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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


ein ähnliches kaum verzeichnet, hatte am 5. Februar 1783 die Westküste Calabriens erschüttert; Städte und Dörfer lagen in Trümmern und unter diesen gegen 30,000 Menschen begraben. Scilla theilte das Loos der Nachbarorte, was aber von seinen Einwohnern noch am Leben geblieben, flüchtete auf die niedere Marine am Meer, diesem jetzt mehr vertrauend als dem Lande. Unter freiem Himmel, zwischen den Barken und sonstigem Fischergeräth drängte sich Alt und Jung zusammen und harrte in Bangen der Nacht entgegen. Kurz nach Mitternacht erbebte die Erde auf’s Neue, und unter fürchterlichem Gepolter löste sich ein Felsen vom Berge Iaci und stürzte in’s Meer. Gleich darauf erbebte auch dieses, hob sich unter wildem Rauschen, hob sich wie eine Mauer über zwölf Meter hoch gegen das Land hin und spülte das unglückliche Volk vom Lande hinweg, in die grause Tiefe hinein, und wieder kam es zurück, zu neuem Streiche ausholend, zu rauben, was ihm vorher entgangen war: Hütten, Barken und Menschen. 1431 Scillaner wurden eine Beute der empörten Fluth – unter ihnen befand sich der alte Fürst von Scilla.

Beim ersten Erdstoße hatte er sich auf seinem Castell auf der Höhe des Scyllafelsens befunden; vom Schrecken überwältigt soll er sich betend und weinend vor dem Kreuze niedergeworfen haben, und erst spät hatte man ihn überreden können, zu seinen Unterthanen an’s Ufer des Meeres hinabzusteigen. In eine Fischerbarke geduckt, von seinen Dienern umgeben, blieb er dort, bis die Wellen auch ihn hinabrissen. Das Meer, von den Resten Erschlagener besäet, glich einem Schlachtfelde, und zu ganzen Haufen wurden Menschen- und Thierleichen noch lange von den Wellen an das Land getrieben.

Das ist nun längst vergessen, und seliges Vergessen auch lächelt dieser Himmel, diese Erde, und wie die Küste der Seligen glänzt Siciliens Ufer herüber; denn Scilla liegt an der Straße, wo die kürzeste Verbindung des ionischen mit dem tyrrhenischen Meer stattfindet, und die Küsten dieser Meere scheinen noch heute, wenn man sie, mit ansehnlichen Ortschaften dicht bebaut und in reicher landschaftlicher Schöne strahlend, vor sich erblickt, nicht aller Segnungen der alten Götter bar.

Wer von Castor redet, muß auch von Pollux erzählen: die Scylla verlangt ein Wort über die Charybdis, die das Loos der Entgötterung mit ihrer Schwester theilt. Zwar schreibt unser Schinkel noch 1803 über die Charybdis:

„Die Nacht brach ein; gewitterhaft umwölkte sich der Himmel, und Sturm erhob sich in der Enge. Viermal trieb das Schiff zurück in die sprudelnde Fluth der Charybdis; der Hauptmann hatte seine ganze Gegenwart nöthig, der Brandung zu entgehen.“

Die Sache ist aber nicht so schlimm. Die „Unversöhnliche“, die „Verwickelte“, die „nie ruhende Charybdis“, von deren „Geheul“ noch Schiller im „Taucher“ singt, ist nicht mehr vorhanden, und die heutige Carilla oder Rema, Calofaro oder Garofalo, wie sie die Anwohner nennen, ist ein unschuldiges Wesen, dessen Name „Garofalo“, die Nelke – wegen ihrer leicht gekräuselten Ränder – schon ihre Ungefährlichkeit andeutet; selbst leichte Fischerböte fürchten sie nicht mehr.

Freilich, wenn ein Nord- oder Südsturm sich auf die Meerenge stürzt, kann auch sie nicht ruhig bleiben, und dann mag das Bild zutreffen, das uns Virgil von ihr entwirft:

„Diese verschluckt dreimal in des Abgrunds untersten Strudel
Jähabschießende Wasser der Fluth und speiet sie wieder
Wechselweis in die Luft und peitscht mit den Wogen die Sterne.“




Was man vom Kukuk sagt.

Eine Frühlingsgabe.

