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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Tilly nimmt und trinkt auf das Wohl des Hauses Lothringen. Der Duc de Lorraine trinkt Pappenheim zu. Dieser dem Aldringer etc. Der Lothringer trinkt zum zweiten Male:

„Es ist bei Gott ein höllisch feiner Tropfen,
Und wenn man doppelt näht, dann hält es besser.“

Oberst Ossa aber warnt:

„Doch thut
Des Guten nicht zu viel. ’S ist Tauberwein
Und nicht das leichte Töchterlein der Mosel.“

Der Dominicaner aber, gierig und neidisch, ruft:

„So bleibt doch über Nacht nicht in dem Humpen!“

Er erhält ihn dann auch und trinkt mehr als die Soldaten.

Der Pokal geht an Tilly zurück. Er bewundert das Kunstwerk, auf welchem der Kaiser und die sieben Kurfürsten dargestellt sind.

Der Senator Winterbach erklärt ihm die Entstehung desselben:

„Kaiser Matthias war’s, für den gemacht
Zum Willkomm wurde der Pokal. Er kam nicht.
Darum seid Ihr es, der die erste Weihe
Ihm gabt durch Euer karges Nippen.“

Das geht denn doch dem Tilly an sein gut kaiserlich Herz. Er trinkt zum zweiten Mal und etwas mehr.

Dann kommen die unglücklichen Todescandidaten – Bürgermeister und Rath. Sie haben keine rechte Freude mehr am Trunk und Tilly scherzt – natürlich ein wenig grausam:

„Und noch halb voll? Ist denn der ganze Rath
Nicht mehr im Stande, den Pokal zu leeren?“

Der alte Nusch sagt:

„Nicht, wenn uns Todesangst den Hals zuschnürt.“

Und Tilly, dem Kaiser, der auf dem Pokal bildlich dargestellt ist, zu Ehren, trinkt wieder:

„Ich habe Jahre lang des Weines Gift
Gemieden. Heut’ trink’ ich zum dritten Mal.“

Der rothbärtige Kellermeister benutzt in kluger Weise diese Stimmung zu einigen Scherzen.

Tilly schweigt. Er sinnt nach. Dann befiehlt er, den Pokal auf’s Neue zu füllen, und spricht zum Rathe:

„Schlecht Euer Rath! Schlecht Euer Waffenglück!
Vielleicht, daß ihr mit Euern weiten Kehlen
Beweisen könnt ein besseres Geschick.“

Der Kellermeister kommt mit dem frisch gefüllten Pokale. Tilly nimmt ihn und sagt:

„Der Humpen hier ist voll zum Rand gefüllt.
Ist wer von Euch im Stande, ihn zu leeren
Mit einem Zug – dann soll Euch Gnade sein.“

Nach einer bangen Pause tritt der alte Senator Nusch vor mit den Worten:

„In Gottes Namen, Feldherr, will ich’s wagen.“

Er spricht sein Glaubensbekenntniß, nimmt den riesigen Pokal in beide Hände und beginnt zu trinken.

Er trinkt langsam und mit Berechnung. Er braucht viele Minuten, und während dieser ganzen Zeit herrscht in dem Publicum eine athemlose Stille, sodaß man hätte eine Stecknadel zur Erde fallen hören. Von dem Gange des Stückes im Allgemeinen unterrichtet, hielt ich diesen Moment für den Augenblick höchster Gefahr. Der Hergang konnte erhebend, aber er konnte auch lächerlich wirken; denn das Trinken an und für sich ist kein heroischer Act, sondern muß erst durch die Umstände dazu werden. Aber es wurde in der That dazu: der Hergang wirkte erhaben und erhebend.

Der alte Senator, der sich opfert für seine Freunde im Rath — die Anstrengung, die es ihn kostet – die Spannung, mit der Alle, die sich auf der Bühne befinden, dem peinlichen Wagnisse folgen, die Einen mit Schadenfreude und Neugier, die Anderen zwischen Furcht und Hoffnung hin- und hergeworfen — der lebhafte Ausdruck, welchen diese wechselnden Gefühle bei den verschiedenen Darstellungen finden — die Theilnahme des Publicums für das Schicksal der Stadt und ihrer Vertreter — Alles das mag gleichmäßig dazu beigetragen haben, diese mächtige Wirkung zu erzielen. Es fiel uns ein Stein von dem Herzen, als der alte Nusch seine Herculesarbeit endlich bezwungen. Er sinkt in einen Sessel, aber er hält sich da aufrecht, während man ihn beglückwünscht, und Tilly spricht:

„Ich gab mein Wort. Ich werd’ es redlich halten;
Es wäre doch wahrhaftig jammerschad’,
Die Welt solch edler Recken zu berauben;
Der Trunk gilt mir für eine Heldenthat.“

Der Bürgermeister und der Henker, welche von der Wache vorgeführt werden, während der Letztere auf das Lebhafteste versichert, er werde nie Hand anlegen an seine hohe städtische Obrigkeit, werden in Gnaden entlassen.

