eine weitaus bedeutendere Persönlichkeit ist als Cooper’s Chingachgook, seine Unternehmungen zu leiten; seine Kriegszüge waren so meisterhafte Leistungen und bekundeten so großes Talent, daß viele seiner weißen Gegner annahmen, er habe irgendwo eine militärische Erziehung genossen. Des sitzenden Büffels Persönlichkeit war mit Fabeln dieser Art umgeben; bald sollte ihm die Anleitung dieses, bald jenes berühmten Häuptlinges zu Theil geworden sein; bald sollte er seine Kenntnisse durch sein Zusammenleben mit dem Missionär de Smeet empfangen haben, welcher ihn Französisch gelehrt und mit dem Leben Napoleon’s des Ersten bekannt gemacht hätte, sodaß er sich denselben zu seinem Vorbilde genommen habe. Einige Zeitungen brachten sogar die unsinnige Mittheilung, Sitting Bull habe eine sorgfältige militärische Erziehung in West Point am Hudson, der amerikanischen Officierschule, genossen.

Diesen Gefürchteten aufzusuchen, war mein Ziel und, nachdem ich Wochen lang vergeblich den Spuren desselben gefolgt, traf ich ihn endlich als Kriegsgefangenen in Fort Randall, im südlichen Dacotah. Ich will meine Leser nicht mit der Schilderung der langen und langweiligen Reise bis zu dieser Militärstation behelligen; ich führe sie gleich an Ort und Stelle.

Fort Randall hat mancherlei Interessantes zu bieten. Seine Lage am rechten Ufer des Missouri gewährt eine ganze Reihe anziehender Bilder; die Uferbänke des Flusses fallen steil ab und winden sich in schönen Linien; hier und da ist ein wenig Wald, während gen Westen höhere baumlose Hügel emporragen.

Die Besatzung des Forts besteht aus vier Compagnien Negerinfanterie, deren stramme Haltung und regelmäßiger Wachtdienst einen weitaus besseren Eindruck auf mich machte, als der ihrer weißen Collegen in Fort Yates. Obwohl eine schon ziemlich alte Militärstation, hat Fort Randall doch niemals sonderliche kriegerische Ereignisse in seiner Chronik zu verzeichnen gehabt und steht augenblicklich die Besatzung allein mit der weiblichen Bewohnerschaft der siebenzig Meilen südlich gelegenen Stadt Yankton auf dem Kriegsfuß, bis wohin namentlich die weißen Officiere mit Vorliebe ihre Recognoscirungen ausdehnen und von wo sie häufig auch mit süßer Beute zurückkehren. Allerdings soll die Vertheidigung der Yanktoneserinnen gar nicht stark sein, im Gegentheil sagt man ihnen sogar nach, daß sie auch auf ihre Faust Raubzüge unternehmen, bei welchen ihre Wagehalsigkeit sie schon bis unter die Kanonen des Forts getrieben habe.

In weiteren Kreisen wurde Fort Randall erst bekannt, als es zum vorläufigen Internirungsplatze Sitting Bull’s ausersehen wurde. Es war den 24. October 1881, als ich hier anlangte; ich trat gleich, nachdem ich mein Gepäck abgelegt, einen Rundgang durch das Fort an, um mich mit der Lage und den Baulichkeiten desselben einigermaßen bekannt zu machen. Als ich hierbei auch den in keiner Militärstation fehlenden geräumigen Kaufladen betrat, in welchem vom Pfluge bis zum Nagel, vom Seidenkleide bis zum Kattunfähnchen, vom ungeschlachtesten Stulpstiefel bis zum zierlichsten Tanzschuh herunter Alles feil ist, fiel mir sofort unter den zahlreich um die Verkaufstische herumstehenden Indianern eine Gestalt mittlerer Größe auf, ein Mann mit einem massiven Kopfe, breiten Backenknochen, stumpfer Nase und schmalem Munde. Seine Augen wurden durch merkwürdige blaue Brillengläser verdeckt. Gekleidet war die stämmige Gestalt in ein buntes Hemde und blaue Beinkleider, während über die breiten Schultern eine blaue Decke geschlagen war.

Seine glänzenden schwarzen Haare hingen, in pelzumwundene Zöpfe geflochten, über die mächtige Brust herab, während in der langen Scalplocke eine Adlerfeder steckte. Vor mir stand der große Häuptling Sitting Bull, der Schrecken aller Weißen. Noch überflog ich dieses Bild ausgesprochenster Mannheit mit bewundernden Blicken, als der große Krieger schnell auf mich zuschritt, mit dem üblichen indianischen Gruße „hau cola“ mir die Hand bot und durch einen in der Nähe befindlichen Dolmetscher die Frage an mich stellte, ob ich der „Eiampaha“, der „Herold“[1] sei, dessen demnächstige Ankunft vom Hauptquartier der Armee aus im Fort angezeigt worden. Als ich seine Frage bejahte, drückte er mir nochmals die Hand und sagte, daß er mich erwartet habe und sich über mein Kommen freue.

Da die Zeit ziemlich vorgeschritten und ich zum Mittagessen erwartet wurde, so konnte ich mit dem rothen Krieger nur wenige Worte wechseln, versprach aber, ihn bald zu besuchen. Und als ich diesen Besuch am andern Tage ausführte, hieß er mich nochmals willkommen und verstand sich auch nach einigem ängstlichen


  1. „Herold“ nennen die Indianer denjenigen, der eine Zeitung schreibt und Nachrichten durch den Druck verbreitet.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_276.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)