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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

So bedeutende Vortheile indessen der neue Motor für Kriegszwecke besaß, indem er den Schiffen eine unbegrenzte Manövrirfähigkeit verlieh, beschränkten andererseits verschiedene Mängel seine Wirksamkeit: für Linienschiffe war der Radkasten zu unförmlich; bei den kleineren Schiffen lagen Maschinentheile über Wasser; ein einziger Treffer konnte sie zerstören und damit das ganze Schiff kampfunfähig machen. Die Radkasten boten ein großes Ziel, hinderten die Aufstellung von Geschützen und beeinträchtigten die nautischen Eigenschaften der Schiffe.

Man suchte deshalb nach einem besseren Motor und fand ihn in der Schraube. Ihre Vorzüge waren so bedeutend, daß sie sich sehr bald einführte, die kaum seit zwei Jahrzehnten bestehenden Raddampfer als Schlachtschiffe vollständig verdrängte und seit 1840 in den Flotten zur Alleinherrschaft gelangte. Die geschützte Lage aller Maschinentheile unter Wasser, die Möglichkeit, die frühere Segel- und Geschützkraft in ihrem vollen Umfange beizubehalten, im Gefecht dagegen sich vom Winde unabhängig zu machen, waren zu große Vortheile, als daß man sie nicht sofort allseitig hätte erkennen sollen.

Es begann sich deshalb eine allgemeine Umwandlung der Kriegsschiffe in Schraubendampfer zu vollziehen, und mit ihr trat wieder eine Aenderung der Form auf. Um den durch Maschine und Kohlen eingenommenen, aber nicht entbehrlichen Raum wieder zu gewinnen, wurde das Verhältniß der Breite zur Länge bis auf 1:6 und 7 erhöht und damit zugleich eine größere Geschwindigkeit erzielt. Kaum war jedoch diese für alle Marinen mit ungemein großen Kosten verknüpfte Aenderung vollzogen, als das Kriegsseewesen nothgedrungen schon wieder in eine neue Phase treten mußte, die abermals eine vollständige Umgestaltung der Schlachtschiffe nach sich zog.

Das Linienschiff, der Stolz des Oceans, das ihn länger als zweihundert Jahre beherrscht und so viele Schlachten entschieden hatte, trat seit 1860 von dem Schauplatze seiner ruhmvollen Thätigkeit ab, um den Panzerschiffen den Platz zu räumen.

Letztere verdanken ihren Ursprung den Verbesserungen der Artillerie und namentlich den Bombenkanonen, welche 1822 von dem Franzosen Paixhans erfunden wurden und sich allmählich auf deren Flotten einbürgerten.

Die darauf folgende lange Friedenszeit bot keine Gelegenheit, die Wirksamkeit der neuen Geschütze zu erproben, und erst die Schlacht bei Sinope, sowie der Angriff der alliirten Flotten auf Sebastopol während des Krimkrieges gaben ein erschreckendes Zeugniß davon; denn in ersterer vernichteten die Granaten russischer Schiffe in nur wenigen Stunden einen großen Theil der türkischen Flotte, und während des letzteren richteten die gleichen Geschosse der Festungswerke einen verheerenden Schaden auf den englisch-französischen Schiffen an.

Diese Erfolge sprachen das Todesurtheil über die hölzernen Schlachtschiffe aus, und man gewann die Ueberzeugung, daß nur eine angemessene Eisenpanzerung Schutz gegen solche furchtbare Wirkungen bieten könne.

Napoleon der Dritte gab dieser Idee praktische Gestaltung, indem er noch während des Krieges schwimmende Batterien mit Eisenplatten decken und sie zur Beschießung von Kinburn verwenden ließ. Der Ausgang des Kampfes entsprach den gehegten Erwartungen: die schwimmenden Batterien litten sehr wenig und blieben Sieger gegen die Festung.

Mit dieser Thatsache begann eine vollständige Umwälzung der ganzen Seekriegführung, und im Jahre 1860 wurden die gepanzerten hölzernen französischen Fregatten „La Gloire“, „Invincible“ und „Normandie“ fertig gestellt, denen das rivalisirende England alsbald zwei bedeutend größere eiserne, den „Black Prince“ und „Warrior“ gegenüberstellte.

Während die schwimmenden Batterien von Kinburn jedoch nur einen Panzer von 10 Centimeter Dicke besaßen, welcher gegen die Granaten der achtundsechszigpfündigen Bombenkanonen völlig genügte, erhielten die genannten Fregatten schon eine Stärke von 12 Centimeter; denn inzwischen war ein anderer wichtiger Factor aufgetreten, mit dem man zu rechnen gezwungen war: die gezogenen Geschütze mit ihrer so viel größeren Durchschlagskraft waren in’s Leben getreten, und mit ihnen begann der Kampf zwischen Panzer und Kanone, der in den letzten zwanzig Jahren die Techniker zu Leistungen anspornte, welche früher für absolut unmöglich gehalten wurden, der den Seestaaten viele Tausende von illionen gekostet und bis zum heutigen Tage noch keinen Abschluß gefunden hat.

