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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Der Wildheuer.

Dort geht er am Seile und sichelt sein Gras,
Und über ihm schwebt in den Lüften,
Als Punkt nur im Aether, und späht nach dem Aas
Ein Geier in Felsen und Klüften.

Und hinter ihm gähnet die Tiefe herauf,
Und neben ihm starren die Felsen;
Dort sperren im Horste die Schnäbel auf
Die Jungen mit gierigen Hälsen.

Er schaut nicht zur Höhe; er blickt nicht zum Grund;
Er jodelt und sichelt die Halme,
Und fröhlich ertönt sein Lied ihm vom Mund:
„Mein Reich ist die sonnige Alme.

Mein Reich ist das schroffeste Felsengebiet,
Die Freiheit, die göttliche Spende –
Ihr weih’ ich den Odem; ihr weih’ ich mein Lied;
Ihr weih’ ich die schwieligen Hände.

Und ist es auch sauer erworbenes Brod,
Den Felsen, dem Abgrund entrissen,
Das hier ich verzehre, von Feinden bedroht,
Ich lieb’ es und möcht’ es nicht missen.“

Hermann Friedrichs.




Bob Zellina.
Novelle von Karl Theodor Schultz.
(Schluß.)

So kampflos und ergeben, wie Bob es Hollfeld zwar dargestellt, bei tieferem Besinnen aber doch kaum selbst erwartet hätte, nahm Alma das über sie Beschlossene keineswegs hin. Quälend genug, ja, tief schmerzlich empfand sie, daß in dem Handeln beider Männer wenig Rücksichtnahme, ja kaum die Achtung lag, welche sie bei der vollen Reinheit ihres Gewissens fordern durfte. Dabei fand sie in ihrem immerhin freundlichen Leben an Bob’s Seite längst volle Befriedigung und achtete und schätzte ihn wahrhaft hoch. Und nun sollte sie dem Allen entsagen? Vielleicht war auch eine Ahnung in ihr aufgestiegen, ein Zweifel mindestens – ob ihr Vater, der seit jener Auseinandersetzung mit Bob auf diesen einen heimlichen Groll geworfen hatte und darum auf Alma fortdauernd im Sinne der Trennung einzuwirken suchte – ob ihr Vater wirklich Recht hätte, wenn er ihr immer und immer wieder sagte, Hollfeld sei von den beiden Männern der so viel edlere.

Sie schwankte in bangem Zweifel, und Bob kam ihrer Rathlosigkeit, ihrem feineren inneren Gefühl nicht zu Hülfe; er mied sie vollständig – wohl in dem Wunsche, ihr nichts schwerer als nöthig zu machen, oder vielleicht sogar aus dem Bangen, auf Augenblicke lang schwächer zu werden, als er durfte, irgend einer allzu mächtigen Aufwallung zu erliegen. So wurde Alma schließlich an Allem irre, ja redete sich selbst ein, daß Bob sie nicht mehr liebe und daß sie schon um seinetwillen das Opfer bringen müsse. Ein wenig mehr Muth und Entschlossenheit gab ihr auch eine Unterredung, welche sie nach Bob’s Willen mit Hollfeld gehabt, der ihren Stolz durch seine glühende Beredsamkeit aufgestachelt hatte – und da Bob nach wie vor dabei blieb, von ihrem Leiden nichts zu bemerken, scheinbar immer nur eisiger zu werden, so fuhr sie denn eines Morgens, während er in den Wald geritten war, ohne einen besondern Abschied von ihm zu nehmen, nach der Stadt.

Als Bob den Wagen ohne sie zurückkehren sah, und nun beim Durchschreiten ihrer einsamen Zimmer überall an dem Fehlen von Diesem und Jenem, was als Alma’s Eigenthum mit ihr verschwunden war, seinen Verlust ganz inne wurde, da war es auch mit seiner so lange aufrecht erhaltenen künstlichen Fassung vorbei. Immer wieder rief er verzweiflungsvoll ihren Namen. Laut aufschreien hätte er mögen.

Doch nur der antike Held durfte ja aufschreien in seiner Qual, der christliche ist gewöhnt worden, das als seiner unwürdig zu empfinden – so unterdrückte auch Bob sein Weh.

