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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


und der Blick auf die freiere Gesetzgebung des linken Rheinufers, wo auch die politischen Processe unter der Aegide des Schwurgerichtes standen, hatten Wirth bewogen, mit seiner „Deutschen Tribüne“ in die baierische Rheinpfalz überzusiedeln (wegen günstiger Postverbindung nach Homburg bei Zweibrücken) und von da den Kampf um die Volksrechte mit erhöhtem Eifer wieder aufzugreifen. Auf’s Neue begann die Rauferei mit dem Censor; auf’s Neue ließ der Herausgeber der „Deutschen Tribüne“ seine gestrichenen Artikel abdrucken und verbreiten. Dieselben wurden mit jedem Tage kühner, feuriger, zündender, in ihrer Verwegenheit origineller, sodaß das Blatt eine für die Zeit und die Localität geradezu unbegreifliche Verbreitung gewann, schon in wenigen Wochen seine Abonnenten nach Tausenden zählte und in ganz Europa das größte Aufsehen erregte.

Das lebhafte rheinfränkische Volk gerieth in einen Taumel der Begeisterung; Freiheitslieder wurden gedichtet oder den neuen Führern angepaßt und auf allen Straßen gesungen, und weder Siebenpfeiffer noch Wirth konnten ihr Haus verlassen, ohne sofort von der stürmischen Jugend umjubelt und von Hochrufen begleitet zu werden, wie Könige.

Neben der Agitation auf der Straße und in der Presse, in den Ständesälen und in Gesellschaften bediente sich die Propaganda auch der Bankette, zu denen die damalige Sitte, Volksführer durch Ehrengeschenke auszuzeichnen, häufig Anlaß bot. War es ja die Epoche der silbernen Ehrenbecher, welche neuerdings durch die Schützenbecher noch mehr in Mißcredit gerathen sind. Eine besondere Gelegenheit zu volksthümlichen Ovationen gab Anfangs des Jahres 1832 die Verbannung so vieler Polen, welche damals in Schaaren von Tausenden auf Leiterwagen durch Süddeutschland zogen, um in Frankreich ein Asyl zu finden.

Um die flüchtigen Patrioten, welche über Nacht in Bürgerhäusern einquartiert wurden, sammelte sich jeden Abend Alt und Jung, um mit andächtiger Sympathie ihren Erzählungen von den Freiheitsschlachten, von der Wiederherstellung Polens und von ihren verblutenden Heldenbrüdern zu lauschen. Damals schwärmte man ja in Deutschland noch von der Verbrüderung der Völker und konnte manche bittere Enttäuschung nicht ahnen, welche man später von vielen Volksgenossen jener gefeierten Freiheitshelden zu erfahren hatte. Glich ja damals die Begeisterung gleichsam einem Rausche, in welchem der Himmel voll Baßgeigen hing, wo Alles sich brüderlich umarmte, ohne vorher Herz und Nieren zu prüfen, und wo man, nur das ferne, hohe Ziel im Auge, die Thäler und Schluchten, Ströme und andere Hindernisse übersah, welche dessen Erreichung noch im Wege standen.

In Betreff der Presse sollte die Herrlichkeit nur von kurzer Dauer sein. Die deutsche Bundesversammlung unter dem Einflusse Metternich’s war zwar eine langsam arbeitende Maschine, aber im Punkte der Unterdrückung selbstständiger Aeußerungen des Volkes besaß sie eine Energie, welche einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Sie ließ sich nicht verblüffen, wie die baierische Regierung, welche indessen froh war, sich bei Repressivmaßregeln mit der höheren Autorität zu decken und dem ohnehin verhaßten Sündenbock von Bundestag auch dieses Odium überlassen zu können.

So wurde schon nach sechs Wochen des Erscheinens in der Pfalz der „Deutschen Tribüne“ das Postdebit entzogen. Rasch suchte Wirth dem Schlage zu begegnen, indem er es unternahm, ein Botennetz zu organisiren und das Blatt für weitere Entfernungen unter Siegel zu versenden. Um die Mittel zu dieser Organisation zu schaffen, gründete er den „Deutschen Preßverein“ mittelst eines Aufrufes, welcher unter dem Titel „Deutschlands Pflichten“ in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet wurde und gewaltiges Aufsehen erregte – der Plan gelang glücklich. Als die Behörde wahrzunehmen glaubte, daß der Zweck der Postdebitentziehung im Begriffe war vereitelt zu werden, schritt sie zu weiteren Gewaltmaßregeln und ließ die Druckerei der „Tribüne“ versiegeln. Da nun Wirth fast gleichzeitig wegen Preßvergehen verhaftet wurde, so hatte das historisch merkwürdige Preßorgan sein Dasein gleich einem Meteor beendigt. Als der tapfere Mann nach vierwöchentlicher Haft in Zweibrücken durch Richterspruch wieder freigelassen worden war, wurde er, nach Homburg zu Pferde heimkehrend, durch eine wahrhaft rührende Ovation der Bevölkerung empfangen, bei der unter dem brausenden Jubel des


Ansichten von der Gotthardbahn: Eisenbahnbrücke über die Göschener Reuß.
Originalzeichnung von J. Nieriker.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_337.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2023)