Seite:Die Gartenlaube (1882) 395.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Benning sagte sich triumphirend, daß dies ein merkwürdig guter Tag für ihn sei, daß ihm solch ein Fräulein, um einen Handel mit ihr abzuschließen, weit lieber sei, als die adligen, hochmütigen, raubsüchtigen Tanten aus dem Schlosse droben. Benning hatte das Eisen geschmiedet, so lange es heiß war, und ließ mit zufriedenem Lächeln sein Auge hin- und hergehen zwischen dem Fräulein und seinen Pferden.

Regine erhob sich. Benning sprang herbei, um sie zum Wagen zurückzuführen, und während sie sich auf ihn stützte, sagte sie:

„Wenn Sie aber ganz Dortenbach ‚einschlachten‘,wie man’s ja wohl nennt, was beginnen Sie dann mit dem großen schönen Hause, dem ‚Schloß‘?“

„Das,“ meinte Benning, „taugte dann freilich nur noch zu Fabrikgebäuden. Welcher Art, das müßte man abwarten. Hab’ schon an eine Torfstreufabrik gedacht; Moore haben wir ja, nicht eine halbe Stunde entfernt, und die Torfstreu hat eine große, sehr große Zukunft, Fräulein.“

Regine nickte wieder mit dem Kopfe.

„Recht so!“ sagte sie um einem eigenthümlichen, bitteren Lächeln, „machen wir eine Torfstreufabrik daraus! Sie haben Ideen, Benning; in der That, Sie haben einen einschlägigen Kopf. Und nun fahren Sie weiter!“

Sie hatte den Wagen erreicht und sich von Benning hinein heben lassen. Der Schmerz am Fuß hatte sich ein wenig gemildert; genug, daß sie im Stande war, einer zusammenhängenden Gedankenreihe zu folgen. Und die Gedanken, welche auf sie einströmten, waren ganz der Art, um einen körperlichen Schmerz darüber zu vergessen. Wie eine zornige Demüthigung hatte sie es zunächst empfunden, daß dieser Mensch da vor ihr so als ganz selbstverständlich annahm, sie, wenn sie die Erbin von Dortenbach geworden, werde das Gut sofort verschachern. Sie, die bürgerlich geborene Person, dachte er, könne unmöglich einen schönen, vornehmen Besitz würdigen, sie werde nichts Eiligeres zu thun haben, als diese prächtigen Wälder zu vernichten, diese ehrwürdigen Riesenstämme in die Sägemühle zu senden, aus den alten feudalen Thürmen Dampfschlöte zu machen. An der Stelle des Schloßgrabens, die ihrem Herzen so geweiht und heilig war, ein schmutziges Schlackenlager aufhäufen und das Ganze in schwarzen, abscheulichen Rauch und Qualm hüllen zu lassen – welch ein abscheulicher Gedanke!

Es war in der That empörend! Die Voraussetzung, daß ihre bürgerliche Art zu empfinden nichts anderes mit sich bringen könne, als die Absicht, Dortenbach zu verschachern, trieb ihr das Blut in die Schläfen. Aber nicht lange gab sie sich dieser Empörung hin. Aus dem, was Benning über die Klingholt gesagt, war es ihr wie ein Lichtblitz gekommen: erschreckend und wie mit einer freudigen Ahnung erfüllend war das Licht in ihre Seele gefallen, wie ein sonniger Schein, der durch Wolkennacht dringt und der in kurzer Frist ein volles Durchbrechen von hellem Sonnenschein verheißt. Es löste sich etwas, es hob sich eine furchtbare Last von ihrem Herzen, daß es höher und höher schlug. Bestand nicht am Ende Leonhard’s ganze Schuld darin, daß er just das Entgegengesetzte von dem, was Benning bei ihr zu ihrer bitteren Kränkung voraussetzte, von ihr angenommen? Bestand sein Verbrechen nicht einzig darin, daß er von ihr überzeugt gewesen, sie werde als Erbin anders empfinden, anders handeln, und daß er sich um die Zukunft seiner Eltern gesorgt und geängstigt für den Fall, wenn ein Anderer als sie Erbe von Dortenbach werde? Ja, er hatte nicht gewollt, daß dieses Waldheiligthum seines Vaters – der Wald kam ihr in der That jetzt wie das Heiligthum still waltender Gottheiten vor – entweiht und vernichtet, daß die Menschen, die davon lebten, brodlos, daß seine Eltern von dem ererbten Herde vertrieben würden. O, welches Licht hatten dieses Benning Reden ihr aufgesteckt – welch helles und welch erwärmendes Licht!

„Benning, wohin fahren Sie mich?“ rief sie ihn laut an.

„Zum Schlosse zurück,“ sagte Benning. „Wir werden sogleich schon die Dächer und Essen vor uns liegen sehen.“

„So schlagen Sie den nächsten Weg ein, der zur Försterei führt!“

„Zur Försterei?“ fragte der Rentmeister betroffen.

„Wie ich Ihnen sage! Die Försterin wird mich am besten zu pflegen verstehen – ich will zum Försterhause.“

„Wie Sie befehlen, gnädiges Fräulein!“ versetzte Benning mit unterwürfiger Resignation.




15.

