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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

den Gedanken erreichtest, und da ist’s nicht zum Erstaunen, wenn Manches Deinem Gedächtniß entfiel. Vielleicht streichest Du es auch mit Gewalt aus, um Ruhe zu finden. Daraus macht Dir Niemand ein Arg; Du handeltest sogar klug. Aber hättest Du gelebt wie ich, wärest Du mit Deinen Gedanken so viele Jahre allein gewesen, so möchte es Dir verständlicher sein, daß Dein Unglück an meinem Gewissen nagte. Du bist eben ein wenig verhärtet – das höre ich an Deiner Stimme, und jetzt, da Du weißt, daß kein Blut an Deinen Händen klebt, wird Dir’s schwer, Dich schnell wieder zu ändern; zu lange Zeit ist darüber hingegangen. Doch es wird kommen, Knut, ja es muß kommen über kurz oder lang, daß Du wieder lachst, wie ehedem, auch wohl Jemand findest,“ und ihre Stimme wurde unsicherer, „der Dich liebt und verehrt; Dein Herz wird erwachen wie die Birken drüben in unseren Thälern, wenn nach dem langen kalten Winter die Sommersonne ihr Licht entfaltet.“

„Engelid,“ unterbrach Knut sie mit einer Geberde der Ungeduld, „wenn Du meiner freundlich gedachtest alle die langen Jahre, so danke ich Dir’s. Aber das Andere laß’ bei Seite! Mich sollte Jemand lieben und verehren, meinst Du? Was Du in diese Worte legst, errath’ ich so halb und halb, und da gestehe ich, damit Du’s auch Anderen sagen magst: So wenig ich damals daran dachte, mich nach einer Frau umzusehen, ebenso wenig denke ich heute daran. Mußte ich nicht außer Landes, möcht’s vielleicht anders gekommen sein; jetzt hingegen paß’ ich zum Ehestand wie der alte Spielmann dort. Der Gedanke daran ist mir schon ein Gräuel. Aber Du, wahrhaftig, Du hättest einen Mann nehmen sollen.“

„Was Du sprichst, Knut, klingt hart, sogar feindselig, aber kränken kann es mich nimmermehr,“ sagte Engelid ruhig. „Suchte ich die Einsamkeit und wollte keines Mannes Weib werden, so ist das meine Sache. Sollte ich mich Jemand zu eigen geben, der mir zuwider, Jemand dienen und ihm unterthan sein, der mir so gleichgültig, wie die Nebelwolken, die um unsere Berge hängen? Da war ein Corporal, ein Sohn guter Leute im Gulbrandsdal, der warb um meine Hand in rechtschaffener Weise, doch ich wies ihn ab, weil ich – nun – weil ich meinte, wir gehörten nicht zusammen. Der ist denn fortgegangen – Gott weiß wohin. Dann kam Ornesen, der Müller aus dem Lärdal – Du mußt ihn noch im Gedächtniß haben – ein reicher älterer Mann, ein Wittwer. Der meinte es ebenfalls ehrlich und bot mir an, daß ich seine Frau werden solle, aber auch ihn schlug ich aus. Hätte mein Leben auf dem Spiel gestanden, ich wäre nicht zu ihm gegangen. Mich für Geld und Gut verkaufen –.“

Engelid schwieg; zwei schwere Thränen rollten über ihre Wangen.


(Fortsetzung folgt.)


Andreas Achenbach.

Von Fr. Pecht.

Ist es die Aufgabe des Genies, den Weg von überlebter Cultur zur Natur zurückzuzeigen und durch sein Schaffen neue Wege zu ihr zu öffnen, so kann Andreas Achenbach mit vollem Rechte auf den Besitz dieser edelsten Naturkraft Anspruch erheben; denn nicht nur unter den zahlreichen Düsseldorfer, sondern unter sämmtlichen deutschen Landschaftern nimmt dieser glänzendste Vertreter realistischer Richtung seit einem halben Jahrhundert noch immer die erste Stelle ein. Daß er sich darin zu behaupten vermochte, trotz aller Wechsel des Geschmackes und der kolossalen Umwandlungen der jeweils herrschenden Technik, darf man wohl der unvergleichlichen Gesundheit seines physischen wie geistigen Naturells und ihrer Verbindung mit einem Fleiße, einer kolossalen Arbeitskraft zuschreiben, wie sie in allen Zeiten zu den seltensten Ausnahmen gehörten. Ist er doch jetzt bereits weit im zweiten Tausend seiner oft sehr großen, fast immer aber mit bewunderungswürdiger Sorgfalt durchgeführten Bilder! Aus der Zahl derselben giebt die hier mitgetheilte Abbildung (S. 385) eines seiner neuesten und reizendsten Aquarelle wieder, das auf der vorjährigen Düsseldorfer Ausstellung alle Welt entzückte. Es stellt eine Scene aus dem Judenviertel in Amsterdam dar und zeigt uns das geschäftige Gewühl auf den Canälen dieses niederländischen Venedigs. Die durch einander wirbelnden Figuren sind hier ebenso charakteristisch, wie die kleinen holländischen Häuser, das von Luft und Wasser eingerahmte Ganze aber athmet einen Zauber des Lichts und der Farbe, der es zu einem wahren Juwel macht.

