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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Kopf oben behielt, um den Widerstand gegen die Dänen weiter zu organisiren. Während die Haufen im Lande sich sammelten und führerlos wieder zerstreuten, während der Rath einen elftägigen Waffenstillstand benutzte, um zu Upsala, der Beredsamkeit Gustav Trolle’s weichend, seinen Frieden mit Christian zu machen, befestigte sie Stockholm, zog Lübecker Schiffe und Truppen an sich und ließ die Dänen herankommen. Parlamentäre wurden mit Schüssen empfangen.

Aus Mangel an Lebensmitteln mußten die Belagerer sich auf eine möglichst geringe Anzahl reduciren. Im Mai kam Christian selbst herüber; er und seine Anhänger boten Alles aus, um den Namen König Christian im Lande populär zu machen, den Guerillakrieg der Bauern zu beschwichtigen, die Uebergabe von Stockholm zu erreichen. Bei einer Gesandtschaft, die er in die Stadt schickte, war selbst der alte Hemming Gadd Fürsprecher für ihn.

Endlich gab Christina nach, gegen den Willen der Bürgerschaft. Der König entsagte feierlich allen Rachegedanken, versprach nach den Bestimmungen der Calmarer Union zu regieren, verbürgte Christina zwei finnische Besitzungen und den ungestörten Besitz der Güter ihres Gatten; im September zog er in Stockholm ein und bekräftigte seine Versprechungen bei der Krönung mit Eid und Abendmahl.

Wie er diese Versprechungen gehalten, ist bekannt. Jener 8. November, der dritte Tag der auf die Krönung folgenden Feierlichtkeiten, ist in der Geschichte als das „Stockholmer Blutbad“ verzeichnet. Ein ehemaliger Barbiergesell, der als Verwandter der Dyveke eine Rolle als Rathgeber des Königs übernommen, soll den Mordgedanken angeregt haben, während der Erzbischof Gustav Trolle mit einer Anklage gegen seine einstigen Richter den Vorwand geben mußte. Christina Gyllenstjerna wies zur Entlastung das Document vor, in welchem einstimmig die Stände mit Unterschrift den Erzbischof abgesetzt — damit aber lieferte sie nur die Namen der Opfer, welche als „Empörer wider die Kirche“, sonach als „Ketzer“ ergriffen und dem Henker überliefert wurden. Als vierundzwanzig Leichen verbrannt wurden, riß man die Ueberreste Sten Sture’s nebst denen eines verstorbenen Kindes von ihm aus der Gruft in der Franziskanerkirche und warf sie mit auf den Scheiterhaufen. Und nun zog das Blutgericht in das Land hinaus; auch Hemming Gadd fiel ihm in die Hände. Ueber sechshundert Menschen, die Vornehmsten und Besten, weil sie Schweden mit Leib und Seele waren, fielen der Rache des Dänen zum Opfer.

Christina mit den Kindern wurde nebst anderen Edelfrauen gefangen nach Dänemark geführt. Der Friede zu Malmö 1523 gab ihr die Freiheit wieder. Mit ihr kehrten die Kinder Sten Sture’s zurück, sein Sohn Svante Sture zu seinem Unglück; denn Erich der Vierzehnte, der Sohn Gustav Wasa’s, opferte ihn einem jener Wahnsinnsanfälle, welche nur die Bauerntochter und Königin Katharina Mans zu beschwören vermochte: er ward im Jahre 1567 nebst zwei Söhnen hingerichtet.

König Christian’s treulose That war auch seine letzte auf schwedischem Boden gewesen; er ist seitdem nie wieder nach Schweden, von da an aber auch Schweden nie wieder unter Dänemark gekommen. Gustav Wasa, der einst als Geisel Geraubte, wurde der Rächer dieser schweren Zeit und machte der Union von Calmar durch den Malmöer Receß von 1524 auch für „ewige Zeiten“ ein Ende.




Ein getreues Herze wissen!

Novelette von Anton Ohorn.

Der Frühling ist gekommen. An dem Bache im Thal wiegen sich weiße Anemonen auf schlankem Stengel, und Himmelsschlüssel mit gelbem Glast läuten dazwischen mit den kleinen, freundlichen Blüthenglocken. Die alten Weiden tragen silbergraue Kätzchen an den tief herabhängenden Zweigen, und kleine Knaben und Mädchen brechen unter Lachen und Singen die für sie erreichbare Ruthen ab für den kommenden Palmsonntag. Die Luft geht lau durch die Thalung; der Himmel ist klar und der goldene Sonnenglanz sickert frühlingswarm nieder. Am Abhang der Hügelkette liegt die kleine Stadt mit weißen Häusern und rothen Dächern und ein grauer Kirchthurm sieht drüben empor, seltsam geformt wie eine unförmige Knopper und mit blinkendem Kreuz.

