Seite:Die Gartenlaube (1882) 468.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Grad der Feinheit des Metalls festgestellt hat, wird der Betrag ausbezahlt oder auf Rechnung gestellt.

Die Herren, welche im Bullion-Office die Schätze fremder Welttheile in Empfang nehmen und ganz so wie andere Sterbliche aussehen, sind Kaufleute und Agenten, welche die Edelmetalle entweder auf eigene Rechnung oder gegen Provision importiren. Selbst große Häuser können das Gold und Silber nur mit Schwierigkeiten beziehen und verschicken; denn erstens erfordert dieses Geschäft eine eigenthümliche Waaren- und Marktkenntniß, und außerdem muß der Händler Lagerräume besitzen; auch setzt das Verpacken und Versenden der Edelmetalle Leute voraus, welche sich berufsmäßig damit beschäftigen. Es giebt Kaufleute in der City, die Millionen erhalten und versenden, ohne einen Pfennig davon zu Gesicht zu bekommen. Daß die Edelmetallagenten im Rufe makelloser Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit stehen müssen, ist nach dem Vorhergehenden kaum erwähnenswerth.

Soviel über die Producenten und Händler! Nun zu den Consumenten!

Die Edelmetalle werden bekanntlich zu Schmucksachen verarbeitet und dienen, geprägt und in bestimmten Gewichtsgrößen, als Geld. Es ist leicht zu.verstehen, daß, wenn der Wohlstand eines Landes in gleichem Schritte mit seiner Bevölkerung wächst, der Bedarf nach Schmucksachen steigen wird. Auch eine größere Menge von Käufen und Verkäufen wird abzuschließen sein, was größere Mengen Geld nöthig macht. Dazu kommt, daß sich Geld und Schmucksachen allmählich abnutzen und durch neue Schmucksachen und neue Geldstücke ersetzt werden müssen. Daher ist in normalen Zeiten fortwährender Bedarf nach Edelmetallen vorhanden. Man folgere aber daraus nicht, daß der größte Theil des in London angekauften Silbers in Fabriken und Münzen wandere! Es dient hauptsächlich zu internationalen Zahlungen.

Wenn der Bäcker A. dem Fleischer B. das ganze Jahr hindurch Brod und wenn B. dem A. während derselben Zeit Fleisch liefert und am 31. December Beide das Guthaben mit einander vergleichen, mögen die Beträge gleich hoch sein. Ist diesem Falle haben Beide fortwährend Geschäfte mit einander gemacht, ohne daß ein Geldstück hin- oder hergewandert wäre. Sind aber die Forderungen von verschiedener Höhe, so muß derjenige, welcher die geringeren Forderungen hat, dem Anderen die Differenz ausbezahlen. Nun stehen aber ganze Nationen in denselben Schuldverhältnissen zu einander, wie Individuen.

Wenn ein Land dem andern z. B. Kohle, Baumwolle und Tuch liefert und das andere z. B. nicht so viel Vieh, Getreide, Wein etc. exportiren kann, daß die Rechnung aufgeht, so muß von dem letzteren die Differenz in baarem Gelde ausgeglichen werden. In diesen internationalen Zahlungen wird das Edelmetall in Barrenform gewählt; denn die Münzen eines Landes haben nur in seltenen Fällen in fremden Ländern Cours. Es ist also nöthig, sie einzuschmelzen und umzuprägen, bevor man sich ihrer zu Zahlungen bedienen kann. Zweitens nutzt sich das Edelmetall in Barrenform nicht so leicht wie in Münzform ab, weil es in jener Gestalt eine geringere Oberfläche als in dieser hat.

In den ersten siebenzig Jahren unseres Jahrhunderts wurde das Silber sehr viel zu diesen internationalen Transactionen verwandt. Damals hatten Deutschland und die skandinavischen Reiche die Silberwährung, und die Staaten des lateinischen Münzbundes (Frankreich, Italien, Schweiz, Belgien, Spanien, Rumänien und Griechenland) waren Anhänger der Doppelwährung. Es bestand ein lebhafter Verkehr in Silber zwischen Hamburg und London. Seitdem jedoch Deutschland die Goldwährung einführte, die skandinavischen Reiche unserem Beispiele mit Entschiedenheit, Holland mit einiger Lauheit folgten und der lateinische Münzbund die Prägung des Silbers beschränkte, sind nur noch Indien, China und Japan treue Abnehmer des entthronten Metalles. Es ist der Mühe wert, bei den Ursachen des beständigen Silberabflusses nach Indien, der sicher schon ist den Zeiten der Phönicier und Römer beträchtlich war, einen Augenblick zu verweilen.

Es lebt dort eine Bevölkerung von etwa 200 Millionen Menschen, die zu ihren Einkäufen eine Menge kleiner Silbermünzen bedarf und eine ausgeprägte Neigung zu Schmucksachen aus Edelmetall besitzt. Die ärmeren, zahlreichen Classen Indiens tragen Silberschmuck, die reicheren Goldschmuck. Die große Mehrheit der Bewohner Indiens hat zudem die schädliche Gewohnheit, das Geld, welches sie nicht unmittelbar gebrauchen, zu verbergen und es so dem Verkehr zu entziehen. Es ist somit leicht verständlich, daß ein fortwährender Zufluß von Edelmetall in dieses Land nothwendig wird, obwohl es ungeheure Mengen von Edelmetall in Schmuck- und Geldform besitzt. Man ist nur zu leicht geneigt, diese Sitten barbarisch zu finden, und bedenkt nicht, daß die unteren und mittleren Classen eines hochcivilisirten Landes, nämlich Italiens, dieselbe Vorliebe für Schmucksachen und Bergung von Geld an den Tag legen.

