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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Zunächst die immer höher aufsteigende Alleinherrschaft des französischen Königthums bis zu den blendendstrahlenden Hofkreisen unter Ludwig dem Vierzehnten; dann die paradiesischen Friedensjahre der Versumpfung und die lange Ruhe vor dem Sturm unter Ludwig dem Fünfzehnten, dem „Vielgeliebten“, und schließlich, die Katastrophe, der Sturz des Königthums und das Ereigniß der Ereignisse unter Ludwig dem Sechszehnten, mit der Anerkennung der Menschenrechte.




Adolf Friedrich Graf von Schack.

Niemals hat in höherem Maße als jetzt die Mode die literarische Geltung bestimmt, welche damit unberechenbaren Einflüssen preisgegeben ist. Man glaube ja nicht, daß einstimmige Anerkennung der Kritik, die allerdings zu den größten Seltenheiten gehört, einen Dichter „modern“ machen kann! Im Gegentheil: die Mode geht oft gegen die Kritik, bis sie dieselbe mehr oder weniger mit sich fortreißt; denn diese ist nicht so hartherzig und unbestimmbar, wie es oft den Anschein hat; einem fait accompli wird sie immer Rechnung tragen; der äußere Erfolg findet auch bei ihr ein geneigtes Ohr; hat man doch Beispiele genug, daß Kritiker, trotz anfänglicher scharfer Opposition, mit Sang und Klang in das Lager eines erfolgreichen Modedichters übergegangen sind; ein schlagender Beweis für den tiefsinnigen Ausspruch: Rien ne réussit que le succès – der Erfolg allein entscheidet.

Glücklicher Weise bestimmt die Mode aber nur den Tageserfolg, bei Dichtungen und Romanen den momentanen Absatz, bei Dramen die „Saisonbeliebtheit“: dann tritt für derartige Stücke eine oft für immer andauernde „todte Saison“ ein. Ein dauernder Erfolg dagegen kann sich oft durch einen halben oder gar durch einen Mißerfolg einleiten; denn großartige Dichtungen gewinnen oft erst allmählich das Verständniß der Nation, dann aber wurzeln sie tief und fest in der Anerkennung der kommenden Geschlechter.

Zu den deutschen Dichtern, welche nicht beliebte Modepoeten sind, aber es zu sein verdienten, wenn die Mode sich nach dichterischer Bedeutung richtete, gehört Adolf Friedrich Graf von Schack, der als Sprachgelehrter, Literaturforscher und formgewandter Uebersetzer, als Kunftmäcen in großem Stil in weitesten Kreisen bekannt ist, dessen dichterische Schöpfungen aber noch nicht die verdiente Anerkennung gefunden haben.

Geboren am 2. August 1815 zu Brüsewitz bei Schwerin, folgte der junge Schack seinem Vater nach Frankfurt, wohin dieser als Bundesgesandter berufen worden war, besuchte dort das Gymnasium sowie später (1834 bis 1838) in Bonn, Heidelberg und Berlin die Universität, um die Rechte zu studiren. Kurze Zeit nur war er im preußischen Staatsdienste als Referendar thätig: dann trieb ihn eine unwiderstehliche Reiselust, genährt durch das Stadium orientalischer und romanischer Sprachen, nach dem Orient und von dort nach Spanien. Zurückgekehrt, wurde er Kammerherr und Legationsrath des Großherzogs von Mecklenburg und bekleidete mehrere diplomatische Stellungen. Als Geheimer Legationsrath nahm er 1852 seinen Abschied, ging zunächst auf seine mecklenburgischen Güter, dann nach Spanien. Einer Einladung des Königs Maximilian des Zweiten von Baiern folgend, der damals wissenschaftliche und dichterische Größen um sich versammelte, siedelte er nach München über, wo er seit 1855 einen Theil des Jahres sich aufhält. Dort gründete er jene Gemäldegallerie, welche zugleich ein Zeichen seines feinen Kunstsinns und der fürstlichen Liberalität ist, mit welcher er viele hervorragende Maler der Jetztzeit durch Anregung zu bedeutsamen Schöpfungen und durch Ankauf derselben freigebig förderte. Den Fremden, welche München bereisen, ist der Zutritt zu dieser Gallerie stets offen, und sie wird nicht weniger besucht, als die königlichen Gallerien. Enthält sie doch Meisterwerke von Bonaventura Genelli, Anselm Feuerbach und anderen hochbegabten Malern der Gegenwart; eine jüngsterschienene Schrift über die Schack’sche Gemäldegallerie eröffnet in geschmackvoller und lehrreicher Weise die Kenntniß dieser reichen Kunstschätze.

