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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Drei Goethe-Lieder.[1]


1.0 Märzmorgen.

Wolkenloser,
Erwachst du schon?
Alles ist Farbe,
Duft und Ton,
Seit die Erde
Dem Morgenroth
Stirn und Wange
Zum Kusse bot.

Harrest du meiner,
Junge Gluth,
Wo im Schimmer
Die Höhe ruht?
Ja, mein Hügel,
Ich folge dir;
Keine Blume noch
Schenkst du mir;

Aber Eine,
Die nenn’ ich mein:
Himmlisches Mädchen,
Ich denke dein.
Muse, Geliebte,
Wie nenn’ ich dich?
Seele, Leben,
Erfülle mich!

Segne nur sie,
Du erstes Grün!
Das ist Fülle
Für alles Blüh’n;
Tränke sie ganz
Mit Einem Zug,
Und die Erde
Hat Lenz genug.


2.0 Bei seinem ersten Lied.

Wie duften am Raine
Keim und Sproß,
Draus ihm Fülle
Des Wesens floß,
Das er im ersten
Lied ergoß!

Von Werderufen
Aus jeder Kluft
Wie Festgewoge
Erfüllt’s die Luft,
Wie Geisterstimmen
Den Sonnenduft.

Selber zwischen
Der Dorne Haft
Hat sich treibender
Bildung Kraft
Aus dem Gestrüpp
Emporgerafft.

Unter den Tritten
Wie quillst du froh,
Schwellendes Grün!
Wo strömst du, wo,
Athem der Erde,
Und duftest so?

Bist du der Segen
In Keim und Sproß,
Draus ihm Fülle
Des Wesens floß,
Das er im ersten
Lied ergoß?


3.0 Sesenheim.

Was in Liedern die Welt bewegt,
Ländliche Lüfte, ihr habt’s erregt,

Sah des liebenden Jünglings Glüh’n
Die Geliebte wie Frühroth blüh’n,

Wenn, in ihre Gestalt versunken,
Wärmstes Leben der Gast getrunken,

Und die Pulse des Busens trafen
Ihm die Stirn, wo die Genien schlafen,

Daß ihm’s rauschte von ihrem Rocken,
Wie Gesänge und Ruhmesglocken.

Rosige Finger, was mögt ihr spinnen,
Heldinnen oder Königinnen,

Wenn dem ahnenden jungen Blut
Solch ein Starker im Arme ruht?

Denkt ja Kronen und Kränze nur
Ewig ein schönes Kind der Flur,

Und in Paläste zum Fürstenweib
Träumt sich in Hütten der süße Leib.

Spinne, sinne Gespinnst und Traum –
Süß ist selber der Täuschung Schaum.

Wär’s auch sterbend, Du hast gesiegt,
Diesen König im Arm gewiegt.

Und ihr Lüfte, verkündet nur,
Daß ein seliges Kind der Flur

Unvergeßliches Schicksal spann,
Als er in ihren Armen sann.

J. G. Fischer.




Der Letzte der drei Sturen.

Ein Capitel aus der Geschichte Schwedens.

Es ist nicht blos das germanische Blut, das mit dem Reiz der Stammverwandtschaft unsere Theilnahme für die Völker der skandinavischen Halbinsel erwärmt; sagt uns doch die Geschichte nur allzu deutlich, daß die Grade der Stammverwandtschaft, die uns mit unseren nordischen Nachbarn verbinden sollten, so wenig wie die mit den Holländern, Vlamingen und Schweizern uns verbindenden, geeignet waren, die bittersten Feindseligkeiten zwischen ihnen und den Deutschen des „Reichs“ zu verhindern. Uns zieht mit gleicher Macht, wie das nicht zu schwächende Gefühl des Stolzes auf den germanischen Geist der nordischen Völker, die Erhabenheit und Großartigkeit an, in welcher dieser Geist, wie von der Natur des Landes erzogen, dort in einzelnen Gestalten und in Thaten der Gesammtheit zum Ausdruck gekommen ist. Die gewaltige Phantasie, welche die Erscheinungen der nordischen Götterwelt, den Inhalt der Edda, erzeugt hat und in Sage und Dichtung waltet, drang mit ihrem Feuer auch in die Eigenschaften der Volksseele und vor Allem in die Leidenschaften, welche das Ungewöhnliche im Völkerleben ermöglichen.

