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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 18.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Recht und Liebe.

Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Regine schwieg einen Augenblick, mit ihrer inneren Erregung kämpfend.

„Man stellte mir vor,“ fuhr sie dann fort, „der Oheim bedürfe meiner; ich habe die Pflicht, mich meines nächsten Verwandten anzunehmen; ich könne auf Rechte verzichten, aber mich über ernste unabweisbare Pflichten nicht hinwegsetzen; ich habe gehorcht, Leonhard, gehorcht, weil Sie es waren, der mich rief, mich mahnte … ich bin hier … und nun macht Ihr den zweiten Zug im Spiel … nun erklärt der Oheim mich adoptiren zu wollen … nun soll sich Alles fügen, wie Ihr’s wünscht und verlangt … nun soll ich nicht als meiner Mutter Tochter, nicht als des Oheims rechtmäßige Erbin, sondern als ein adoptirtes Kind in diese verhaßte Adelssippschaft eintreten und die Herrin von Dortenbach werden, die Ihr nun einmal in mir sehen wollt und die ich nun einmal nicht sein will.“

„Regine,“ rief Leonhard aufspringend, „so deuten Sie die Sachen – so? Sie erblicken überlegte Schachzüge in dem, was geschehen – ein von mir eingeleitetes Spiel –?“

„Mein Gott, muß ich denn nicht? Bin ich denn blind? Der Baron will mich adoptiren, mich zu seiner Erbin machen, sagen Sie. Mich? Eine ihm Wildfremde? Die ihm noch nichts sein kann? Die er erst seit wenigen Tagen kennt? Die bürgerliche Person, die untergeordnete Krankenpflegerin? Aber ich bitte Sie, Sie werden mir doch nicht zumuthen, das für möglich zu halten, wenn Sie ihn nicht eingeweiht, ihm nicht mein Geheimniß verrathen, ihn nicht darauf gebracht und dazu vermocht hätten?“

„Regine,“ rief Leonhard mit Entrüstung, „Sie sind furchtbar in Ihrem Mißtrauen – Sie sind vielleicht gar im Stande, mir vorzuwerfen, ich spiele dieses ganze Spiel auch nur deshalb, um mit Ihrer Hand das von Ihnen verschmähte Dortenbach an mich zu bringen – bei Gott –!“

„Nun ja,“ sagte sie, ihm offen und kalt in’s Auge sehend, „ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube; Sie haben lange genug meinem Empfinden in dieser Angelegenheit widerstrebt, Beredsamkeit genug aufgewandt, meinen Entschluß zu bekämpfen – was muß ich mir Anderes sagen, als daß –“

„Als daß meine Liebe für Sie entstanden ist aus der Hoffnung und daß die Hoffnung sich stützt auf den goldenen Anker, welcher Dortenbach heißt,“ brauste er auf. „Regine, das ist zu viel; ich frevelte an mir selber, wenn ich darüber ein Wort weiter verlöre – widerrufen Sie das, widerrufen Sie es auf der Stelle oder –“

„Oder?“ fragte sie, herausfordernd; sie schloß kalt und fest die Lippen.

„Oder dieses Wort trennt uns auf ewig,“ sagte er, mit Gewalt den Ausbruch einer zornigen Leidenschaftlichkeit zurückhaltend.

Sie blickte zu ihm auf – sie blieb ungerührt – sie blieb in der That „unerbittlich wie die Parze“; sie wandte ihr Auge ab und schaute zum Fenster hinaus, zu den weißen ziehenden Wolken hinauf, aber mit Zügen, die so bleich waren, wie diese.

Leonhard’s Gesicht flammte – er zögerte noch einige Augenblicke, wie auf einen versöhnenden Laut harrend, aber als sie nicht sprach, wandte er sich: sie wollte eben ein beschwichtigendes Wort sprechen; sie wollte sich erheben, ihn zurückzuhalten, aber da ging er ja schon – im Trotz seines Schuldbewußtseins – – mochte er denn gehen!

Sie war so furchtbar empört. Sie war im Stande, ihn gehen zu lassen. Für immer, ja für immer! Und wenn ihr Herz darüber brechen, wenn es sie das Leben kosten sollte! Es war zu schlecht, was er gethan. Schon oft war leise, aber nur halb gedacht, nur wie eine kleine dunkle, bald wieder verwehte Wolke, die einen Schatten über den blauen Himmelsgrund wirft und dann fort und verschwunden ist – so war schon mehr als einmal ein Argwohn in ihr aufgestiegen, daß er ihren Entschluß, mit Allem, was Dortenbach hieß, mit Allem, was die Sippschaft im Schlosse anging, nie in die geringste Berührung kommen zu wollen, aus egoistischen Gründen bekämpfe. Der Argwohn lag ja freilich auch nahe genug. Sie war seine Braut geworden; er hatte ihr Jawort – wenn sie ihren Entschluß änderte, wenn sie ihr Recht geltend machte, so wurde er ein reicher, sehr reicher Mann. Mein Gott, es lag so nahe, daß er deshalb, auch nur deshalb um sie geworben. So schrecklich nahe – heute, wo alle jungen Männer nach Geld jagen! Aber sie, sie war so blind vertrauensvoll gewesen, so lächerlich idealistisch, so schwärmerisch gläubig. Und nun hatte er sich so plump, so mit Händen faßbar verrathen – er hatte mit dem alten Herrn einen Weg, sie zu umgarnen, ausgeklügelt und hatte dazu ihr Geheimniß preisgegeben. So heilig hatte er ihr geschworen, sie dem Oheim nicht zu verrathen – und nun – o, es war keine Treue und Glauben in ihm – es war furchtbar, es war um sich todt zu weinen!



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_289.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)