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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Um die Erde.

Von Rudolf Cronau.
Zehnter Brief: Unter den Dacotahs.

Weiß der geneigte Leser, was man „im fernen Westen“ der Vereinigten Staaten unter einer „Agentur“ versteht? Wenn nicht, so sei hier vorausgeschickt, daß „Agenturen“ im hier gedachten Sinne jene längs der gesammten Grenze der Civilisation sich hinziehenden, in der Regel mit einem Fort verbundenen Etappen bezeichnen, von denen aus die Regierung mit den halb oder ganz unterworfenen Indianerstämmen vorsichtige Fühlung unterhält, die erforderlichen Verhandlungen leitet, etwaige Bedürfnisse ihrer rothhäutigen Unterthanen bereitwillig befriedigt, nöthigenfalls aber auch eine plötzlich wieder hervorbrechende Thatenlust dieser zum Theile noch immer unverläßlichen Naturkinder in die gebührenden Schranken zurückweist. Einen jener Plätze hatte ich mir für mehrere Wochen zum Haupt- und Standquartier erkoren, und bildet derselbe somit den localen Hintergrund meiner diesmaligen Darstellung.

Der Scalp.  Die „große Medicin“.
Nach der Natur gezeichnet von dem Specialartisten der „Gartenlaube“ Rudolf Cronau.

Die „Standing Rock Agentur“, eng verbunden mit dem „Fort Yates“, liegt auf dem westlichen Ufer des Missouri und etwa sechszig Meilen südlich von der Stadt Bismarck auf einer Hochebene, die sich ungefähr siebenzig Fuß über den Fluß erhebt, eine freie Umschau über das umliegende Land gestattet und zu beiden Seiten des Stromes, der in gewaltigen Schlangenwindungen dem Süden zueilt, prächtige und malerische Scenerien bietet. Ein ziemlich hoher isolirter Bergkopf mit breitem Rücken steigt nördlich vom Fort empor; von seiner Höhe aus schweifen die Blicke bis zu jenen leicht gewellten und tafelförmigen Hügeln, die sich im Westen und Süden etwa fünf- bis siebenhundert Fuß hoch über den Spiegel des Flusses erheben. In der Entfernung weniger Meilen erblicken wir ringsum viele Hunderte von Indianerhütten, zu großen Lagern vereinigt. Im Norden liegen die Wigwams der schon länger der Agentur zugetheilten Stämme, im Süden und Südwesten aber leuchten die Zelte, in denen die erst vor Kurzem vom Kriegspfade heimgekehrten „hostiles“, die feindlichen Dacotahs, hausen. Zur Zeit meines Besuches im Fort Yates (September 1881) waren gegen sechstausend Indianer hier versammelt, sämmtlich jener mächtigen und kriegerischen Nation angehörig, die bis vor wenigen Jahren noch über ein ungeheures, das deutsche Reich an Größe übertreffendes Gebiet sich verbreitete, ein Gebiet, welches ganz Dacotah, Nordnebraska, Ostwyoming, Westminnesota und einen Theil der britischen Besitzungen umfaßte. Heute sieht sich dieses Volk nach langen und blutigen Kriegen größtentheils auf sogenannte „Reservationen“ beschränkt, von denen neun in Dacotah, eine in Montana und wiederum eine in Nebraska liegen. Diese Reservationen bezeichnen nämlich Länderstriche, die von der amerikanischen Regierung den Indianern als alleiniges und ausschließliches Eigenthum zuerkannt worden sind, während den Weißen die Ansiedelung auf diesen Gebieten verboten ist.

Die Dacotahs, zu Deutsch die „freundlich zu einander Gesinnten“, die „Verbündeten“ oder die „Sprachverwandten“ – bekannter sind sie unter dem bedeutungslosen französischen Namen der „Sioux“ – bilden eine Völkerschaft, deren Geschichte, Sitten, Ueberlieferungen und Gebräuche nur wenig und in keineswegs verläßlicher Weise erforscht worden sind. Abgeschreckt durch den kriegerisch-wilden Charakter und den üblen Ruf dieser Indianer, traten amerikanische und europäische Ethnographen nur in sehr vereinzelten Fällen mit ihnen in nähere Berührung, und diese Wenigen wiederum lernten zumeist nur kleinere Bruchtheile des einst so mächtigen Volkes kennen. So kam es, daß lange Zeit hindurch auch die Kopfzahl der Dacotahs stark unterschätzt wurde; man bezifferte dieselbe auf höchstens 10,000 Individuen, während sie sich in Wirklichkeit den neuesten Erhebungen zufolge noch gegenwärtig fast auf das Vierfache beläuft. Gleichzeitig repräsentirt das Volk einen außerordentlich stattlichen und wohlgebildeten Menschenschlag. Die äußere Erscheinung der Dacotahkrieger ist eine geradezu imponirende; kräftig gebaute Männergestalten von sechs Fuß Höhe und darüber sind durchaus keine Seltenheit, und ihre Bewegungen sind ungleich elastischer und graziöser, als die der meisten übrigen Indianerrassen. Gehoben werden diese körperlichen Vorzüge noch durch ein buntfarbiges und höchst malerisches Costüm; die grauen oder dunkelblauen „Blankets“ (wollene Decken) oder zur Winterszeit die prächtig bemalten Büffelfelle verleihen diesen ernsten und schweigsamen, an altrömische Senatoren erinnernden Gestalten einen Zug selbstbewußter, ich möchte sagen heroischer Würde. Energisch ist der Schnitt der Gesichter. Kühn springt die hochrückige Nase hervor; kräftig und breit sind Backenknochen und Kinn angelegt; das schwarze Haupthaar ist straff und lang und die Hautfarbe ein ausgesprochenes Kupferroth. Anstatt des immer seltener werdenden Rockes aus Thierfellen verhüllt ein baumwollenes Hemde, gestreift, carrirt, gewürfelt oder buntgeblümt, den Oberkörper der Männer, während die untere Bekleidung in einer den Leib umschließenden Binde besteht, durch welche ein vorn und hinten bis zur Erde niederfallender, häufig mit Stickereien verzierter, fußbreiter, rother oder blauer Tuchstreifen hindurchgezogen ist, der, frei zwischen den Füßen flatternd, einen ganz merkwürdigen Anblick gewährt. Die Beine sind mit engen, blauen oder rothen „Leggins“ (Beinkleider) bekleidet, die aber nur bis zur Mitte der Oberschenkel reichen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_364.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)