Tilly appellirt an die Nachwelt, welche ihn hoffentlich glimpflicher beurtheilen werde, ihn

„Den rauhen Sprößling einer rauhen Zeit.“

Und dann folgt zum Schluß noch ein ergreifendes Lied, das die Rothenburger unter Glockengeläute und Orgelspiel (der Jacobi-Kirche) singen.

Der Eindruck der Festvorstellung war auf Alle ein tiefer. Einige wollten etwas allzu viel städtischen Localpatriotismus in dem Stücke finden. Andere sprachen von Reminiscenzen an Schiller, und namentlich an Wallenstein. Aber schließlich einigte man sich dahin, den idealen Schwung zu bewundern, der jedoch die getreue Localfarbe nicht ausschließt, die durch Dialektanklänge sehr glücklich erhöht und belebt wird — und dann sich die Moral aus dem Stück zu entnehmen: Aufrichtiger Patriotismus für Kaiser, Reich und Vaterstadt, aber auch treues Festhalten an bürgerlicher, politischer und religiöser Freiheit, vor Allem aber keine Religionsfeindseligkeiten mehr, keine Hetzdominicaner, keinen Dreißigjährigen Krieg, sondern Frieden und Freiheit! Das waren die Gefühle und die Gedanken, die in dem Ganzen nachklangen, als wir gegen ein Uhr den Rathhaussaal verließen.

Dem Festspiel des Vormittags folgten am Nachmittage der Festzug und das Volksfest.

Der Zug, welcher die Stadt von einem Ende bis zum andern durchzog und den unser Hauptbild veranschaulicht, bestand aus drei Gruppen. Erstens die Rothenburger. Zweitens die Kaiserlichen. Drittens der Troß und das Volk.

Das Hauptschaustück war der prachtvoll decorirte, von vier auserwählten Pferden gezogene Festwagen, auf welchem stehend die Rothenburga thronte, eine majestätische Schönheit, die städtische Mauerkrone auf dem Haupte. Neben ihr saßen die Bürgermeisterin und Magdalena mit den beiden Kindern. Dann folgte der hohe Rath nebst seinem Kellermeister und seinem Scharfrichter. Den Schluß machten die Schweden und die Rothenburger Bürger in Waffen. Die am Morgen Gefallenen sind wieder am Leben. Das war die erste Gruppe.

An der Spitze der zweiten sehen wir Tilly mit seinen Fürsten und Generalen; auch der Dominicaner fehlte nicht. Er war, wenn wir nicht irren, zu Esel. Dann folgten Pfeifer und Trommler, eiserne Reiter und Landsknechte. Den Schluß machten die drei Geschütze, darunter eines gesprungen. Auch Alles wirkliche Geschütze von 1631.

Die ganze Pracht des mit bewundernswerther historischer Treue costümirten Zugs konnte sich natürlich auf der Straße weit besser entfalten als auf der engen Bühne.

Und daß auch der Humor, der bei einem Volksfeste nicht fehlen darf, nicht zu kurz kam, dafür sorgte die dritte Abtheilung: Der Marketenderwagen, der Wagen der Marodeure, der Feldscheer und der Bader; Alles das riß die Zuschauer zu ausgelassener Heiterkeit hin.

Draußen auf dem Walle aber, an jener Stelle, welche „die Katze“ genannt wird, beim Kummer-Eck-Thurm und an dem 1631 gesprengten „Ganser“ lagerten wir uns, sowohl die Mitglieder des Festzugs, wie auch die Anderen, das Publicum, das ihm das Geleit gab. Es waren Scenen wie in „Wallenstein’s Lager“. Die Feldherren hatten ihr Zelt. Desgleichen die Damen und die Männer des Rathes. Auch wir profanen Gäste wurden mit der größten Liebenswürdigkeit zugelassen. Musik und Gesang lösten einander ab, und die riesigen steinernen Maßkrüge kreisten so fröhlich. Die Feindschaft hatte ausgespielt. Tilly trank vergnügt mit Nusch und, wie man bemerkt haben will, war er ihm im Trinken sogar über. Die Männer, welche sich am Morgen wollten köpfen lassen, fraternisirten mit einander, und selbst der roth gekleidete Henker nahm Theil an dem allgemeinen Behagen und legte nicht einmal sein blitzendes Beil weg, als ich mit ihm anstieß. Es war freilich von Pappe.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_512.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)