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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Und – heilige Jungfrau! – was hielten Beide in den Händen? Eine fein geflochtne Schnur hatten sie über die Straße gezogen, und sie ließen dieselbe bald im Bogen herabsinken, bald zogen sie sie an und plauderten und lachten dann zusammen. War das auch eine der schönen neuen Sitten, daß sich Eheweiber mit ledigen Gesellen Brieflein über die Straße zogen? Zu was sonst konnte die Vorrichtung dienen?

Elsbeth schrak zusammen; ein Blick Wilhalm’s war zu ihr hingestreift. Aber er sah sogleich wieder weg, preßte die Lippen zusammen und machte so recht ihr zum Aerger, in der Lücke wie in einer Nische stehend, seine neue spanische Reverenz vor der Rotmundin, und diese neigte sich gegen ihn, indem sie die Hände über der Brust kreuzte. Elsbeth hatte nicht geglaubt, als sie neulich so kalt seinen Gruß aufnahm, daß man sich also über eine spanische Reverenz erbittern könne.

Und nun mußte sie zwischen Beiden durchschreiten, unter dem lachenden Antlitz der Rotmundin hinweg, die ihr so traut zunickte wie je. „Wenn mich doch die Erde verschlänge!“ wünschte sie und krampfte die Finger um den Rosenkranz. Aber wie männiglich bekannt, verfährt die Erde also nur mit denen, welchen es eine schwere Trübsal ist, verschlungen zu werden. Elsbeth mußte den Schmerzensweg gehen, und als sie das leise silberne Lachen der Rotmundin sich nachklingen hörte, flüsterte sie:

„Mein’ Sach’ ist verloren.“

Mit brechenden Knieen wandelte sie fürbaß. Was half es ihr nun, daß der grimmige Pater Christophorus ihrer Meinung war? – Da stand sie am gothischen Thürmchen. Die Heiligen seien gepriesen! Die Mutter war nicht beihanden. Elsbeth gelangte unangesprochen in ihr Gemach.

Sie legte das Gebetbuch auf den Betstuhl in der Ecke, schnappte das mächtige Thürschloß ab und sank auf die Polsterbank, die rings um das Stüblein lief. Das Haupt an die Tapezerei, mit der die Wände behangen waren, gelehnt, blieb sie lange bewegungslos. Im Vergleich mit ihren starren Zügen schaute die Maria Magdalena, die in den Wandbehang gewebt war, ganz getröstet aus, trotz ihres thränenüberströmten, in den Staub gebeugten Antlitzes.

Endlich erhob sie sich, entnahm dem mit Metallbeschlägen verzierten Schrein, in welchem sie ihre Bücher verwahrte, ihr Stammbuch und ließ sich unter dem Fenster nieder, das, hoch oben angebracht, nur ein gedämpftes Licht in das Gemach fallen ließ. Rasch wandte sie die Blätter um, die mit bunt gemalten Wappen, Namen und Wahlsprüchen bedeckt waren, bis sie an das eine kam, das sie suchte.

„Mein Herz in mir theil ich mit dir;
Brech ich’s an dir, räch’s Gott an mir!
Vergeß ich dein, so vergess’ Gott mein –
Das soll unser beider Verbindniß sein.“

So stand zu lesen. Zwar fehlte die Namensunterschrift, aber wer anders, als der bestimmte Bräutigam hätte sich so in das Stammbuch der Geschlechterin einschreiben dürfen? Die Elsbeth starrte darauf hin. Das sollte nun nicht mehr gelten? Wie war das möglich? Weil sie nichts von „zärtlicher Leidenschaft“ wußte?

Schier verzagt fragte sie sich, ob ihr Abscheu gegen den alten Kriegsschreiber nicht vielleicht auch ein Verlangen nach „zärtlicher Leidenschaft“ statt nach christlichem Ehebund sei. Da seien die Heiligen für!

Nein! die Elsbeth trug kein Verlangen nach Zärtlichkeit. Sie haßte nur noch: den Rotmund, der so blind war gegen sein treuloses Weib, die Rotmundin, diese Wurzel alles Uebels, und den Haller! Wie sie den haßte, verabscheute und verachtete! Wenn ja noch ein Gefühl in ihr für ihn sprach, so wollte sie es ersticken und erdrücken, mit glühender Zange es ausreißen und im feurigen Ofen verbrennen.

Und mit dem Stammbuchblatt wollte sie den Anfang machen. Aber da schaute die Geschrift mit den steilen Buchstaben sie so trotzig an, daß sie an Wilhalm’s Augen denken mußte, und statt des Wortes war ein rosenrothes Herz gemalt, wie junge Leute thaten. Sie vollbrachte ihr Fürhaben nicht. Sie stellte das Stammbuch wieder an seinen Platz neben den Folioband des Teuerdank und sann weiter.

Stunden vergingen. Der Abend dämmerte. Von Zeit zu Zeit klopfte die Mutter an, aber es ward nicht aufgethan. Die bewegten Zeitläufte störten die regelmäßige Hausordnung, sodaß Herr Imhof nichts gewahrte von dem Verschwinden des Töchterleins.