Neben der Schwalbe, ja noch mehr als diese, welche nicht immer die untrügliche Vorbotin des wiederkehrenden Sommers ist, gilt seit alten Zeiten der Kukuk dem deutschen Volke als Verkünder des nahenden Lenzes. Zwar ist er keineswegs der erste unter den Vögeln, welche uns das Kommen des Frühlings anzeigen, aber der Kukuk thut uns sein Dasein vernehmlicher und verständlicher kund, als irgend ein anderer Vogel. Er ist es vor Allen, der die Natur gleichsam aus ihrem Winterschlafe weckt mit seinem allerorts erschallenden Rufe, den er oft mehr als hundert Mal und so laut wiederholt, daß er auch in weiterer Entfernung zu hören ist. Daher nennt Uhland den „frühschreierischen Gucku“ mit Recht den berufsmäßigen Stimmführer und Herold des nahenden Sommers. Als solcher erscheint er auch in Schiller’s „Tell“, im Gesange des Hirten:

„Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder.“

Bezeichnet doch in alten Rechtsformeln die Bestimmung: „bis zu Sanct Walpurge, daß der Gouch guchzet“ geradezu den Frühlingsanfang, und noch heute sagen wir: „er wird den Kukuk nicht wieder rufen hören“ von einem Kranken, der das Frühjahr nicht erleben wird.

Wie wir jedes Jahr neu aufathmen, wenn die Natur uns des einziehenden Frühlings gewiß macht durch das erste Leben, das sie entfaltet, so begrüßten auch unsere Vorfahren den Lenz und seine Boten freudigen, jauchzenden Herzens, und zwar um so mehr, als sie so in täglichem, trautestem Verkehr standen mit Allem, was im Freien sichtbar und regsam ist. So vernahm man denn mit lautem, überschwenglichem Jubel überall den ersten Ruf des Kukuks nach der langen bösen Winterzeit. „Der Kukuk mit sein Schreien macht fröhlich Jedermann“, singt das Volkslied; dem nun ist wirklich und thatsächlich die Herrschaft des Winters zu Ende; der Kampf, welchen nach der Vorstellung unserer Vorfahren der Frühling mit ihm zu bestehen hatte, endet mit dem Tage, an welchem der erste Kukukschrei den unterliegenden Winter „auslacht“.

Wie bei den Griechen derjenige „Botenlohn“ empfing, der zuerst die Einkehr des Storches auszusagen vermochte, so bekam im Westfälischen ein Ei, wer den ersten Kukuksruf anmelden konnte. An dem Tage, an welchem dieser gehört wurde, kommen nach einem lateinischen Gedichte des neunten Jahrhunderts die Hirten zusammen, um dem Kukuk zu lobsingen. Es entspinnt sich ein Streit zwischen Frühling und Winter, welche redend eingeführt werden, über das Lied des Kukuks, als dessen bitteren Feind sich der griesgrämige Winter erweist. Doch die Hirten bringen diesen zum Schweigen, indem sie dem Kukuk fröhliches, ja feierliches Heil zurufen als einem Allen willkommenen Gastfreunde.

Aehnliches findet sich in England. Durch die nahe Verwandtschaft des englisches Volkes mit dem deutschen erklärt es sich, wenn Shakespeare, sicherlich auf Volksgebräuche sich stützend, in seinem Lustspiel „Verlorene Liebesmüh“ Winter und Frühling einen Wettgesang anstellen läßt, wobei der Kukuk als Attribut des letzteren mit seinem lustigen Rufe den Vogel des ersteren, die Eule, verstummen macht. Ein Rest des feierlichen Empfanges, welchen unser Volk ehemals dem Kukuk zu Theil werden ließ, hat sich noch bis nach 1770 im Herzogthum Berg erhalten, wo der Küster den Ruf des Vogels auf der Orgel nachahmte. Und daß man den Ruf des Kukuks auch in den Schlaguhren und im Kinderspielzeug anbrachte, beweist ebenfalls, wie schön und erfreulich dieser Ruf dem Ohre klang.

Was aber diesem Vogel ein so bedeutendes Ansehen verschaffte, war nicht sowohl die Schönheit seines Rufes, als vielmehr ein uraltes, jetzt freilich verdunkeltes Verhältniß, in dem der Kukuk zu dem Gotte des Frühlings und des Wetters steht. Der feierliche Empfang galt weniger dem Vogel, als der Gottheit, die man sich hinter ihm stehend oder in ihm personificirt dachte.

Der Kukuk ist in der indischen Mythologie die thierische Verwandlung des Donnergottes Indra und in der griechischen die des Zeus, welcher die Hesiod unter seiner Gestalt in Sturm- und Regenschauern der Hera naht. Bei den Indern wie bei den Griechen verkündete der Kukuk, seinem Verhältnisse zu der Gottheit des Gewitters entsprechend, die Zeit des fallenden Saatregens, und als Regenvogel kennt ihn auch mannigfacher Glaube unseres Volkes. Allgemein erwartet man Regen oder Sturm, wenn er sich einer Ortschaft nähert, und nach preußischem Glauben naht ein nasser Sommer, wenn im Frühjahr viele Kukuke schreien. Als es einmal in einem Orte Oberfrankens unaufhörlich regnete, schrieb man dies dem Kukuk zu, verjagte ihn – und nun wurde schönes Wetter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_295.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2023)