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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


zwischen der Tunnelbau-Unternehmung und deren Bauherrn, der Gotthardbahngesellschaft, Streitigkeiten, welche zu langwierigen Processen und sogar zur theilweisen Einstellung der Tunnelarbeiten führten. Aber trotzdem schritt das Werk rüstig fort. Ende Februar 1880 hörten die Bergleute einander bereits in den beiden Stollen, die nördlich und südlich des Gotthard vorgetrieben worden waren, und am 25. desselben Monats stieß eine Sondirungsstange, die an dem einen Stollen eingesetzt worden, auf den anderen und kam hier zum Vorschein; Sonntag den 29. Februar endlich, Mittags 11 Uhr 20 Minuten, fiel unter Glockenläuten, Hurrahrufen und Böllerschüssen die letzte Wand.

Nur ein Schmerz trübte das Fest, das sich an den Stollendurchbruch knüpfte: Louis Favre hatte es nicht mehr erleben sollen. Er war am 19. Juli des vorangegangenen Jahres, also kurz vor der Vollendung des Stollens, im Tunnel selbst, mitten in der Arbeit, gleich einem Soldaten, der in der Schlacht fällt, gestorben. Zu Fuß hatte er noch am Morgen desselben Tages den fast eine Meile weiten, bei der hier herrschenden großen Hitze außerordentlich beschwerlichen Weg gemacht; auf dem Rückwege ergriff ihn ein Unwohlsein; er bat um ein Glas Wasser, und wenige Minuten darauf war er verschieden – vom Schlage getroffen.

Louis Favre, der Erbauer des Gotthardtunnels.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Schwer wurde er von den Seinen, seinen Ingenieuren und Arbeitern vermißt; mit Thränen gedachte man seiner im Jubel des Stollenfestes, welches Alle, die bis dahin an dem Werke mitgearbeitet hatten, im Frühjahr 1880 vereinigte, aber die Arbeit ging jetzt nicht minder schnell vorwärts. Nur um zwei Monate später, als das Bauprogramm es verlangte, war der Durchschlag der beiden Stollen geschehen, und im Herbst 1881 war auch die Erweiterung des Tunnels überall durchgeführt, die Auswölbung hergestellt und das Geleise gelegt. Im November fuhren die ersten Züge durch den Tunnel, und am 2. Januar dieses Jahres wurde die Strecke zwischen Göschenen und Airolo dem öffentlichen Verkehr übergeben.

Damit war das Hauptwerk der Gotthardbahn, an dessen glücklicher Durchführung auch in den Kreisen hervorragendster Sachverständiger fast bis zuletzt gezweifelt worden, vollendet; die Fertigstellung der beiderseitigen Anschlußstrecken ließ, nachdem auch hier die zahlreichen und ihrer Construction wegen schwierigen Tunnels (die in ihrer Construction verwickeltste Partie der Gotthardbahn, die Entwickelung derselben an der Biaschina, stellt unsere heutige Abbildung, S. 353, dar), ausgeführt worden, nicht lange auf sich warten. Heute ist die gesammte Strecke der Gotthardbahn fertig; festgegründet, bewehrt gegen tückische Wetterlaunen, Hochwasser, Schnee und Lawinen, ist sie bereit, mit all ihren Waffen in den vielseitigen Kampf einzutreten, den Industrie und Verkehr zu kämpfen hat. – Möge man bei der Eröffnung der Gotthardbahn all Derer gedenken, welche ihre Kräfte je nach Begabung vereinigt haben, um das Werk zu zeitigen! Möge man der Staatsmänner gedenken, welche mit weit voraus schauenden Blicken die Bedeutung des Unternehmens erkannt und gefördert, der Ingenieure, welche es entworfen, des Unternehmers, welcher es in die That übersetzt – aber auch der Bergleute und sonstigen Arbeiter, welche mit schwieliger Faust den Meißel geführt und die Steine gefügt haben, um das Unternehmen zu vollenden! Der gesammten Menschheit, dem ganzen Jahrhundert gereicht es zur Ehre; Jahrhunderte werden es nicht vernichten können. Möge das vollendete Werk deshalb auch auf Jahrhunderte hinaus der Menschheit einen neuen Anstoß zum internationalen Wettstreit der Künste des Friedens geben!

Franz Woas.     




Ein Besuch im Staatsgefängnisse zu Kilmainham.

Zur Beleuchtung der Zustände in Irland.
Von Paul d’Abrest.

Seit einem dreiviertel Jahrhundert sind die Zustände in Irland, das durch den beklagenswerthen Meuchelmord an dem Lord Cavendish und dem Unterstaatssecretär Bourke auf’s Neue in den Vordergrund des Interesses getreten ist, im vollsten Sinne des Wortes Ausnahmszustände; denn fast ununterbrochen mußte England mittelst außerordentlicher Maßnahmen den anarchischen Vorgängen gewaffnet entgegentreten, welche über die von der Natur so lieblich ausgestattete Smaragdinsel einen so tiefen Schatten werfen. Das Charakteristische an diesen Zuständen ist das Zwitterhafte, das ihnen anklebt. Die englische Herrschaft ist auf dem schönen grünen Eilande gewissermaßen unterminirt; sie wird von allen Seiten angegriffen, bekämpft oder als nicht vorhanden betrachtet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_349.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)