Es war schon dunkel, als Elsbeth vor ihrer Thür stöhnen hörte: „Heiliger Lorenzo, bitt für mich! Du hast es auf dem Rost nicht heißer gehabt denn eine Mutter, deren Tochter an einem Gebreste des Herzens leidet.“

Da öffnete sie endlich die Thür und ging mit der Mutter nach dem Wohngemach hinüber. Eine feine Röthe lag unter ihren Augen; sonst war sie blaß.

Aber sie sprach mit fester Stimme:

„Meine lieben Eltern, wollet Euch nicht fürder um mich sorgen! Zwar vermag ich nicht, wie Ihr es heischet, den alten Kriegsschreiber zum Manne zu nehmen, noch trag’ ich Verlangen nach einem andern Ehegesponsen. Auch will ich nicht dereinst, wenn Euch der allmächtige Gott abberufen hat, in ein Hinterstüblein ziehen, wie es mein Loos sein würde. Denn wenn mein Bruder mich auch lieb hat und fleißig grüßen läßt, so oft er aus Ulm schreibt, so wird er doch ein jung Weib heimbringen, und eine alternde Schwäherin ist solchem nie willkommen. Darum habe ich beschlossen und will es mir von Niemand wehren lassen, eine Klosterjungfrau zu werden.“

„Heiliges Kreuz! Donnerwetter!“ schrie Herr Imhof, „laßt mich aus mit Eurem vermaledeiten Gered! Könnt Ihr Weibsvolk je und je etwas Anderes schaffen als Euch uns quer in den Weg stellen, wenn’s gerade um Gottes willen fürbaß gehen soll? Freit! Geht in ein Kloster! Schert Euch zum Gutzgauch! Meinethalb! Aber das sag ich Euch: Vorher führt Ihr Euch beim Einzug Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit auf, wie es Patricierinnen von Nürnberg zukommt! Wenn wir vorüber ziehen, weht Ihr dem Erzherzog mit Euren Facinetlein zu! Auf dem Geschlechtertanz zieht Ihr die goldstucknen Röcke an und springt mit, jede nach Alter und Leibesbeschaffenheit – oder Ihr sollt den Imhof kennen lernen!“

Er ging zu Bett, und diesmal hatte er Ruhe vor seinem flüsternden Ehegemahl. Das weinte still in das dick aufgebauschte Kissen.

Die Elsbeth lag schlaflos in ihrer mächtigen Bettstatt. Sie schaute zu, wie der blasse Mond langsam über den Himmelsbogen hinzog, und zählte die Stunden, die von den Thürmen schallten, weithin vernehmbar in der schlafenden Stadt. Das Himmelslicht sank hinab; grauer Dämmerschein drang durch die runden Scheibchen, und ein leises Zwitschern wurde vor dem Fenster vernehmbar. Elsbeth erhob sich und schob es auf. Die frische Morgenluft wehte sie an und kühlte ihre heißen Schläfen.

Und siehe! Da war das Schwalbenpärchen wieder angelangt von seiner weiten Reise und in das alte vertraute Nest eingezogen. Die hatten doch auch fremde Länder gesehen und kehrten gern wieder bei ihr ein. Wo sie sich ansiedeln, soll es eine Braut geben, sagt das Volk.

„Ach, ihr wißt die neuste Mär von Nürnberg nit: der Wilhalm ist der Elsbeth untreu geworden,“ flüsterte sie. „Und ich habe ihn mir doch so sehr gewunschen.“

Sie schlug die Hände vor die Augen und weinte, als ob es ihr das Herz abstoßen wollte. – – –

Herr Rotmund war indessen nicht so blind gewesen, wie Elsbeth vermuthete. Er hatte das Seil gar wohl gesehen, das vom Chörlein nach Haller’s Haus lief, und er erbebte. Hatte sein reizendes Weib mit dem Nachbar ein Liebesspiel angesponnen? Als er näher trat, ließ seine Ehehälfte die Schnur hinabfallen, und drunten stand die Gürtelmagd und wickelte sie auf. Frau Rotmundin aber würdigte ihn keiner Erklärung.

Er bezwang sich, trat an’s Fenster und fragte Herrn Haller nach dem Zweck der hänfenen Verbindungsbrücke. Der aber sagte leichthin, es solle ein Schmuck auf neue Manier werden. Herr Rotmund griff unwillkürlich nach seinem Haupt, auf dem er schon den neuen Schmuck zu verspüren glaubte.

„Wollt Ihr die zerschundne Wand, die klaffende Lücke damit verbergen?“ fragte er grinsend vor Wuth.

„Ich schmücke mein Haus mit Teppichen, wie es im Lande Italia Brauch ist,“ erwiderte Haller, „und die Lücke soll ein Gemälde füllen.“

Er zog sich zurück.

Herr Rotmund eilte in sein Haus. Er lockte wie ein zärtlicher Tauber, aber sein Weib war verschwunden.

Jeder hilft sich in seinem Liebesleid, so gut er kann. Die altfränkische Elsbeth hatte das Kloster zu ihrer Trösteinsamkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_539.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)