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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

des Sauerländischen Gebirges umzogen wird, bildet das große Reservoir, aus welchem die westfälische Ebene durch die Gewässer der Lippe und der Ems gespeist wird. Auf einer Entfernung von nur wenigen Stunden entspringen hier die zahllosen Quellen, deren Rinnsale sich zu den gedachten Flüssen vereinen.

Unser Besuch in diesem Quelllande soll zunächst nicht der alten Paderstadt, sondern dem eine Meile weiter nordwärts um die Hauptquellen der Lippe gelegenen Städtchen Lippspringe gelten, das sich durch seine vor nunmehr fünfzig Jahren entdeckte segenbringende Heilquelle einen bis in die weiteste Ferne reichenden Ruhm errungen hat. Die Bescheidenheit seiner Lage inmitten einer mit wenigen landschaftlichen Reizen ausgestatteten Gegend kam der Entwickelung des Lippspringer Curortes nicht sonderlich fördernd entgegen, allein der hohe Werth seiner Warmquelle ersetzte manche Vorzüge anderer bewährter Bäder, und so zog der kleine anspruchslose Ort von Jahr zu Jahr eine größere Zahl von Leidenden herbei, die hier Genesung suchten; zur Zeit mag die Zahl der Curgäste, die hier jährlich verweilen, annähernd 3000 betragen.

Die Quelle, welche diese wachsende Anziehungskraft ausgeübt und schon manchem ihrer Besucher Heilung oder doch Linderung seiner Leiden gebracht hat, wurde im Jahre 1832 zufällig bei der Vertiefung eines Abzugsgrabens der Lippe entdeckt und sehr bald wegen ihrer verhältnißmäßig hohen Temperatur und des röthlichen Niederschlages ihres Wassers als Mineralquelle erkannt. Bald wandte sich die Aufmerksamkeit der staatlichen Behörden, wie der Männer der Wissenschaft der entdeckten Quelle zu, und da die Ergebnisse der von beiden Seiten veranstalteten Untersuchungen sich günstig erwiesen, so wurden die für einen Bade-Ort erforderlichen Einrichtungen getroffen. Das Bad ist indessen von Anfang an bis heute in Privatbesitz geblieben und seit 1844 das Eigenthum der Erben der Herren Risse und Hesse in Paderborn.

Zur Erinnerung an den Befreier Deutschlands von römischer Fremdherrschaft ward der Therme von ihren Entdeckern der Name Arminius-Quelle beigelegt, Sie besitzt stets die Wärme von 17° Réaumur und hat eine Ergiebigkeit, die sich nach den bei ihrer letzten Fassung im Jahre 1869 angestellten Messungen auf 500 Liter in der Minute beläuft. Das Wasser ist von krystallhellem Aussehen, ohne jeglichen Geruch und zeigt frisch aufgefangen eine mäßige Gasentwickelung. Ihre Bedeutung und Heilwirkung wurde zum ersten Male in eingehenderer wissenschaftlicher Weise durch den Kreisphysicus Dr. Piper in einer im Jahre 1841 erschienenen Brunnenschrift dargelegt.

Seitdem haben weitere Forschungen und analytische Untersuchungen, sowie die im Laufe der Jahre gesammelten praktischen Erfahrungen dargethan, daß man zwar im Anfange die Heilkraft der Quelle einigermaßen überschätzt hatte, indem man glaubte, sie gegen alle möglichen Krankheiten in Anwendung bringen zu können, daß sie aber in ihrer Zusammensetzung, die sie kurz als eine stickstoffreiche Kalktherme mit mäßigem Glaubersalz- und schwachem Eisengehalt qualificirt, für manche Krankheiten der Athmungsorgane von unschätzbarem Heilwerthe ist. Die günstigen klimatischen Verhältnisse des Curortes, die verhältnißmäßig geringen Schwankungen der Temperatur während der Sommermonate, die reine, milde und feuchtwarme Luft, welche der Ort dem großen Wasserreichthum der Gegend verdankt, treten den Wirkungen der Therme fördernd zur Seite und machen Lippspringe zugleich zu einem wohlthuenden Aufenthalte für Brustkranke. Wer sich im Uebrigen genauer über die Heilmittel und Heilwirkungen des Bades unterrichten will, dem empfehlen wir die Schriftchen, welche in den letzten Jahren von den Brunnenärzten Dr. Dammann und Dr. Rhoden veröffentlicht wurden.

Die Einrichtungen und Umgebungen des Bades haben im Laufe der Jahre eine Ausstattung und Ausdehnung erfahren, wie sie der Zunahme seiner Gäste entsprach, sodaß Lippspringe heute mit jedem anderen Curorte von ähnlichem Umfange den Vergleich aushalten kann. Die geschmackvollen Anlagen des Curgartens, die frischen Rasenplätze mit ihren freundlichen Blumenbeeten und dunklen Baumgruppen, durch welche sich die kalkweißlichen Pfade nach allen Seiten hindurchschlängeln, die Menge lauschiger, zum Sitzen einladender Plätze, die hellen Gewässer der Lippe und des Jordan, welche den Park auf seiner nordwestlichen Seite durchrieseln, die Stimmen der zahlreichen Singvögel, welche sich an warmen Sommertagen aus Strauch und Baum vernehmen lassen – Alles das muthet in seiner idyllischen Einfachheit den Besucher heimisch an und trägt nicht wenig dazu bei, den Aufenthalt der Gäste zu einem behaglichen zu machen.

