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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

dunklen Waldungen an den Bergabhängen eine weite, großartige Fernsicht über die Ebene der rothen Erde eröffnet.

Näher bei Lippspringe und auch mitten im Osning an der von Paderborn nach Detmold führenden Landstraße, erhebt sich eine unter dem Namen der „Externsteine“ (vergl. Jahrgang 1862, Seite 380 und 1877, Seite 552) bekannte Gruppe von wundersam aufragenden Felsmassen, die, gleich dem Hermanns-Denkmal, gern von Nah und Fern aufgesucht werden. Bis in das sechszehnte Jahrhundert waren die Steine im Besitze des Benedictinerklosters Abdinghof in Paderborn, dessen Mönche in den Aushöhlungen der Felsen verschiedene Vorkehrungen zur Abhaltung des Gottesdienstes trafen. „Bey solchen hohen Steinen seindt,“ wie eine Lippesche Chronik berichtet, „bey alten Zeiten viel Zeichen undt Wunder geschehen, die einen grossen Concursum (Zusammenlauf) vieler bekannten und unbekannten Leuthe daselbsten zusammengebracht haben.“

An der nordöstlichen Seite eines der Felsen befindet sich ein großes Sculpturwerk, welches schon die Aufmerksamkeit Goethe’s auf sich zog und ihn zu einer eingehenden Untersuchung über die Entstehung der bildlichen Darstellungen und ihres Zusammenhanges mit der christlichen Kunst der Byzantiner veranlaßte. Das Hauptbild stellt die Abnahme Christi vom Kreuze in Lebensgröße, halb erhaben, dar. „Die Composition des Bildes,“ bemerkt Goethe, „hat wegen Einfalt und Adel wirkliche Vorzüge. Vorzüglich loben wir den Gedanken, daß der Kopf des herabsinkenden Heilandes an das Antlitz der zur Rechten stehenden Mutter sich lehnt, ja durch ihre Hand sanft angedrückt wird – ein schönes, würdiges Zusammentreffen, das wir nirgends wieder gefunden haben, ob es gleich der Größe einer so erhabenen Mutter zukommt.“ Ueber der rechten Seite des Kreuzes ist Gott Vater dargestellt als der „Alte der Tage“, mit Bart und herabwallendem Haupthaar; zur Rechten und zur Linken erscheinen personificirt Sonne und Mond, beide weinend und Thränentücher haltend, als ob sie damit ihr Gesicht verhüllen wollten, um nicht die Uebel zu sehen, die mit dem Bau der Welt verknüpft sind.

Das zweite Gruppenbild, welches unter dem ersten sich befindet, hat einen Mann und eine Frau, wohl Adam und Eva, zum Gegenstande, die von einem löwenklauigen Schlangendrachen, dem Princip des Bösen, umschlungen sind und die, da die beiden Hauptweltmächte einander das Gleichgewicht halten, nach Goethe’s Ansicht durch das obere große Opfer kaum zu retten sein möchten.

Wir wenden uns nach dieser Abschweifung in die Schluchten des Osning wieder der Ebene zu und statten zuletzt derjenigen Stätte unseren Besuch ab, von welcher aus die Bevölkerung des umliegenden Gebietes für den christlichen Glauben gewonnen wurde. Rings um die Quellen der Lippe und der Pader wählte wiederum, wie es acht Jahrhunderte früher von den Römern geschehen war, der mächtige Frankenkönig Karl der Große sein Standquartier, um das widerspenstige Sachsenvolk, das inzwischen seit der römischen Invasion in das Land eingewandert war, zur Unterwerfung und zur Abschwörung seines heidnischen Glaubens zu zwingen. An den Quellen der Lippe wurden bei seiner ersten Anwesenheit im Jahre 775 Tausende zwangsweise getauft, und zur Erinnerung an diese Begebenheit erhielt der Jordan seinen Namen.

Zwei Jahre später wurde dann an den Paderquellen der erste große Reichstag auf sächsischem Boden abgehalten, welcher Anlaß zu dem Zuge geben sollte, der später von Karl nach Italien unternommen wurde und ihm die römische Kaiserkrone einbrachte. Bei „Padresbrunnen“, da wo die Pader in nicht weniger als 198 Quellen mit einer Wassermasse von 200 Cubikfuß in der Minute aus dem Boden emporspringt, wurde dann 795 eine Kirche „von wunderbarer Größe“ erbaut und das Bisthum Paderborn gegründet, welches fortan den Mittelpunkt der geistlichen und bald auch der weltlichen Macht für das umliegende Gebiet abgeben sollte.

Seit den Tagen Wittekind’s hört unsere Landschaft auf, der Schauplatz hervorragender politischer Ereignisse zu sein. Ihre Schicksale bewegen sich in dem engen Rahmen eines wenig ausgedehnten Bischofssprengels. Lange Jahre führte die Stiftung Karl’s ein bescheidenes Dasein, und erst zu Anfang des elften Jahrhunderts war es der kluge, energische, vor keinen Hindernissen zurückschreckende und in der Wahl seiner Mittel nicht verlegene Bischof Meinwerk, der mit Hülfe seiner Anverwandten, der Kaiser Heinrich des Zweiten und Conrad des Zweiten, das Paderborner Hochstift zu größerem Ansehen und Besitz emporhob. Er unterzog während seiner Regierungszeit nicht nur den Dom und andere kirchliche Gebäude einem Umbau, sondern er fügte denselben auch das Kloster und die Kirche von Abdinghof, die Busdorfskirche und die Bartholomäus-Capelle hinzu und gab durch diese umfassenden Bauten der Stadt die ansehnliche äußere Physiognomie, welche sie bis dahin im Allgemeinen bewahrt hat. Die in der Nähe des Nordportales des Domes gelegene Bartholomäus-Capelle gilt für eines der interessantesten Baudenkmäler Westfalens.