Doch wir haben es hier in erster Linie mit dem Dichter zu thun, und Schack’s poetische Werke dem großen Publicum näher zu bringen, ist der Zweck dieser Zeilen. Graf Schack hat auf fast allen Gebieten der Dichtkunst sein Talent bewährt, und mit diesem Talent eine den öffentlichen Interessen der Nation und den Gedanken der Zeit zugewendete Begeisterung. Hierin liegt zugleich, daß er kein akademischer Dichter ist und daß er uns in seinem lyrischen Album keine bloße Studienmappe bietet. Es ist dies ein Vorzug, welcher der Winkelästhetik der Akademiker allerdings für eine Schattenseite gilt; denn nach ihren Grundsätzen wird ja die reine Poesie durch jede Berührung mit den Zeitgedanken befleckt; sie soll in zeitloser Herrlichkeit den Altardienst des Schönen versehen, was indeß nicht ausschließt, daß gerade diese Poeten sich in einem Carneval der dichterischen Formen aller Nationen und aller Zeiten gefallen. Auch von diesem buntscheckigen Formencultus hat sich unser Dichter stets ferngehalten.

Graf Schack ist allerdings kein Liederdichter, und diejenigen, welche meinen, daß das Lied und das liederartige Genre die Quintessenz der Lyrik sei, werden ihn daher auch nicht als Lyriker gelten lassen. Diese „Stillen im Lande“, welche einige herumflatternde Sonnenfäden der Empfindung aufzufangen, einige Stimmungsbildchen in Aquarell zu malen lieben, bilden eine sehr verbreitete Gemeinde, die sich ablehnend gegen jede geistig gehaltvolle Lyrik verhält und ihre Kränze an diejenigen vertheilt, denen einmal ein solches Cabinetsstück intimer Empfindung gelungen ist. Niemand wird vom Liede als solchem gering denken; es ist eine berechtigte Gattung der Lyrik – aber es ist nicht die einzige. Große Dichter haben unvergängliche Lieder geschaffen, aber wer dem lyrischen Talent keine andere berechtigte Offenbarung zuerkennt, als Duft und Hauch zarter Empfindung, für den wird sich die Reihe der großen, unsterblichen Dichter in bedenklicher Weise lichten; nicht Pindar, nicht Klopstock, nicht Schiller, nicht Byron oder Victor Hugo dürfen dann auf einen Platz auf dem lyrischen Parnaß Anspruch erheben.

Daß Graf Schack kein Liederdichter im engeren Sinne des Wortes ist, das beweisen seine „Gedichte“ (1866); jene Kleinmalerei des Seelenlebens, welche zur Liederdichtung gehört, werden wir in ihnen vergeblich suchen; denn auch in den „Liedern der Treue“, in dem Liedercyclus „Aus der Heimath“ überwiegt die gedankenvolle Reflexion. Das eigenste Bereich derselben sind aber die schwunghaften, hymnenartigen Dichtungen in freien Rhythmen, die Perlen der Sammlung, wie „Die Tempel von Theben“, „Der Pic von Teneriffa“, „Die Jungfrau“, die er im Strahl der sinkenden Sonne erblickt:

„Ueber die Stirn ihr glimmt
Bleich und golden und roth
Ein wechselnder Schimmer.
Plötzlich erblassend
Vor den gähnenden Tiefen des Alls,
In die der Blick ihr hinunterstarrt,
Scheint sie zurückzubeben.
Dann wieder umfliegt
Ein rosiger Glanz ihr die Züge,
Wie Wiederschein von Gedanken und Träumen,
Die ihr durch die Seele ziehn.

Giebt sie mit Geistern anderer Welten
Sich Flammenzeichen,
Oder erblickt jenseit der Erde
Ungeahnte Geheimnisse,
Daß süßes Erschrecken
Die Wangen ihr röthet?
Doch der Schimmer erlischt;
Höher empor auf den Nebeln fluthet die Nacht,
Und den sterblichen Blicken entrückt,
Mit den Sternen dort oben
Hält die Königin Zwiegespräch.“

Es ist dies ein Beispiel der geistvollen Naturbelebung, welche diese schwunghafte Hymne charakterisirt.

Wenn indeß auch Schack’s Muse den Dissonanzen dieses Erden- und Menschenlebens gerecht wird, so hat sie doch keinen pessimistischen Zug: ihr eigen ist im Gegentheil der freudige Glaube an eine bessere Zukunft der Menschheit, die Ueberzeugung von dem fortschreitenden Gange ihrer Entwickelung. Der Urwelt Seherin, die Sibylle von Tibur, verkündet in rosenfarbenen Visionen den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_560.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2023)