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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

3.

Der Lyster-Fjord, ein Nebenarm des gewaltigen Sogne-Fjords, welcher tief und in vielen Krümmungen in das gigantische norwegische Plateau einschneidet, erscheint wie eine Spalte, welche sich durch die Erdrinde hindurchsenkt. Mehrere tausend Fuß hoch thürmen die senkrechten Felsenmauern sich oberhalb des Wasserspiegels über einander, den Eindruck erzeugend, als ob ihre Grundpfeiler meilentief unter den stillen Fluthen verborgen lägen. Dunkle Tannen, untermischt mit lichtgrünen Zwergbirken, streben aus den Felsenritzen empor und verleihen dem düster gefärbten Gestein einen melancholischen Schmuck.

Der Eindruck des Unergründlichen der verhältnißmäßig schmalen Wasserstraße wird noch erhöht durch die wunderbar klaren Spiegelbilder der schroffen Uferwände, über welchen sich unten in der endlosen Tiefe des Wasserabgrundes dann wieder der Himmel zu wölben scheint. In einem Boot darüber hinfahrend möchte man wähnen, in einem Chaos wild zerklüfteter Gebirgsmassen frei in der Luft zu schweben. Zwischen den mächtig emporstrebenden Felsmauern erscheint die Wasserstraße um so enger, und der Schiffer hat das beklemmende Gefühl, als drohten die in schwindelnder Höhe sich einander zuneigenden gewaltigen Steinwände durch die erste Erschütterung das Gleichgewicht zu verlieren.

Wo aber Seitenspalten sich öffnen, da lugen in ewigen Schnee und Eis gekleidete Berggipfel in den versteckten Winkel herein. Hoch oben glänzender Sonnenschein, der die bläulichen Felszinnen vergoldet und barocke Lichtbilder auf den in seinem Bereich befindlichen Wänden zeichnet; unten dagegen kühler, zu einer Art Zwielicht hinneigender Schatten!

Eine eigene, starre und doch erhabene, sogar beängstigende Welt! Starr und doch nicht leblos! Denn von oben, von den über dreitausend Fuß hohen Plateaurändern kommt es beweglich herunter, bald wie Silberfäden, die im Niedersinken zu Sturzbächen anwachsen, bald wie zarte, durch den Luftzug hin und her gewehte Seidengespinnste, zu welchen das Wasser im freien Sturz zerstäubt, um sich demnächst auf Vorsprüngen wieder zu sammeln und als tosender Bach seinen Weg abwärts fortzusetzen.

So trägt Alles in dem Lyster-Fjord den Charakter des Bizarren, Wilden, Majestätischen und Bedrohlichen. Und doch leben Menschen dort – hier auf schmalem Uferrande in langgestreckten Dörfern, deren Häuser, sinnig gestützt, häufig über den Rand der sie tragenden Felsen hinaus ragen, dort in vereinzelten Hütten und kleinen Gehöften, je nachdem Abflachungen es ermöglichen, dem ängstlich gehüteten, oft mühsam herbeigeschafften feuchten Erdreiche einigen Ertrag zu entwinden.

In einem dieser abgelegenen steinernen Häuschen, welches seit einer Reihe von Jahren verschlossen und vereinsamt geblieben, regte sich an einem frischen Sommermorgen plötzlich wieder Leben. Fensterladen und Fenster standen offen, ebenso die Hausthür, und über das feste Dach hinaus entstieg sogar eine schmale Rauchsäule dem kleinen Schornsteine.

In dem nahen Dorfe hatte sich unterdessen die Kunde verbreitet, daß Knut Knutsen endlich wieder eingetroffen sei, und zwar in Begleitung der schönen Engelid, die noch in Aller guter Erinnerung lebte. Man hatte sie in der Frühe bemerkt, als sie vorüberruderten. Wer es noch bezweifelte, der brauchte nur auf einen der zahlreichen Ufervorsprünge zu treten, um sich zu überzeugen, daß Knut’s Haus belebt war und vor demselben ein Segelboot mit umgelegtem Maste angekettet lag. Hinzuzugehen und sich nach den näheren Umständen zu erkundigen, mochte indessen Keiner für angemessen halten. Aber in Vermuthungen und mancherlei Bemerkungen erging man sich, die indessen alle mit einander mehr oder minder für eine freundliche Theilnahme zeugten, welche man den fast verschollenen und jetzt so plötzlich und geheimnißvoll erschienenen beiden Kindern des Lyster-Fjords zollte.

Die Einen meinten, es sei ein Jammer, daß Knut in dem Wahne, Jemand getödtet zu haben, entflohen sei, statt als ordentlicher und geachteter Nachbar auf seiner Scholle zu sitzen. Andere entschieden sich dafür, daß Engelid seine Frau und es daher klar sei, weshalb sie den reichen Müller im Lärdal verschmähte; wogegen wieder Andere zweifelnd äußerten, daß unter solchen Verhältnissen Knut, von seiner Frau selbstverständlich über Alles unterrichtet, mit seiner Heimkehr schwerlich bis jetzt gesäumt haben würde. Wunderbar erschien es freilich Allen, daß Beide zugleich eingetroffen waren, also dennoch irgend welche Beziehungen zwischen ihnen walten mußten.

