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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Neben diesen Bestrebungen auf dem Gebiete der praktischen Politik war auch die theoretische Behandlung des Themas einhergegangen. Die Literatur hatte sich des Stoffes bereits vielfach bemächtigt. Die erste schriftliche Bearbeitung fällt einem Franzosen, dem Abbé de Saint Pierre, zu. Seine im Jahre 1713 erschienene Broschüre: „Project de Paix perpetuelle entre les potentas de l’Europe“ („Plan eines ewigen Friedens unter den Herrschern Europas“) erregte sensationelles Aufsehen und wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt. Saint Pierre gründete die Herstellung des ewigen Friedens einfach auf das Einverständnis der europäischen Höfe und Cabinete.

Nach dieser Ertheilung des literarischen Bürgerrechts kam der Gedanke wiederholt und in der verschiedensten Weise zum Ausdruck, so in den Schriften Rousseau’s und später durch Herder in dessen Briefen zur Beförderung der Humanität.

Am epochemachendsten und ihre Folgerungen bis weit hinein in die Gegenwart tragend war aber die bereits erwähnte Abhandlung Kant’s: „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf.“ Das Jahr der Entstehung der Schrift (1795) fällt mit dem des Baseler Friedens zusammen und macht die Annahme nicht unwahrscheinlich, daß dieser Friedensschluß, einer der traurigsten unter denen, welche die deutsche Geschichte zu verzeichnen hat, dem greisen Philosophen die Veranlassung gab, die tiefgehende Frage näher zu erörtern. Nach diesem Friedensschlusse zwischen Preußen und dem republikanischen Frankreich blieb das linke Rheinufer im Besitze der siegreichen französischen Feldherren, und ein geheimer Artikel nahm bereits die förmliche Abtretung in Aussicht. Er zerriß durch das einseitige Vorgehen Preußens Deutschland in zwei Hälften; das Reich als solches war factisch aus einander gefallen, noch ehe der Friede von Luneville seine Auflösung formell sanctionirte, und dieser Friede, sagte man sich allgemein, war nur die Etappenstation für neue Kriege. Der Kantische Entwurf ging aus der allgemeinen, weltschmerzlichen Stimmung hervor, die sich schon in der ironisirenden Vorrede aussprach, mit welcher der große Denker die Schrift einleitete, und in der Art, wie er das Ganze in das Gewand eines Friedensinstrumentes mit seinen Präliminär-, Definitiv- und Zusatzartikeln einkleidete.

Als erstes Bedingniß für die Erreichung des angestrebten Zweckes stellt Kant die Nothwendigkeit auf, daß alle Staaten eine republikanische Verfassung haben. Darunter versteht er nicht Republiken im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern Staaten mit repräsentativer Verfassung, also auch constitutionelle Monarchien im heutigen Sinne.

„Wenn,“ schreibt er, „die Beistimmung der Staatsbürger dazu erforderlich wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle oder nicht, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müssen, sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.“

Als die zweite Voraussetzung galt Kant der Zusammentritt dieser freien Staaten zu einem Völkerbunde. Die Staaten pflegen ihr Recht nicht im Wege des Processes, sondern im Wege des Krieges zu verfolgen, durch den dem Kriege folgenden Frieden wird aber das Recht nicht entschieden, da ja jeder der Entscheidenden Richter in eigener Sache ist; es werde hierdurch zwar dem Kriege, aber nicht dem Kriegszustande ein Ende bereitet, gleichwohl aber wird von der im Staate herrschenden, moralischen, gesetzgebenden Gewalt der Krieg verdammt und der Friede zur Pflicht gemacht; folglich, sagt Kant, muß an die Stelle des bloßen Friedensvertrages der Friedensbund treten, der nicht blos den einen, sondern jeden Krieg zu beenden strebt. Die Ausführbarkeit dieser Idee scheint dem Philosophen vollkommen sicher. Er führt die logische Gedankenreihe in folgender Weise weiter: so gut wie der einzelne Staat zu seinen Gliedern sagt, es soll unter uns kein Krieg sein, müsse er auch sagen können, es soll kein Krieg zwischen mir und andern Staaten sein, obgleich ich keine oberste gesetzgebende Gewalt anerkenne, die mir Richter ist oder der ich Richter bin. Es soll, nach Kant, dieser Gedanke verwirklicht werden, indem an die Stelle dieser zwingenden richterlichen Gewalt der bürgerliche Gesellschaftsbund, der freie Föderalismus tritt, den die Vernunft schon mit dem Begriffe des Völkerrechts nothwendig verbinden müsse.

Richtiger, meint er, würde freilich die Vereinigung aller Nationen in einem Staate, die Gründung einer Weltrepublik, die nach und nach die ganze Erde umfaßte, die Frage lösen. Eine solche Ordnung der Dinge werde aber von den um ihre Selbstständigkeit besorgten Staaten verworfen. Folglich habe der Völlerbund dafür einzutreten.