Kräftig und fröhlich blühte in den folgenden Jahrhunderten, namentlich in den Zeiten der Hanse, auch die Stadt in Handel und Wandel empor, bis der Gegensatz, der sich hier, wie in vielen anderen Bischofsstädten, schon früh zwischen der Bürgerschaft und dem geistlichen Oberherrn entwickelte, den Anlaß zu ihrem Niedergange gab. Wiederholte Gewaltthätigkeiten nöthigten die Bischöfe zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, ihren Wohnsitz aus der Stadt nach dem festen Schlosse Neuhaus zu verlegen.

Die durch die Reformation hervorgerufenen Gährungen führten in Paderborn zwar nicht zu so blutigen Episoden, wie in dem Zion der Wiedertäufer, in Münster, aber die Erschütterungen, welche die Stadt Jahrzehnte hindurch erlitt, waren hinreichend, um sie der äußersten Armuth preiszugeben. Im Kampfe um bürgerliche und religiöse Unabhängigkeit entwickelten die Paderborner einen Muth, eine Ausdauer, die den Vergleich mit anderen Ruhmesthaten des deutschen Bürgerthums aushält.

Die Entscheidung des Kampfes fällt in die Wende des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts. Auf der einen Seite stand der Bischof Dietrich von Fürstenberg, ein alter, berechnender, vor keinem Gewaltschritte zurückschreckender, von Fanatismus erfüllter Mann, und der Orden der Jesuiten, den er zu seiner Hülfe herbeigeholt hatte, auf der anderen der Bürgermeister Borius Wichart, der unermüdliche, unerschrockene Vorkämpfer für die althergebrachten Rechte der Stadt und für Glaubensfreiheit. Lange wogte der Streit unentschieden hin und her; endlich entschied sich das Kriegsglück für den Bischof und seine Jesuiten. Wichart wurde gefangen genommen und unter den entsetzlichsten Martern vor den Augen des Bischofs geviertheilt. Eine ergreifende Schilderung dieses Trauerspiels, in dessen letztem Acte Alles zu Grunde ging, was die Stadt belebte, Recht und Freiheit, Bürgerstolz und evangelischer Glaube, hat uns unlängst Franz von Löher[WS 1] in seinem Werke „Geschichte des Kampfes um Paderborn 1597 bis 1604“ gegeben, das jeder nur mit tiefer Bewegung lesen wird.

Bis zum Tode erschöpft ging Paderborn aus dem Bürgerkriege hervor, aber das Ende seiner Leiden war noch lange nicht gekommen; denn nun brausten auch noch die Stürme des großen deutschen Krieges dreißig Jahre hindurch über die arme Stadt und ihre Umgebung dahin. Wie der Herzog Christian von Braunschweig – „den tollen Christian“ nennen ihn die Bauern des Landes bis heute – in dem Bisthum hauste, ist weltbekannt. Keine andere Stadt, sagt Löher[WS 1], wurde so oft belagert, erstürmt, ausgeplündert. Zu Anfang des Krieges hatte Paderborn noch 1200 geschworene Bürger, ohne die vielen Insassen, am Ende des Krieges nur 500. Die besseren Familien waren sammt und sonders gestorben und verdorben; ganze Häuserreihen lagen in Trümmern. Das arme elende Volk hatte weder in Rechts- noch in Religionssachen einen anderen Willen mehr, als den seines fürstlichen Beherrschers. Die Jesuiten hatten vollständig gesiegt. Paderborns Ruhm bestand fürderhin darin, als das westfälische Ingolstadt zu gelten.

Die neuere Zeit hat auch Paderborn allmählich die Wunden geheilt, die ihm die Erschütterungen früherer Jahrhunderte geschlagen. Wenn es sich auch nicht so rasch wieder emporgeschwungen hat, wie manche seiner westfälischen Schwesterstädte, so bildet es doch, reich an alterthümlichen und interessanten Bauten, unter denen wir nur das Rathhaus, das Domportal, den Gauthurm und die Mariensäule besonders hervorheben, einen der anziehendsten Punkte der rothen Erde.

Lippspringe theilte die Schicksale seines mächtigen Vororts. Seine zum Schutze der Ansiedelungen errichtete Burg wurde, als ihr ursprünglicher Zweck hinfällig geworden, an verschiedene Grafen und Herren verpachtet und sank während des Dreißigjährigen Krieges mit einem Theile des Städtchens in Trümmer.

Mit der Entdeckung der Arminins-Quellen ist die Stadt zu neuem Leben erwacht. Heute, wo sie auf eine fünfzigjährige Vergangenheit ihres Bades zurückblicken kann, wollen wir die Hoffnung aussprechen, daß der kleine Curort auch in dem zweiten halben Jahrhundert, in welches er nunmehr eintritt, seinen alten Ruf in Ehren aufrecht erhalten möge.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b korrigiert, Vorlage: Löser
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_479.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)