Als die italienische Regierung vor nicht langer Zeit eine Anleihe abschloß, um Metallgeld an die Stelle seines entwertheten Papiergeldes zu setzen, wurde von einem Kenner Italiens, dem belgischen Nationalökonomen Emile de Lavéleye, behauptet, daß Italiens dem Verkehr entzogene Geldsummen und seine überflüssigen Schmucksachen zur Deckung der Anleihe vollauf genügen würden. Die Millionen Franken, welche das schöne Land jährlich seinen Gläubigern an Zinsen zu bezahlen hat, müssen daher als eine Ausgabe für die Befriedigung von unproductivem Vergnügen betrachtet werden.

Dem Bedürfnisse der Indier nach Edelmetallen kommt die Natur nicht durch Gewährung von Silberminen, sondern durch die Verleihung anderer Vortheile entgegen. Das Volk ist im Ganzen noch bedürfnißlos; wenigstens ist dort nur eine schwache Nachfrage nach Producten des Auslandes vorhanden. Dagegen begehrt Europa lebhaft seine Producte, z. B. Thee, Reis, Baumwolle. Die europäische Nationen können bei der Bedürfnißlosigkeit der Indier ihre Schulden nicht in Waaren berichtigen; sie müssen sie folglich mit Edelmetallen bezahlen. Aus diesem Grunde verlassen jährlich so viele Silberbarren den Londoner Hafen und verschwinden auf Nimmerwiedersehen in Calcutta, Bombay und Madras. Der stärkste Silberabfluß nach Ostindien wurde zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges verspürt, da der größte Theil alles Baumwollenbedarfs in jenen Jahren von Indien gedeckt werden mußte. Sobald in Indien eine schlechte Ernte eintritt, sobald europäisches Capital dort nutzbringend angelegt wird, verlangsamst sich der Silberabfluß natürlich. Dies war begreiflicherweise im Anfange der siebenziger Jahre der Fall; Indien litt damals unter einer Reihe schlechter Ernten.

Wer uns bisher gefolgt ist, wird leicht verstehen, warum Silber bald reichlich, bald spärlich an den Londoner Silbermarkt strömt. Wenn die Gruben einen großen Ertrag bei geringer Mühe oder geringen Productionskosten liefern, wenn Silber nicht stark begehrt wird, dann ist es in großen Mengen vorhanden und darum billig. Fangen aber die Silbergruben an nachzulassen, wird im Welthaushalt das Bedürfniß nach Silber lebhaft, dann schmelzen die Vorräthe dahin und die Preise des Silbers steigen. Von 1862 bis 1872 schwankte der Preis einer Unze (etwa 31 Gramm) Silber zwischen 62 und 60 Pence[1]. Aber von 1873 bis 1879 ging es auf 59, 58, 57, 54, 52, 50 Pence herab. Am 5. Juli 1876 stand es sogar auf 48¼ Pence. Die Gründe für diese Erscheinung waren einfach. Während in Amerika reiche Silberminen entdeckt wurden, waren die Ernten Indiens schlecht und führte Deutschland die Goldwährung ein. Ueber sieben Millionen Pfund Silber, die vorher in unserem Vaterlande als Münze gedient hatten, mußten nun auf den schon überfüllten Markt geworfen werden. Frankreich, welches uns die Einführung der Goldwährung durch die Zahlung der Kriegsentschädigung möglich gemacht hatte und als ein Land, in dem die Doppelwährung besteht, der größte Abnehmer unserer Silbervorräthe gewesen war, machte, nachdem über 600 Millionen Mark über die Vogesen gewandert, einen weiteren Einfluß unseres Silbers durch die Beschränkung der Silberprägung unmöglich.

Zu derselben Zeit erkannte man, daß man die Mengen der in Deutschland umlaufenden Silbermünzen unterschätzt hatte; die Phantasie der Londoner Händler und Agenten vergrößerte den Rest des unverkauften Silbers in’s Maßlose, und nun drückte die Furcht auf die schon fallenden Preise. So bewirkte ein Zusammenwirken verschiedener Factoren ein Sinken des Silberwerthes, wie er in der Geschichte noch nicht dagewesen ist.

Viel Angebot, wenig Nachfrage: das ist noch immer die Signatur des Londoner Silbermarktes. Wir glauben uns nicht zu täuschen, wenn wir auf Seiten des freundlichen Lesers eine ebenso geringe Nachfrage nach weiteren Nachrichten über den Londoner Silbermarkt vermuthen, und wir erlauben uns daher, von ihm Abstand zu nehmen.

Wilhelm Hasbach.     



  1. 1 Penny (Mehrzahl Pence) = 8½ Pfennig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_468.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)