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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

um ohne Sorge durch den Winter zu kommen. Die Langeleike ist ein dankbarer Ding, als Leim und Haare. Doch wie lange wirst Du bei ihm bleiben?“

„Wer kann’s wissen? Mich drängt die Zeit nicht. Nach dem Lyster-Fjord komme ich immer früh genug. Ob die Leute sich morgen oder übermorgen über meine Heimkehr wundern, verschlägt nichts. Machen sie mir zu viele Reden, so verkaufe ich das Haus zu jedem Preise und such’ mir eine andere Heimstätte. Vielleicht glückt’s, daß ich eine Stelle bei einem Handelsherrn oder in einem Fischereigeschäft finde. Mir ist Alles einerlei. Nur auf’s Meer hinaus will ich nicht mehr, so lange die alten Berge da drüben noch stehen.“

„Wenn ich wieder von unten heraufkomme,“ sagte der Andere, „bist Du wohl fort, sonst möcht’s mir in den Kopf fahren, Dich sammt dem alten Olaf zu besuchen. Einen guten Trunk wollt’ ich mitbringen, der ihm die Stimme löste. Hoffentlich hat er’s Spiel nicht ganz d’ran gegeben. Ich möchte was d’rum missen, wieder einmal ein ordentliches Nordlandslied von ihm zu hören.“

„Komm immerhin! Bin ich fort, so erfreust Du den Olaf damit. Freilich, die Menschen ändern sich oft. Mancher von den alten Bekannten ist zur Grube gefahren, und die übrigen kenne ich kaum wieder. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Die Berge ringsum und ’s Wasser sehen dagegen noch genau so aus, wie damals, und so haben sie auch wohl vor hundert und tausend Jahren ausgesehen. Vieler Herren Länder hab’ ich gesehen, aber kein’s, das unserer Felsenheimath gleichkäme. Ich krankte förmlich darnach, und jetzt, da ich hier bin, macht’s mich nicht gesund.“

Träumerisch spähte Knut über die den grauen Himmel zurückstrahlende Wasserfläche. Den alten Schiffer befremdete des jüngeren Gefährten Schweigen nicht. Wie um ihn in seinen schwermüthigen Betrachtungen nicht zu stören, blickte er nach den vegetationslosen Abhängen der Hornelen-Insel hinüber, deren bizarre Höhen sich wie eine aus Zinkplatten geschnittene Silhouette von dem düsteren Hintergrunde abzeichneten. Eine stärkere Luftströmung, welche um die Südküste der gewaltigen Felseninsel herum ihren Weg suchte, füllte das Segel etwas straffer, und schneller schob sich der runde Bug der Jacht durch die leicht gekräuselten Fluthen, die, wie liebkosend, ihn mit einem weißen Schaumkranze umgaben. Die melancholische Stimmung der nordischen Natur schien sich sogar auf den Knecht am Steuer übertragen zu haben, denn er unterschied sich in seiner Haltung kaum von dem Schnabelbalken, der zwischen den beiden Männern auf dem Vorderdeck emporragte. Der Cours war ihm vorgeschrieben worden; Dünungen gab es nicht zu bekämpfen, und so rührte die Hand am Steuer sich nur selten und dann kaum merklich. Erst als die Insel, auf welcher Knut zu landen wünschte, dicht vor ihnen lag, belebten die drei schweigsamen Gestalten sich wieder. Knut trat neben den Knecht hin und unterwies ihn, wohin er in dem ihm selbst bekannteren Fahrwasser zu steuern habe, während Olsen die Leine löste, um im entscheidenden Augenblick das Segel fallen zu lassen. So trieb die Jacht auf einen etwas weiter in’s Wasser hinausragenden Vorsprung zu, dessen äußere Form für große Tiefe zeugte und ein hartes Anlegen ermöglichte. Eine kurze Strecke vor demselben sank das Segel, und mit einer scharfen Wendung gelangte das Fahrzeug neben dem Felsen zum Stillstand. Knut’s Zeugsack lag zur Hand. Einen freundschaftlichen Scheidegruß tauschte er mit Olsen, dem Knecht nickte er zu und sprang, seine Habseligkeiten unter dem Arme, auf den Felsen. Fast gleichzeitig schob sich unter Olsen’s und seines Gehülfen Händen die Raae nach dem Maste hinauf, und sobald das Segel sich zu füllen begann, trat der Knecht wieder neben das Steuer.

„Noch einmal vielen Dank und auf Wiedersehen!“ rief Knut dem Schiffer nach.

„Auf ein lustiges Wiedersehen!“ antwortete dieser, und schnell glitt die Jacht aus dem Bereich ihrer Stimmen.

Ein Weilchen blickte Knut ihr träumerisch nach.

