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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Ueber die sonnenerhitzten staubigen Straßen rollt unser Wagen dem Nilthore (Porte de la colonne Pompée) zu. Da liegt vor uns die mit Bastionen versehene Stadtmauer, wie man berichtet, aus den Trümmern der Befestigungswerke des alten Alexandrien errichtet. Diese alten Festungswerke, welche einst Cäsar stürmte und welche den Angriffen der römischen und griechischen Kaiser kräftig trotzten, wurden bekanntlich auf den Befehl des Chalifen-Feldherrn Amru geschleift, welcher geschworen hatte, die Stadt von allen Seiten zugänglich zu machen, wie das Haus des Lasters.

Hinter einem großen mohammedanischen Friedhofe, an dem wir vorüberfahren, erhebt sich auf einem Hügel das einzige noch ziemlich erhaltene Denkmal des alten Alexandrien, die schon von Weitem sichtbare, aus rothem Granit erbaute Pompejus-Säule. Ihr aus einem einzigen Steine gehauener gewaltiger Schaft ist 20,4 Meter hoch und hat unten einen Durchmesser von 2,7 Meter; oben krönt ihn ein roh gearbeitetes korinthisches Capitäl. Dieses im Ganzen 31,8 Meter hohe Denkmal wurde im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung von dem römischen Präfecten Pompejus dem Kaiser Diocletian zu Ehren errichtet, da er der Stadt während einer Hungersnoth Getreide geschenkt hatte.

Auf der Spitze dieser Säule stand wohl einst die Büste des Kaisers, nach einer anderen Ueberlieferung aber ein ehernes Pferd, welches die Alexandriner zur Erinnerung an eine schwere Zeit errichtet haben sollten: Es hatte sich ein gewisser Achilleus als Gegenkaiser in Alexandrien niedergesetzt, und der echte und rechte Kaiser Diocletian zog gegen ihn zu Feld. Acht Monate lang mußte er die Stadt belagern, bis sie endlich in seine Macht fiel und der Pseudokaiser Achilleus getödtet wurde. Diocletian ließ nun Alexandrien durch seine siegreichen Legionen plündern, und zornentbrannt gab er den Befehl, so viele der aufsässigen Bürger zu tödten, bis das Blut das Knie seines Schlachtrosses benetzen würde. Als aber der Kaiser durch die von Mord erfüllten Straßen ritt, stolperte sein Pferd über einen Leichnam und befleckte sein Knie mit Blut. Das hohe Gebot ward also erfüllt und dem Morden Einhalt gethan.

Es mag viel Uebertreibung in dieser Geschichte enthalten sein; etwas Wahres wird sie aber immerhin berichten; denn die Cäsarenherrschaft in Alexandrien hat sich mehrmals mit ähnlichen Schandthaten befleckt. Hat doch Caracalla, aufgebracht durch einige Witzworte, ein Blutbad unter den Bürgern anrichten lassen, daß das Meer im Hafen roth schimmerte, und hat er doch an den Senat in Rom berichtet, er habe jene Tage in Alexandrien fromm verlebt und den Göttern mit dem Schlachtvieh Menschen geopfert.

Von der Pompejus-Säule begeben wir uns zu den am Meeresstrande gelegenen Katakomben; in diesen in Stein gehauenen Grabkammern setzten die Aegyptier ihre Mumien und die Griechen ihre Todtenurnen bei. Heute ist diese Stätte des Todes von der Speculation in Steinbrüche verwandelt worden, und die düsteren Gewölbe werden bald von der Erdoberfläche verschwinden — vielleicht ist schon heute keine Spur mehr von ihnen vorhanden.

Aus dem Staub der Steinbrüche flüchten wir uns in das Grün des öffentlichen Gartens, Ginenet-en-Nuzha (Jardin pastré), wo die Gewächse der Tropen unter freiem Himmel gedeihen, wo uns der Schatten der Palmen zur Ruhe ladet. Wir sehen hier den berühmten Mahmudiye-Canal, der im Jahre 1819 von Mohammed-Ali gebaut wurde und an dessen Herstellung 250,000 Menschen ein Jahr lang arbeiteten. Auch die Werke der Cultur fordern ihre Opfer, und diese Wasserkunst, welcher Alexandrien sein neues Aufblühen verdankt, wurde nicht allein mit 7½ Millionen Franken, sondern noch mit 20,000 Menschenleben bezahlt. In Ginenet-en-Nuzha giebt sich die elegante Welt Rendez-vous. Es rauschen da wohl seidene Stoffe; es schimmert da wohl Gold, und es funkeln Edelsteine; denn die Griechen und Türken, die hier hausen, die Araber, die hier herrschen, die Franzosen und Engländer, die hier Handel und Industrie treiben, und die Juden, die hier Wechslergeschäfte verrichten — sie sind Alle wahrlich nicht arm. Elend und zerlumpt geht nur der Fellah einher, der Ureinwohner des Landes, der Nachkomme der Pharaonen, der mit dem Schweiße seiner Arbeit die oft kostspieligen Speculationen der Fremden und die verschwenderischen Launen seiner Regenten bezahlen muß. Ach, nur zu wahr ist das von einem Franzosen gesprochene Wort: „Unter der Peitsche des Steuereintreibers strömt aus den Adern des Fellahs Blut und Gold zugleich!“