Dieses Ungewöhnliche und häufig Großartige des menschlichen Denkens und Handelns tritt in der Geschichte der drei germanischen Völker des Nordens uns so anheimelnd und anziehend entgegen. Und auch dort, wie bei uns, sind es die trübsten Zeiten, aus welchen die größten Charakterbilder hervorragen.

Zu diesen trübsten Zeiten für die nordischen Reiche, besonders aber für Schweden, gehörten die 127 Jahre (von 1397 bis 1524), während welcher die Calmarische Union in das Gegentheil ihrer ursprünglichen Bestimmung umschlug. Als nämlich der letzte Schwedenkönig aus dem Geschlecht der Folkunger 1374 bei Bergen ertrunken und sein Gegenkönig Albrecht von Mecklenburg bei den „Großen“ des Reichs in Ungnade verfallen war, boten diese der Wittwe des Königs Hakon von Norwegen, welche, als Tochter des Königs Waldemar von Dänemark, nach dem Tode ihres Vaters, ihres Gatten und ihres Sohnes bereits Königin von Norwegen und Dänemark war, auch die schwedische Krone an, und Margaretha, ein zum Herrschen geborenes Weib, die sich den Namen der „Semiramis des Nordens“ erwarb, setzte auch diese dritte Krone auf ihr schönes Haupt.

Was mußte dem Wunsche der Königin und dem Vortheil der drei Staaten näher liegen, als eine feste Vereinigung derselben zu einer großen Macht? Diese sollte nun durch jene Union bewirkt werden, welche zu Calmar im Juli 1397, natürlich wie alle fürstlichen Verträge, „für ewige Zeiten“ geschlossen wurde. Wäre dieser Beschluß aus einem Entschluß der Völker hervorgegangen, so möchte ihm vielleicht eine friedlichere Dauer vergönnt gewesen sein. Er war aber ein Ausfluß der Herrschgier und der Selbstsucht der „Großen“, welche schlechten Eigenschaften, durch den Stammesstolz der germanischen Völker unterstützt, der Zwietracht und dem Kampfe Thür und Thor öffneten. Denn wie in Dänemark und Norwegen, so bestanden im Mittelalter auch in Schweden als politische Factoren ein freier Bauernstand, der Adel, die katholische Geistlichkeit und das Königthum. Die in fest abgegrenztem Eigenthum sitzenden, willenstüchtigen, schwertbereiten, eifersüchtig über altem Herkommen und alten Freiheiten wachenden Erbbauern wogen so schwer wie der Adel und die im Wesentlichen zu ihm stimmende Geistlichkeit – die höchsten geistlichen Würden fielen ja naturgemäß Mitgliedern der edelsten Geschlechter zu. Was das Königthum betrifft, so war es Wahlkönigthum, wurde indeß für gewöhnlich als erbliches behandelt. Wirkliche Herrscher waren oft doch nur jene Reichsverweser, welche an der Spitze jedes einzelnen Reiches mehr die eigene Nation gegen den Fürsten, als diesen gegen die Nation vertraten. Letzteres aber wurde zur Tugend und mußte als patriotische That gepriesen werden, seitdem dänische Könige als Unionsfürsten die Regierung auch in Schweden behaupteten und nicht selten dort wie in einem eroberten Lande verfuhren. Da erhoben die Reichsverweser sich zu Reichs- und Volks-Erlösern von dem fremden Druck; als solche aber glänzten in

  1. Der Dichter nennt diese Strophen „Goethe-Lieder“, weil sie (an Goethe’s fünfzigjähriger Todtenfeier zu Stuttgart gesprochen) sich in Ton und Stil der Dichtweise des Altmeisters von Weimar anschließen und zum Theil (2 und 3) auch an ihn richten.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_447.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)