Wenn ihn die Berge, die Schärenfelsen, das Wasser und die Beleuchtung rings um ihn daran erinnerten, daß er nunmehr wirklich in seinem Heimathlande, so erschien ihm die alte Nordlandsjacht wie ein vertrauter Freund früherer Tage. Und dennoch, wie lag die Zeit, in welcher dies alles seine tägliche, wenn auch wenig beachtete Augenweide gewesen, in so unabsehbarer Ferne! Sinnend kehrte er sich der Insel zu. Eine kurze Strecke auf dem nur wenig über den Wasserspiegel emporragenden Plateau hinwandelnd, erreichte er das eigentliche Eiland, wo auf dem festen Gestein ein nothdürftig erkennbarer Pfad in wechselnder Höhe sich nach dem südlichen Ufer herumschlängelte.




2.

Eine Stunde und länger war Knut an den schroffen, nur stellenweise mit grünem und silbergrauem Renthiermoos bewachsenen Abhängen hingeschritten, als sich in einiger Entfernung vor ihm eine Schlucht öffnete, die vom Meere aus in den Inselfelsen einschnitt. Dort, wo eine tiefeinschneidende Spalte kleineren Böten eine sichere Zufluchtsstätte gewährte, lag hart am Fuße einer steil aufstrebenden Felswand eine aus kienreichen, mäßig starken Balken errichtete Hütte. Sechs hohe schwere Klötze von etwa drei Fuß Höhe trugen dieselbe, wodurch unterhalb des aus Planken zusammengefügten Fußbodens ein niedriger Schuppen für Fischereigeräthschaften und ein Stall für einige Ziegen hergestellt wurde. Das Dach bestand aus einer dichten Erdschicht, welcher Gras und Kraut üppig entwucherten. Andere grüne Flächen, nur weniger umfangreich als das Dach, wiederholten sich auf den nahen Abhängen, wo die Felsgestaltung das mühsame Auftragen einer Humusschicht und das Anpflanzen von Kartoffeln, Hafer und etwas Gartenvegetabilien ermöglichte.

Als Knut den ersten Anblick der Schlucht gewann, lag bereits der Schleier abendlicher Dunkelheit darüber. Seinem Geiste schwebte indessen Alles noch vor, wie er es zum letzten Male gesehen hatte, und daß seitdem sich dort irgend etwas geändert haben sollte, das nahm er nicht an. War der Pfad doch zunächst derselbe geblieben, sogar das Licht, welches ihm aus dem schwarz beschatteten Felsenwinkel entgegen leuchtete, rief ihm den Eindruck hervor, als sei es in den letzten zehn Jahren kein einziges Mal erloschen, als müßten heute, wie damals, dieselben alten Augen in die Gluth des Herdfeuers starren, aus den lebhaft züngelnden Flammen die geheimnißvollen Lieder herauslohen, mit welchen der greise Olaf sein Spiel auf der Langeleike zu begleiten pflegte.

Als er sich der offen stehenden Thür bis auf etwa hundert Schritte genähert hatte, tönte ihm das durchdringende häßliche Geheul zweier Robben entgegen. Gleich darauf trat, wie er von dem erhellten Hintergrunde leicht unterschied, eine hohe Frauengestalt in die Thür, um die Ursache der ungewöhnlichen Störung zu erkunden. Ihren Zuruf beachteten die beiden Seehunde, die auf dem Vorplatz der Hütte lagen, nicht. Ihre Stimmen wurden vielmehr noch durchdringender, bis sie plötzlich von selbst verstummten und mürrisch grunzend und knurrend in den Raum unterhalb der Hütte krochen.

„Ist dies die Heimstätte des alten Olaf, des Spielmanns?“ fragte Knut, sobald die Robben es ihm ermöglichten, sich verständlich zu machen.

Keine Antwort! Die Gestalt in der Thür lehnte sich an den einen Pfosten und sah durch das Dunkel regungslos zu dem Fremden hinüber. Erst nach längerem Zögern und nachdem Knut sich den zur Thür hinaufführenden Stufen genähert hatte, antwortete sie mit tiefem, melodischem Organ:

„Es ist die Hütte, welche Olaf, der Spielmann, einst eigenhändig errichtete und länger als dreißig Jahre bewohnte.“

„Das hört sich an, als fände ich ihn nicht zu Hause,“ fuhr Knut fort und blieb auf der untersten Stufe stehen. „Vielleicht zu einem Nachbarn gewandert mit seinem Saitenspiele – das erfordert in diesem Theile der Welt Zeit.“

„Zu vielen Nachbarn,“ hieß es mit eigenthümlich bewegter Stimme zurück, „nämlich zu denen, die einst seine Nachbarn gewesen weit und breit und die ihm längst vorausgingen.“

„Mit anderen Worten, der ehrliche Olaf ist todt?“ fragte Knut, durch die unerwartete Kunde augenscheinlich betrübt.

„Ja, er ist todt, gestorben schon vor Jahren. Drüben in Florö auf dem Kirchhofe schläft er. Das hindert indessen nicht, daß Du in seinem Hause willkommen bist für die Nacht, für morgen und auf so lange, wie’s Dir gefällt.“

(Fortsetzung folgt.)




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