Ein Reisender, der im vorigen Jahrhundert die Stadt besuchte, verglich sie mit einem Waisenkinde, dem von Allem, was sein Vater besessen, nichts übrig geblieben sei, als ein berühmter Name. Auf das heutige Alexandrien paßten diese Worte freilich nicht; denn Dank dem Einfluß der europäischen Cultur schien es zu neuem thatkräftigem Leben geweckt worden zu sein. Nach der Zählung vom Jahre 1877 betrug die Bevölkerung der Stadt 165,000 Seelen, darunter gegen 50,000 Fremde der verschiedensten Nationalitäten; sie besitzt Eisenbahnen, seit 1865 Gasbeleuchtung und eine neue Wasserleitung. Und wie einst Aegypter, Griechen und Juden in ihren Mauern ihren Cultus ungestört verrichteten, so erheben sich hier auch jetzt neben den Minarets christliche Kirchen, darunter eine protestantische, und jüdische Synagogen. Freilich — heute hat ein zügelloser Fanatismus die Fremden aus der Stadt verjagt; ihre Häuser stehen leer — vielleicht plündert der Pöbel ihre Kirchen. Hoffen wir, daß die barbarische Fluth bald zurückschäumt, daß in die Stadt wiederum Cultur und Gesittung den Einzug halten, um die Wunden zu heilen, welche blinde Unvernunft dem Lande geschlagen.

Doch in dem „halbfränkischen“ Alexandrien, dessen Straßen zum größten Theil französische Namen tragen, sind Aegyptens Land und Leute in ihrer nackten Urwüchsigkeit nicht zu schauen. Wer sie kennen lernen will, der muß weiter landeinwärts ziehen, der muß Ebers’ bezauberndem Rufe folgen:

„Auf denn nach Süden durch das Delta, den grünen Fächer, an dessen Griff, wie der Dichter sagt, als kostbarer Demantstein Kairo schimmert!“




Etwas über Hamburger Alster-Regatten.

Unsere Alster,“ sagt der Hamburger mit Stolz, und er ist berechtigt hierzu — aus mehr als einem Grunde. Ist doch dasjenige, was man in allen fünf Welttheilen von der Alster kennt, sei es aus eigener Anschauung oder aus Abbildungen, specifisch hamburgisch; ich meine die beiden prachtvollen Bassins, welche der Alsterfluß auf dem Gebiete der „freien und Hansestadt“ bildet, die „Außenalster“ und die „Binnenalster“; erstere 1,834,000, letztere 203,000 Quadratmeter groß, „Edelsteine in Hammonias Mauerkrone“, wie ein neuerer Poet sie genannt hat. Aber auch das gesammte Alsterflüßchen auf holsteinischem Gebiete ist Eigenthum der hamburgischen Republik, welche es 1306 bis 1310 von den Schaumburger Grafen gegen baares Geld redlich erwarb, um mittelst eines bis zur Trave geführten Canales in directe Flußschifffahrtsverbindung mit Lübeck zu gelangen. Die Benutzung dieses Canals, welcher noch heutzutage vorhanden ist, ward erst 1550 aufgegeben; dennoch hielt Hamburg an seinem Hoheitsrechte fest und sorgte namentlich für beste Instandhaltung der acht Schleusen oberhalb der Stadt, da die Alster mit ihrer starken Strömung den Hafen der Stadt vor Versandung schützt. Auch gehören die Alsterarme innerhalb der Stadt zu den besten „Fleeten“, den bekannten Canälen, welche Hamburg zum „nordischen Venedig“ machen und dem Handel vortreffliche Dienste leisten, indem auf diesem billigen Wasserwege die Waaren mit geringen Unkosten aus den Seeschiffen in die Speicher transportirt werden können.

Ausschließlich Rücksichten der vorgeführten Art, rein praktische und materielle Beweggründe waren es, welche im vierzehnten Jahrhundert die alten hansischen Rathsherren zu dem Ankaufe des Flusses bewogen; denn die landschaftliche Schönheit des letzteren existirte damals noch nicht; das jetzt von Außen- und Binnenalster bedeckte Terrain wies nur moorige Wiesen auf. Der quer durch dieselben hindurchgezogene Stadtwall, dessen Mittelpunkt die Lombardsbrücke bildet, dämmte das Wasser ab, und so entstanden die beiden Bassins, die eine beredte Illustration zu dem alten Sprache geben, daß „Wasser das Auge der Landschaft“ sei; wie arm an landschaftlichem Schmucke wäre Hamburg, welches in dieser Beziehung so ungünstig wie möglich theils auf der flachen Elbmarsch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_498.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)