Rings um den Park erheben sich die den Curzwecken dienenden Gebäulichkeiten: auf der Westseite, da, wo sich der Garten nach der Lippe und ihrem Zufluß, dem Jordan zu absenkt, die Brunnenhalle nebst der Colonnade, die Inhalatorien zum Einathmen des Stickgases, die Douche mit ihren Cabinets, die Badehäuser, die Musikhalle, auf der Anhöhe in entgegengesetzter Richtung das ältere und das neuere Curhaus, auf der Südseite endlich verschiedene Wirthschaftsgebäude und die Ueberreste der alten Tempelherrenburg. Seit einigen Jahren ist auch die mit zierlichen Grotten eingefaßte Jordanquelle in den Bereich der Anlagen hineingezogen worden; es eröffnet sich von diesem Theile des Parkes aus ein freier Rundblick auf die umliegende Landschaft und die den Horizont begrenzenden Höhen des Teutoburger Waldes.

Im Uebrigen sucht man das, was dem Leben in anderen Bädern seinen eigenthümlichen Charakter aufzuprägen pflegt, wenn man von den täglichen Concerten der Cur-Capelle absieht, in Lippspringe vergebens; auf Unterhaltungen, wie Theater, größere musikalische Aufführungen, öffentliche Vorträge, muß der Lippspringer Badegast von vornherein verzichten und seine Erholung in der Stille und Ruhe suchen, wie sie eben nur ein einfacher ländlicher Aufenthalt gewähren kann und wie sie sich schließlich auch für die an unserer Quelle Genesung Suchenden am zweckmäßigsten und wohlthuendsten erweisen dürfte. Auch der Ort, welcher das Bad umgiebt, obgleich er bereits seit dem Jahre 1400 durch das ihm von dem Paderborner Bischof ertheilte Privilegium die Rechte einer Stadt genießt und obgleich er in den letzten fünfzig Jahren ein überaus freundliches Aussehen gewonnen hat, bietet doch noch heute im Allgemeinen eher das Bild eines größeren Dorfes, als das eines ansehnlichen städtischen Gemeinwesens.

Eine andere Physiognomie zeigt uns freilich die Landschaft, wenn wir uns in die weitere Umgebung Lippspringes begeben: es fehlt alsdann nicht an zahlreichen Punkten, die mit allen Reizen der Natur ausgestattet sind, und an viele dieser Punkte knüpfen sich Erinnerungen von mancherlei Art an eine bedeutsame Vergangenheit. Dieses ganze Gebiet, das Quellland der Lippe und der Ems mit den Höhen, welche es in vielen Bogen umziehen, ist für die Geschichte Deutschlands ein wahrhaft classischer Boden, wie wenige andere Gaue unseres Vaterlandes; denn zweimal im Laufe der Jahrhunderte wurde auf ihm über das Geschick unseres Volkes auf lange Zeit hinaus entschieden: das eine Mal im Anfang unserer Zeitrechnung, als der Sieg des Arminius und seiner tapferen Cheruskerschaaren unsere Nation vor dem Schicksale bewahrte, gleich den Galliern und anderen Völkern Europas romanisirt zu werden, das andere Mal – acht Jahrhunderte später — als das Land zwischen Rhein und Weser der fränkischen Herrschaft unterworfen und das Sachsenvolk von den Siegern zur Annahme des christlichen Glaubens gezwungen wurde.

Schon vor der Niederlage des Varus im Teutoburger Walde hatte Drusus und nach ihm sein Bruder Tiberius den Versuch gemacht, das Land in römische Gewalt zu bringen. „An den Quellen der Lippe“ hatten sie ein festes Castell, Aliso genannt, gebaut, wahrscheinlich an Stelle des heutigen Dörfchens Elsen, wo Pader und Lippe sich vereinen. Aehnlichen Versuchen wurde mit der Heldenthat Hermann’s ein für alle Mal ein Ende gemacht. Die germanischen Völkerstämme gingen seitdem von der Abwehr zum Angriffe über, bis das römische Weltreich unter ihren Streichen in Trümmern zusammensank.

Bekanntlich ist es noch nicht möglich gewesen, auf Grund der Angaben der römischen Schriftsteller den Ort mit unanfechtbarer Bestimmtheit zu bezeichnen, „wo Hermann den Varus schlug“, obgleich ganze Bibliotheken über diese Frage zusammengeschrieben worden sind. Das Schlachtfeld ist von den Alterthumsforschern, wie ein neuerer Geschichtsschreiber bezeichnend bemerkt, von einem Ende Westfalens bis zum andern hin und her gezerrt worden. Heute hat man sich indeß dahin geeinigt, den Schauplatz der bedeutungsvollen Katastrophe zwei Meilen nördlich von Lippspringe in den Schluchten des Gebirges zu suchen, und so hat auch der Bildhauer Bandel dem Riesenstandbilde des Befreiers Germaniens, an welchem er nahezu vier Jahrzehnte sich abmühte, bis es im Jahre 1875 vollendet und feierlich eingeweiht wurde, oberhalb jener Schluchten auf der Grotenburg seine Stelle gegeben, da, wo sich über die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_478.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)