Die ersten gezogenen Schiffsgeschütze hatten einen Seelendurchmesser von 15 bis 16, die ersten Panzer eine Stärke von 10 Centimeter; jetzt ist man für erstere schon bei 45, für letztere bei 60 Centimeter angelangt.

Das Gewicht solcher Eisenmassen stellte Anforderungen an die Tragkraft der Schiffe, für welche neue Formen gefunden und die Dimensionen bedeutend vergrößert werden mußten. Es ent standen daher Kolosse von 120 bis 130 Meter Länge und 20 bis 25 Meter Breite, gegen welche die früheren Linienschiffe in den Schatten traten.

Dieser Wechsel ging ungemein schnell vor sich; eine Erfindung jagte die andere; in fieberhafter Hast überboten sich die Nationen, namentlich England und Frankreich, in Neuconstructionen, und während z. B. unser „König Wilhelm“ (siehe Bild Nr. 7) zur Zeit seiner Erbauung (1865 bis 1868) mit 20 Centimeter Panzer und 18 Stück 24 Centimeter-Geschützen für das größte und stärkste Kriegsschiff galt, war er nach wenigen Jahren aller Orten überholt und würde jetzt im Kampfe mit einem der neuesten englischen Panzerschiffe, z. B. „Inflexible“ (40 bis 60 Centimeter Panzer und 4 Stück 45 Centimeter-Geschütze) bald vernichtet sein.

Die Versuche, Panzer und Kanonen zur bestmöglichen Verwerthung in der Schlacht zu bringen, rief eine Reihe verschiedener Schiffstypen in’s Leben, Breitseit-, Casematten- und Thurmschiffe, welche letztere wieder in solche mit drehbaren, oben geschlossenen, und festen, oben offenen Thürmen zerfallen, in denen die Geschütze über Bord feuern, und die sämmtlich auch in unserer Marine vertreten sind. Bei den ersten („Friedrich Wilhelm“) sind die Geschütze auf dem größten Theile der Breitseiten vertheilt, auf den Casemattschiffen in einer besonders stark und ringsum gepanzerten Casematte in der Mitte des Schiffes concentrirt. In den Thürmen stehen nur je 2, aber dafür desto schwerere Geschütze. Man zieht in neuerer Zeit die Thurmschiffe ohne Bemastung vor, und ebenso scheint man jetzt nicht mehr über 100 Meter Länge und 22 bis 24 Meter Breite hinausgehen zu wollen, um das Manövriren nicht zu hindern.

Lezteres ist mehr als je für die Seekriegführung in den Vordergrund getreten, um die furchtbare Waffe des Sporns, mit dem jedes Panzerschiff ausgerüstet wird, möglichst gut zu verwenden, da ein gelungener Stoß den Gegner versenken oder wenigstens kampfunfähig machen kann. Man hat zwar versucht, der Gefahr des schnellen Sinkens in solchem Falle („Ré d’Italia“ bei Lissa, „Großer Kurfürst“) durch Construction eines doppelten Schiffsbodens mit Hunderten von wasserdichten Abtheilungen vorzubeugen, bezüglich sie zu vermindern, hat aber bis jetzt noch keine Garantie dafür, da entscheidende Proben der verschiedenen Systeme natürlich ausgeschlossen sind.

Eine Folge des Sporns ist die gänzliche Umkehrung der früheren Taktik. Die Stärke der Segel- und Schraubenschiffe lag in ihrer Breitseite. Für den Angriff entwickelte sie mit ihrer gesammten Geschützzahl die größte Kraft, und für die Vertheidigung schadeten die feindlichen Geschosse dort am wenigsten, während sie in der Längsrichtung die größten Verheerungen anrichteten. Bei den Panzern liegt die größte Stärke jedoch vorn im Bug, für den Angriff im Sporn und schweren in der Kielrichtung schießenden Kanonen, für die Vertheidigung in der scharfen Form des Vordertheils, wo die feindlichen Geschosse den Panzer nur unter einem spitzen Winkel treffen können und dadurch ungemein an ihrer Kraft einbüßen.

Man sieht, die Kriegführung der Jetztzeit ist so ziemlich wieder dort angelangt, von wo sie auf griechischer Seite in der Schlacht von Salamis ausging. Hier wie dort der Sporn und das Bestreben, ihn im Nahkampfe zur Geltung zu bringen; hier wie dort Unabhängigkeit vom Winde beim Manövriren, wobei das frühere Ruderwerk durch die Dampfmaschine ersetzt ist; jetzt wie damals vorwiegend Einzelkämpfe von Schiff gegen Schiff, statt des Zusammenwirkens von größeren Abtheilungen.

Wer weiß jedoch, welche kurze Lebensdauer dem neuesten Schlachtschiffe beschieden sein mag? Den Goliath „Panzer“ bedroht bereits der David „Torpedo“, jene schrecklichste und unheimlichste aller Waffen, welche menschlicher Zerstörungssinn hat erdenken können. Schon früher – zu den verschiedensten Zeiten – ist der Torpedo aufgetaucht, aber erst das letzte Jahrzehnt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_631.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)