Eine halbe Stunde später lag Regine im Zimmer der Frau Klingholt mit verbundenem Fuße auf dem Sopha – in demselben Zimmer, in welchem ihr am gestrigen Tage eine so niederschmetternde Enthüllung gemacht worden. Jetzt ließ sie sich ruhig die eifrigen Hülfebestrebungen der erregten, mit vielen Worten sie beklagenden Frau gefallen, die dabei ein Mal über das andere an’s Fenster trat, um zu schauen, ob Leonhard noch nicht komme; er war auf dem Schlosse, wo ihn entweder Damian’s Verwundung oder der Zustand des alten Herrn zurückhalten mochte. Edwin war gleich nach Reginens Ankunft abgesandt worden, um ihn zu rufen.

„Endlich! Da kommen Beide!“ sagte die Försterin – und gleich darauf trat Leonhard mit hastigem Schritte in’s Zimmer.

„Sie – zurück – und verwundetet?!“ rief er, den Hut zur Seite werfend, „was ist geschehen, Regine?“

„Ich bin verletzt,“ sagte sie mit einem großen fragenden Blicke und leise errötend zu ihm aufschauend; „wie Sie sehen, gezwungen, nun doch – zu Ihnen zurückzukehren. Wollen Sie mir helfen?“

Er schien Zeit zu bedürfen, sich zu fassen. Spannung in jeder seiner Mienen, sah er sie an. Dann beugte er sich nieder, um die Verletzung zu untersuchen. Seine Mutter verließ discret den Raum.

„Sie sehen,“ fuhr Regine mit einem schwachen Versuch, den Ton des Scherzes anzunehmen, fort, „am Ende flüchtet sich doch Alles zu Ihnen, dem Helfer Aller.“

Er sah wieder mit derselben Spannung in ihre bewegten Züge, die nun so, ihm Auge in Auge gegenüber, eine sich heftig steigernde Erregung verriethen – weshalb sprach er auch nicht – weshalb sah er nur so fragend, so gar nicht die Situation und was in ihr vorging begreifend, in ihr Auge? Hätte er denn nicht Alles errathen, nicht reden, nicht ihr das Reden ersparen können? Nichts als: „Der Knöchel ist verrenkt“ – zwang er nach einer Pause sich zu sagen – „es thut mir leid, daß ich Ihnen einen Schmerz bereiten muß, ihn wieder einzurichten.“

„Ich Aermste!“ versetzte sie mit wehmütigem Lächeln; „als ob mir nicht heute schon die verstauchte Vernunft schmerzlich genug eingerenkt wäre!“

Auch jetzt schien er noch nicht verstehen zu wollen. Es war grausam von ihm. Grausam auch erfaßte er ihren Fuß und – ihr einen leisen Aufschrei des Schmerzes erpressend, vollführte er mit seiner wunderbaren Geschicklichkeit rasch die nothwendige Operation.

Sie legte dann, bleich geworden und die Augen schließend, den schönen Kopf, der unter der Wirkung des schwindenden Schmerzes einen eigenthümlich idealen Ausdruck gewonnen, auf die Sophalehne zurück. Leonhard blickte tiefbewegt auf diese schönen Züge, welche eine so magische Macht auf ihn übten. Er vergaß darüber für eine Weile, was nun weiter geschehen mußte. Dann, wie sich besinnend, holte er es rasch nach.

Als mit Hülfe der von der Försterin schon früher herbeigebrachten Dinge der Verband gelegt worden war, erhob Regine das Haupt, und mit dem weichsten Tone ihrer Stimme sagte sie:

„Nun ist’s vorüber. Nicht wahr, Leonhard, Sie – wir werden uns jetzt nicht mehr wehe thun – nie mehr!“ Und ihm die Hand hinstreckend, fügte sie hinzu: „Sie werden auch keine schlimmere Buße von mir verlangen, als diese hier; ich bekenne offen, gedemüthigt von Allem, was mir widerfahren ist, daß mein eigensinniger Wille gebrochen ist. Und daß es plötzlich über mich gekommen ist, das Gefühl, daß ich Ihnen Unrecht gethan –“

Er nahm ihre Hand; er küßte sie – aber noch immer sprach er nicht – noch immer sah er sie ernst und fragend an – noch immer zwang er sie, zu sprechen, und Alles, Alles zu sagen.

„Ja,“ fuhr sie deshalb fort, „wenn ich es denn erklären muß – muß ich es? – ich fühle, Sie hatten Recht, als Sie nicht wollten, daß ich mein Erbrecht aufgebe, und fest dabei blieben. Sie hatten völlig Recht. Sie dachten dabei nicht an sich, Sie dachten an Ihre Eltern. War es nicht so? O, sagen Sie mir, daß es so war!“

„Gewiß, Regine, so war es. Wenn Sie bei Ihrem Entschlusse beharrten, war die Zeit, welche meine Eltern noch zu verleben haben, nur ein bitterer Leidenskelch. Und viele andere Menschen wurden unglücklich dadurch. Sie durften es nicht.“

„Aber weshalb sprachen Sie das Alles nie aus. … Hätte ich Ihnen zürnen können, wenn Sie mir gesagt hätten: Du denkst an deine Eltern, welche todt sind, und willst ihren Willen ehren; ich denke

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_395.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)