Knut war bald nach Tagesanbruch mit Engelid gelandet. Schweigend hatten sie das Haus betreten. Dort begab Engelid sich in den mit einem schmalen Vorflure vereinigten Küchenraum, um von den mitgebrachten Vorräthen ein Mahl zu bereiten, Knut aber hatte sich im Wohnzimmer vor den alten zeitgebräunten Tisch gesetzt und war in Gedanken an die Vergangenheit versunken.

Tiefe Wehmuth erfüllte ihn, aber freundlich berührte es ihn zugleich, sein Eigenthum so viel anders, so viel besser erhalten gefunden zu haben, als er ursprünglich erwartet hatte. Ueberall verrieth sich eine gewisse Ordnung und Sauberkeit, was ihn nach des Schiffers Olsen Mittheilungen zwar kaum noch befremdete. Daß aber streng duftende getrocknete Kräuter in Fülle über die wollene Bettdecke gestreut worden, zerschnittene Binsen, wenn auch gebleicht und zusammengeschrumpft, den Fußboden bedeckten, als hätte es dem Empfange eines freudig erwarteten Gastes gegolten, das war mehr, als er der Ueberlegung des von dem verstorbenen Olaf gelegentlich entsendeten Burschen zugetraut hätte. Im Stillen dankte er dem Todten herzlich, an Engelid aber und daran, daß sie nach dem Tode des alten Olaf in dessen Sinne weiter waltete, dachte er natürlich nicht.

Wohl eine halbe Stunde hatte er gedankenvoll dagesessen; Engelid schien mit Bedacht zu säumen, um ihn in seinen Grübeleien nicht zu stören, und als sie endlich den Tisch deckte und die Speisen auftrug, da verkehrten die Zwei einsilbig wie bisher mit einander. Erst nachdem das Mädchen die alte Ordnung wieder hergestellt, begann sie in geschäftsmäßigem Tone:

„Knut, Du fragst nicht nach Diesem oder Jenem, als sei Dir Alles einerlei; da muß ich selber den Anfang damit machen. Liegt Dir nichts daran, so hebt’s doch die letzte Verantwortlichkeit für Dein Eigenthum von meinen Schultern. Ich will nämlich hören, ob Du mit der Sorgfalt des alten Olaf und mit der meinigen zufrieden bist. Wir richteten Alles ein, wie’s bei der großen Entfernung nur möglich gewesen. Ist Manches nicht so, wie Du’s erwartetest –“

„Ueber Erwarten gut finde ich Alles erhalten,“ fiel Knut mit einiger Lebhaftigkeit ein. „Lägen hier Staub und Spinngeweben schuhhoch, es hätte mich nicht erstaunt. Im Gegentheil, es wundert mich, daß ich meinen Weg hereinkam, ohne über Schutt und Trümmer zu stolpern.“

„Nun, Knut, da der Olaf sich für verpflichtet hielt, mich von Zeit zu Zeit hierher zu senden – ihm selbst waren ja die Kräfte ausgegangen – so meinte ich, es dürfte nach seinem Tode keine Aenderung eintreten –“

„Selber bist Du hier gewesen?“ rief Knut wie seinen Ohren nicht trauend, „hörte ich doch von dem Schiffer Olsen, der Olaf habe einen Burschen geschickt.“

Engelid erröthete und wandte den Blick ab.

„Da es nun einmal heraus ist,“ sagte sie dann mit erzwungenem Gleichmuth, „so brauch’ ich mich dessen nicht zu schämen; hätt’s freilich lieber verschwiegen. Ja, ich selber war hier. Ich wollte den Leuten keine Gelegenheit zur Nachrede geben, und da legte ich Männerkleider an. Des Abends kam ich in dem Boot hier an, und mit Tagesanbruch begab ich mich auf den Rückweg, sodaß Niemand mich ansprach oder gar erkannte. Das war mir Zeit genug, um in Deinem Hause zum Rechten zu sehen, auszukehren und das Wollenzeug mit gutem frischem Kraut gegen den Mottenfraß zu schützen. Zwei Hände arbeiten viel, wenn sie’s ordentlich meinen; Binsen und Kraut, auch harzige Tannenzweiglein sammelte ich auf dem Wege hierher, wenn ich an einer zugänglichen Stelle vorübersegelte; denn so trug mir der Olaf auf. Er hatte Dir versprochen, sich um Dein Eigenthum zu kümmern, und dasselbe versprach ich ihm. Das ist Alles, und nichts giebt’s zum Erstaunen. Gern hätten wir Deine Felder bestellt oder verpachtet, aber dazu fehlten uns Kräfte und Gelegenheit.“

„Laß die Felder aus dem Spiel, Engelid! Sind’s doch nur dürftige, winzige Fleckchen. Die haben sich jetzt ausgeruht und tragen um so reichlicher. Wer weiß, ob ich sie selber noch einmal bestelle, ob ich mein Heimwesen nicht verkaufe. An jedem anderen Orte bin ich nicht fremder als hier.“

„Das ist lediglich Deine Sache,“ erklärte Engelid eintönig; „hier handelt es sich nur noch darum, daß ich Dir Dein Eigenthum übergebe und recht viel Glück für die Zukunft wünsche.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_391.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)