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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

erklärt, als hieraus sofort neue Aufgaben für die erhaltende Chirurgie gegeben waren.

Mehr und mehr wurde die Nothwendigkeit der völligen Abtrennung einzelner Körpertheile eingeschränkt und die Ausschälung der betreffenden erkrankten Theile in’s Auge gefaßt. Die Amputationen verminderten sich; die Resectionen (das Herausschneiden eines Knochenstückes, zumeist eines Gelenkes) gewannen mehr und mehr an Bedeutung. Auf diesem Gebiete erntete Langenbeck zuerst seine glänzenden Erfolge. Die Behandlung erkrankter Knochentheile oder erkrankter Gelenkverbindungen – mochten die Ursachen mechanische, von außen her einwirkende oder innere, allgemein-constitutionelle sein – wurde mit einem Schlage eine von Grund aus veränderte.

Aber sollte das Werk des Chirurgen gelingen, das auf Erhaltung oder Wiedererlangung der durch die eingetretene Erkrankung zerstörten oder beeinträchtigten Gebrauchsfähigkeit des betreffenden Organes gerichtet war, dann kam Alles auf die Art und Weise der auszuführenden Operation, auf die weitere Wundbehandlung, auf die zweckmäßige Lagerung des operirten Körpertheiles an. Eine Fülle von Aufgaben harrte der Lösung, und es bleibt ein unvergänglicher Ruhmestitel Langenbeck’s, dieselben theils vollendet, theils weitergeführt, theils vorbereitet oder angebahnt zu[WS 1] haben.

Auf Grund seiner ausgezeichneten, in das Kleinste gehenden anatomischen Kenntnisse, der ihm allezeit geläufigen Lagerungsverhältnisse der einzelnen Organe und Organgruppen zu einander, ersann er die zweckmäßigsten Methoden, nach welchen derartige Gelenk- oder Knochenresectionen ausgeführt werden mußten. Sein an Auskunftsmitteln überreicher Sinn ließ ihn die brauchbarsten Instrumente erfinden oder die vorhandenen verbessern. Dem Laienauge mag manches unbedeutend erscheinen: aber wie viel auf diese vermeintlichen Unbedeutendheiten ankommt, das vermag in vollem Umfange nur zu würdigen, wer an derlei Arbeiten thätigen Antheil zu nehmen berufen ist. Langenbeck erlangte mit der Zeit nach dieser Richtung hin eine staunenerregende Virtuosität, die vor keinem noch so kühnen Eingriffe zurückzuschrecken brauchte.

Bernhard von Langenbeck.
Nach der Marmorbüste von Professor R. Siemering.

Mit sichtbarster Genugthuung erfüllte es ihn, und durfte es ihn erfüllen, wenn er seinen Schülern die erzielten Heilerfolge an den Opfern der modernen Industrie oder der modernen Kriege vorführte. Mit unauslöschlichen Lettern ist sein Name in die Geschichtsannalen der Kriegschirurgie eingegraben. Kein Wort des Lobes ist vollwichtig genug für das, was er in dieser Richtung an unseren todesmuthigen Soldaten vollbracht. Und wenn die Zahl der Amputationen an zerschossenen Gliedmaßen so zusehends zusammenschrumpfte, wenn die Größe der Opfer, welche unsere letzten nationalen Kämpfe gefordert, mehr und mehr gesunken, so ist dies nicht in letzter Reihe den erfolgreichen Mühen Langenbeck’s und seiner zahlreichen Schüler zu danken.

Kam es bei dieser Gruppe von auszuführenden operativen Eingriffen vor Allem darauf an, die ursprüngliche Gebrauchsfähigkeit der beschädigten Organe wieder herzustellen, so waren bei anderen verwandten Operationen mehr ästhetische Rücksichten zu nehmen. Wer kennte nicht die schauderhaft entstellenden Mißbildungen, welche, durch gewisse örtliche oder allgemeine Erkrankungen hervorgerufen, das menschliche Antlitz entstellen? Wem wären nicht schon einmal jene furchtbaren Narbenbildungen zu Gesicht gekommen, wie solche nach umfangreichen Verbrühungen, Verbrennungen in Folge von Explosionen der mannigfachsten Art sich einstellen? Wer hätte nicht schon hier und da jene gräulichen Bildungsfehler gesehen, die unter dem Namen Hasenscharten, Wolfsrachen volksbekannt sind? In allen diesen Fällen gilt es, so viel wie irgend möglich, die von Haus aus vorhandenen oder erst später entstandenen Defecte zu beseitigen. In allen diesen Fällen wird der Wundarzt zum Modelleur; er treibt sozusagen einen Wettbewerb mit dem künstlerischen Bildner. Nur hat es dieser um so Vieles leichter, als der leblose Thon oder Stein unendlich fügsamer ist, denn der menschliche Organismus.

Dieses Gebiet der Chirurgie, gemeinhin das plastische genannt, wurde von dem Vorgänger Langenbeck’s, dem bahnbrechenden Dieffenbach, recht eigentlich begründet und von dem Nachfolger auf die glücklichste Weise fortentwickelt und vervollkommnet. Und die große Gewandtheit, welche den Meister gerade in dieser Richtung auszeichnete, war mehr als einmal die Veranlassung zu den bezeichnendsten Anekdoten. Es ist vorgekommen, daß man nachträglich die Langenbeck’sche Nase für schöner halten mußte, als die ursprüngliche gewesen. Hier hatte der nachbildende Operateur eben der launenhaften Natur sozusagen die Wege gewiesen.

Trotz der unaufhörlichen Beschäftigung mit dem chirurgischen Handwerkszeuge hatte Langenbeck gewisse Derbheiten, wie sie sich bei jedem Metier im Laufe der Zeit einzustellen pflegen, stets von sich fern zu halten gewußt. Oder richtiger vielleicht, daß sie an seiner von Hause aus zu einer gewissen äußerlichen Eleganz hinneigenden Natur spurlos abglitten. Mitten in seiner blutigen Arbeit am Operationstische behielt er die natürliche Anmuth seiner feinen Gestalt, die so wohl zu seinem ganzen übrigen maßvollen Wesen paßte. In seiner ganzen Art sich zu geben lag eine Verbindlichkeit, wie sie sonst nur, dem allgemeinen Erfahrungsurtheile nach, den höheren Schichten unserer Gesellschaft eigen ist. Derselbe Mann, welcher im Sommer schon um sechs Uhr Morgens in dem Leichenhause der Berliner Charité einen Operationscursus gab, sodann die Krankenvisite in der Universitätsklinik machte, eine ungeheure consultative Praxis in der Stadt versah und in den Nachmittagsstunden bis gegen vier Uhr die chirurgische Klinik abhielt, war so wenig in die jedem Berufe bis zu einem gewissen Grade sonst eigenen Formen eingezwängt, daß man in dem zierlichen Reiter im Thiergarten, wie er mit einer kleinen, aber unleugbaren Koketterie durch die schattigen Wege dahin trabte, auch

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  1. Vorlage: zn
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_633.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2023)