Das Thal herauf kommt ein Wandersmann, jung, aber mit bleichen Wangen. Die Wandertasche hängt ihm zur Seite; er stützt sich auf den kräftigen Stock, und wie er nun stehen bleibt, hält er die weiße Hand über die Augen, um sie gegen das Sonnenlicht zu schützen, und blickt nach der Stadt. Sein Gewand ist dunkel und eigentlich wenig modisch, auf dem Kopfe trägt er einen breitkrämpigen Hut und um den Hals das Collare, das Abzeichen der katholischen Priesterschaft.

Wie er an den Knaben und Mädchen vorbeischreitet, grüßen ihn Alle mit lautem: „Gelobet sei Jesus Christ!“, und die Mädchen kommen heran, ihm die Hände zu küssen, was er beinahe ängstlich abwehrt.

Auf dem weißen mit Bäumen besetzten Fußwege, der nach der Stadt leitet, geht ein Menschenpaar ihm entgegen: ein alter Herr mit weißen Haaren, aber frischem Gesicht, mit dem strammen festen Gang des ehemaligen Militärs, Arm in Arm mit einem Mädchen in lichten Gewändern. Der junge Wanderer erkannte sie Beide, den alten Rittmeister Günther, der im Städtchen oben die freundliche Villa mit dem großen Garten beim Peters-Thor besitzt, bei dem er häufig aus- und eingegangen, bevor er ein Ordensmann geworden, und dessen Tochter Eva, seine Jugendgespielin.

Sie waren Nachbarskinder und hatten mit einander gelacht und geweint nach Kinderart und hatten Mann und Frau gespielt, im Sommer Blumen gepflückt und Kränze gewunden, im Winter mit Schneeballen nach einander geworfen, bis die Gesichter frostig angehaucht und die Hände glühend wurden. Seitdem waren Jahre in’s Land gegangen; er hatte in einer entfernten Stadt die Schule besucht und nur während der Ferien Eva gesehen und sich jedesmal gewundert, wie sie größer und schöner geworden war und scheuer und fremder zugleich. Dann war er nach eigener freier Wahl in den Orden des heiligen Benedict eingetreten, dessen Jünger seine Lehrer an dem Lyceum gewesen, und kam nun nach dreijähriger Abwesenheit zum ersten Male und als „geistlicher Herr“ nach der Heimath.

Das schlanke schöne Mädchen mit den sammetnen, frischen Wangen, den großen Rehaugen, die nach ihm herschauten, und den dunklen, glänzenden Haaren war Eva, und es gab dem jungen Cleriker einen seltsamen Stich im Herzen, als er sich dies sagte, und gleich darauf ärgerte er sich über seine eigene Erregung und wollte, sich selbst zu strafen, mit stummem Gruße vorübergehen. Wie er aber den breiten Hut zog und seine weiße, leuchtende Stirn leicht gegen das Paar verneigte, rief der Rittmeister:

„Holla, Reinhold, Gott willkommen ! Wir haben Sie erst für morgen erwartet.“

Er streckte ihm schon die Hand entgegen und sah dem jungen Wanderer so freundlich und so tief in die Augen, daß dieser nicht wortlos vorübergehen konnte und erwiderte:

„Ich wollte auch morgen erst kommen, aber die Sehnsucht ließ mich nicht rasten, und ich gedachte, meine Eltern zu überraschen. — Es ist Ihnen doch immer wohl gegangen, Herr Rittmeister?“

„Danke, danke! Eva läßt es mir ja an nichts fehlen.“

Der junge Theologe wollte eigentlich die so Gepriesene, die unmittelbar neben ihm stand, ignoriren. Nun mußte er sich ihr doch zuwenden; denn sie streckte ihm mit dem unbefangensten Lächeln die schlanke behandschuhte Hand entgegen, und ehe er noch überlegen konnte, hatte er seine Rechte mit derselben vereinigt. Das war nur eine Secunde lang gewese; dann flog eine brennende Gluth über sein bleiches Gesicht, und mit schweigendem Gruße wollte er weiter gehen.

„Heute sollen Sie uns entkommen,“ sagte der alte Soldat; „denn Vater und Mutter wollen Sie auch genießen, aber — nicht wahr? — morgen Mittag sind Sie unser Gast.“

Das klang so militärisch kurz, und es wäre wohl auch unhöflich gewesen, wenn er hätte ablehnen wollen. Er nahm dankend an, und als ob der Boden ihm unter den Sohlen brenne, eilte er vorwärts, während seine Lippen halblaut das Wort der Regel murmelten:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_451.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)