Zu seinem anscheinenden Genügen und jedenfalls in wahrhaftem Feuereifer nahm er in der nächsten Zeit Allerlei vor, was er längst geplant, aber in einer gewissen Lässigkeit immer von Neuem hinausgeschoben hatte. So wurde der Abbruch und dann der Neubau eines Wirthschaftsgebäudes in’s Werk gesetzt, und im Garten an dem Platze, welchen Alma noch dafür bestimmt, wurden die Fundamente zu einem großen Gewächshause gelegt.

Dazwischen kam und ging sein Rechtsanwalt, und es gab Conferenzen mit der Gegenpartei; denn so scharf und unangreifbar Alma’s Begründung ihres Scheidegesuches von vornherein gefaßt war, so wenig zweckentsprechend erschien immer wieder die seinige – bis der Rechtsanwalt dieselbe aufsetzte und Bob nur zustimmend zu nicken brauchte. Da kam es endlich zum Letzten, was das Gesetz forderte, und einige Wochen darauf wurde die Scheidung „dieser Gatten, die eine so unüberwindliche Abneigung vor einander empfanden“, gerichtlich vollzogen.

Die nun folgende Zeit ertrug Bob fast leichter, als die eben vergangene: er war sich jetzt völlig selbst überlassen, der Anwalt, vor welchem er eine Art von Grauen empfunden hatte, wie vor einem Arzte, der eine Wunde offen halten muß, kam nicht mehr, und Alles ging seinen gleichmäßigen Gang. Er besuchte Niemand in der Nachbarschaft – und so schonte man auch allgemein seine, wie man hoffte, nur momentane Neigung zur Zurückgezogenheit. Daheim aber stieß er nirgend auf Widerstand; seine Leute hätten ihm noch eher Alles erleichtern mögen, da er zu den liebenswerthen Naturen gehörte, welche der eigene Schmerz nicht verbittert und herbe macht; nur im Wohlthun fand er Vergessen.

In solcher Weise war ihm der Frühling, der lange Sommer vergangen. Das Wirthschaftsgebäude stand längst unter Dach. Die Mauern des Gewächshauses erhoben sich – nicht unzufrieden mit dem, was erreicht worden, konnte Bob dem Winter entgegensehen. Er hatte auch mit Clavierübungen wieder begonnen und seine Bibliothek durch das beste Neue vervollständigt; in dieser ruhigeren Stimmung wäre er wohl der stilleren Zeit begegnet, die ihn natürlich mehr an’s Haus und dessen Erinnerungen gefesselt hätte, bevor es aber Winter wurde, bei den Stürmen des Spätherbstes schon, als es täglich vom Meer her um das Sundittener Schloß ächzte und heulte, fing er plötzlich an ruheloser zu werden. Keine Beschäftigung schien ihn mehr zu fesseln; selbst das Clavierspiel vernachlässigte er bald wieder, und wie unwillkürlich horchte er nur auf jedes stärkere Geräusch, als erwartete er immer Besonderes.

In der Mittagszeit, wenn die neuen Zeitungen einmal länger als gewöhnlich ausblieben, konnte er öfter fragen, ob der Postbote noch nicht gekommen wäre, oder ging in ein Eckzimmer, von wo er eine Strecke der Chaussee übersah, welche der Bote passiren mußte. Wonach er suchte, was er erwartete, das ergründete Niemand aus seiner Umgebung. Wer aber genauer auf ihn geachtet hätte, dem wäre nicht entgangen, daß Bob nur die Zeitungen der nächsten Stadt interessirten, und dabei nicht einmal deren Haupttheil – nur die kleine, einfache Rubrik der Familiennachrichten.

Das Jahr war ja herum; jeder Tag konnte ihm nun die Bestätigung bringen, daß sein Opfer nicht umsonst gewesen. Doch wochenlang suchte er vergeblich – seine Ruhelosigkeit, seine Sorge stieg immer höher. Sollte irgend etwas Hinderndes vorgefallen sein?

Absichtlich hatte er jede Verbindung mit Ruland’s aufgehoben; jetzt peinigte ihn diese Ungewißheit aber noch mehr, als es die Gewißheit vermocht hätte.

So hatte seine Erregung sich schon bis zur Krankhaftigkeit gesteigert, als er endlich unter den Aufgeboten das von Hollfeld und Alma fand, und zwar gleich ein für alle Mal. Dieses ein für alle Mal erschreckte ihn im ersten Momente – schien damit doch unmöglich zu werden, was er seinem Herzen wie ein letztes Almosen versprochen hatte – Alma noch einmal zu sehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_526.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)