Stehen wir also hier vor einer productiven Begabung ersten Ranges, wie man sie sonst nur bei den alten Meistern und auch da nur sehr selten in diesem Maße zu finden gewöhnt ist, so fragt man unwillkürlich, wie es die Natur anfing, ein solches Talent hervorzubringen? Sie schien dazu in der That nicht die entfernteste Absicht zu haben; denn die aus dem Siegenschen stammende Familie Achenbach zählte unter ihren Gliedern, so viel man zurückblicken konnte, außer Pastoren blos Kaufleute. Auch der Vater unseres Andreas gehörte der letzteren Classe an und kam früh zu einem Tabakfabrikanten Zilch nach Kassel. Ein unstäter Charakter, aber ebenso intelligent als rührig und mannigfach gebildet, ward er bald Associé, dann Schwiegersohn seines Principals, der ein großer Kunstliebhaber und eifriger hessischer Patriot war. Die eben florirende liederliche Wirthschaft unter König Jérôme sah dieser daher nur mit Grauen und kaufte bei der Verschleppung und Verschleuderung der herrlichen Kunstsammlungen des hessischen Hauses einen großen Theil dieser Schätze um ein Spottgeld. Es geschah in der Absicht, sie dem rechtmäßigen Herrscher, an dessen Wiedereinsetzung er fest glaubte, seiner Zeit zurückzustellen, was er denn auch bei der Rückkehr des Kurfürsten sofort ausführte, indeß ohne irgend einen Dank dafür zu erhalten.

Einweilen aber füllten die herrlichen Bilder alle Zimmer und Gänge des Hauses, in welchem die junge Frau Achenbach der Geburt ihres Erstlinges entgegensah. Von jeher voll Liebe für die Kunst, hatte sie aber doch nie einen so unsäglichen Genuß, solch süßen Trost in ihrer Betrachtung gefunden, wie in dieser erwartungsbangen Periode. Stundenlang konnte sie vor den Bildern sitzen und das Leid der Gegenwart wie die eigene Angst in ihrem Anblicke vergessen, bis sie am 29. September 1815 unserem Andreas das Leben gab und zugleich, dank ihrer Kunstliebe, die köstlichste Ausstattung für dasselbe; denn alsbald zeigte sich, daß der Junge für nichts so sehr Interesse hatte als für Form und Farbe der Dinge und sie immer nur darauf ansah.

Die Wiedereinführung der allen Verkehr hemmenden Zollschranken sammt dem ganzen verzopften Regiment hatte inzwischen die Fabrik ruinirt und den Vater bewogen, erst nach Mannheim, dann, als es auch dort nicht glückte, 1818 gar nach Petersburg als Fabrikdirector zu ziehen. Bis auf diese Reise gehen nun die ersten Erinnerungen unseres Knaben zurück, der sich noch ganz genau entsinnt, wie ihm der sammetartige Glanz der dunklen Ostseewogen auffiel. Sobald er einen Bleistift halten konnte, das heißt schon mit drei Jahren, fing er nun alles, was er sah, mit solchem Geschick zu zeichnen an, daß Jedermann darüber erstaunte. Als der Knabe sechs Jahre alt war, bekannte der Zeichenlehrer, den ihm der Vater hielt, er könne ihm nichts mehr lehren; der Junge leiste mehr als er.

Wenn die wissenschaftlichen Fortschritte des Wunderkindes mit den künstlerischen nicht Schritt hielten, so lag das jedenfalls nicht an mangelnder Begabung, da Andreas später die verschiedensten Sprachen mit großer Leichtigkeit lernte, sich überhaupt die reichste Bildung spielend aneignete, sondern daran, daß er jetzt einstweilen nichts als zeichnen mochte.

Nach fünf Jahren vertauschte der Vater, der alles geschickt anfaßte, aber nirgends aushielt, Petersburg, wo das Geschäft nicht mehr florirte, erst mit Elberfeld, dann mit Düsseldorf, wo er eine Brauerei anfing und eine Gartenwirthschaft damit verknüpfte, die bald an den Künstlern der eben neu aufgeblühten Akademie ihre durstigsten Kunden fand. Unser bei dem ewigen Herumfahren in der Welt zu einem ausbündigen Rangen voll Mutterwitz und Schalkheit aufgeblühter Andreas fand nun außerordentliches Gefallen an den schwarzen Sammetröcken und ausgeschlagenen Hemdenkragen der Maler und eröffnete seine eigene künstlerische Laufbahn einstweilen damit, daß er dem Herrn Director Cornelius und seinen langhaarigen Jüngern die Kegel aufsetzte, wenn gerade kein Kegeljunge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_376.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)