Ferner verlangt Kant, daß jeder Fremdling das Recht besitze, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern Staates wegen nicht feindselig behandelt zu werden; dieses Recht würde im Gegensatze zu dem gewöhnlichen Staatsbürgerrecht das Weltbürgerrecht bilden.

Wenn nun aber, rechnet Kant weiter, die Gemeinschaft unter den Völkern einmal so weit vorgeschritten sein wird, daß die Rechtsverletzung an einem Platze der Erde an allen gefühlt wird, dann wird die Idee eines Weltbürgerrechts als eine nothwendige Ergänzung zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt aufgefaßt werden müssen und wird auch die allgemeinste Anerkennung dieses Rechtes fördern helfen. Durch den Sieg derartiger aufklärender und veredelnder Ideen wird aber der Menschheit der Weg zur Erreichung des ewigen Friedens geebnet.

Aber wo ist die Gewähr für die Erreichung und Erhaltung dieses Endzustandes zu suchen?

Diese Gewähr, antwortet Kant, leistet keine Geringere als die große Künstlerin Natur. Aus dem mechanischen Laufe der Natur leuchtet überall Zweckmäßigkeit hervor. Sie will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte, und wenn auch die Natur auf der einen Seite die Absonderung der Völker begünstigt und durch die Verschiedenheit der Sprache und Religion unterhält, so werden die Völker doch bei anwachsender Cultur und der allmählichen Annäherung der Menschen zu einem Einverständnisse in ihren Grundsätzen gelangen, welches nicht durch die gegenseitige Schwächung, sondern durch das Gleichgewicht der Kräfte den Zustand eines ewigen Friedens herbeiführt. Ja, sogar der scheinbar größte Feind alles Friedlichen, der menschliche Egoismus, wird zuletzt zum besten Förderer des jenen glücklichen Zustand sichernden Weltbürgerthums. Er weckt insbesondere unter den Völkern den Handelsgeist, welcher des Friedens bedarf.

In einem Anhange zu seiner Abhandlung sucht sich Kant seinem Ziele noch auf rein philosophischem. Wege zu nähern, und beschließt also seine Folgerungen: „Besteht die gegründete Hoffnung, daß der Zustand eines öffentlichen Rechts, obgleich nur in einer in’s Unendliche fortschreitenden Annäherung, verwirklicht wird, so ist der ewige Friede, der auf die bisher fälschlich sogenannten Friedensschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) folgt, keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach und nach gelöst, ihrem Ziele beständig näher kommt.“

Die Kant’sche Schrift wurde zum Ausgangspunkte für alle nachherigen Kundgebungen und Bestrebungen auf dem von ihr durchforschten Gebiete. Von einzelnen Personen, wie von ganzen Corporationen wurde die Idee weiter cultivirt. In dem fünften und sechsten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts trat namentlich eine etwas abenteuerlich geartete Persönlichkeit für dieselbe in die Schranken, der amerikanische Friedensapostel Elihu Burritt. Ein „gelehrter Grobschmied“, wie ihn seine Landsleute bezeichnen, trug er in seiner schlichten Seele den Zug eines tiefen religiösen Empfindens, das sich jedoch nicht in frömmelnder Selbstbetrachtung gefiel, sondern nach der Verwirklichung humanistischer Ziele rang. Abschaffung der Sclaverei und Verbrüderung aller Völker war das große Lebensziel des kleinen Mannes. Hammer und Amboß niederlegend, durchwanderte er, die Bibel unter dem Arme und aus ihr die Beweise für seine Lehrsätze schöpfend, ein Zweiter Bernhard von Clairvaux, die Vereinigten Staaten. Und als er dort fertig war, fuhr er über den Ocean und setzte in England das Werk der Friedensbekehrung fort. Seine „Oelblätter des Friedens“, kurze, kernige Ansprachen, sandte er in alle Zeitungen der denkenden Welt, wobei ihm seine außerordentliche Sprachkenntniß zu Hülfe kam.

In England fand er besonders in dem Nationalökonomen Richard Cobden dem „Vater des Freihandels“, einen Gesinnungsgenossen. Beide regten in Verbindung mit dem Belgier Dupretiaux die Bildung der Gesellschaft der Friedensfreunde an, welche wiederholt ihre Tagessatzungen abhielt, zuerst 1848 in Brüssel, dann in Paris, Frankfurt am Main, London etc. Die lange Friedenspause schien dem dort ausgesprochenen Wunsch, daß die Staaten sich zu dem gemeinsamen Beschlusse verbinden sollten, nie mehr sich zu bekriegen, fast der Verwirklichung nahe bringen zu wollen. Cobden, ein einflußreiches Parlamentsmitglied, bekämpfte im Jahre 1853 daher die Interventionspolitik Palmerston’s zu Gunsten der Türkei auf’s Heftigste und erzielte auch glücklich ein Mißtrauensvotum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_432.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)